
Foto: Montecruz via flickr
CC BY-SA 2.0
(Mexiko-Stadt, 2. Juni 2025, La Jornada/El Salto).- Im Hauptstadt-Vorort Ciudad Nezahualcóyotl fand am letzten Tag im Mai im Sportzentrum Ciudad Jardín ein Gratiskonzert mit dem baskischen Sänger Fermín Muguruza statt. Muguruza trat im Rahmen eines Ska-Kulturfestivals auf, das anläslich des 62-jährigen Bestehens von Ciudad Nezahualcóyotl veranstaltet worden war. Das Sportzentrum Ciudad Jardín tobte vor Begeisterung, als Muguruza eins seiner Stücke den Revolutionären Pancho Villa und Emiliano Zapata widmete.
Tags zuvor war das Konzert von Fermín Muguruza in Mexiko-Stadt (CDMX) durch etwa 200 Mitglieder der Nationalgarde der mexikanischen Armee und der Polizei von Mexiko-Stadt bereits nach wenigen Liedern unterbrochen worden. Auf wessen Befehl hin die schwerbewaffneten Sicherheitskräfte agierten, blieb unklar. Es gab lediglich den Hinweis, dass „eine Genehmigung fehlt“. Den Veranstalter*innen blieb nichts anderes übrig, als das Konzert abzusagen. „Draußen stehen die Armee und die Polizei, die ganze Straße ist abgeriegelt. Das hat es noch nie gegeben, dass die Armee einfach alles dichtmacht“, schimpfte Nacho Pineda in seiner Ansprache an das Publikum
Auch zwei Tage später sind die Gründe für das Eingreifen nicht klar. Der Künstler Fermín Muguruza forderte, dass diejenigen, die seinen Auftritt beim Multiforo Alicia abgesagt haben, zur Rechenschaft gezogen werden, und bedauerte, dass die Behörden der drei Regierungsebenen nun behaupten, nichts mit dem Eindringen der Nationalgarde und der mexikanischen Armee zu tun zu haben. Fermin erklärte dazu am Samstagnachmittag während des Konzerts in Nezahualcóyot im Anschluss an sein zweites Stück Euskal Herria Jamaika Clash: „Die Polizei, die Nationalgarde und die Armee haben unser Konzert abgebrochen, und wir wollen wissen, wer dafür verantwortlich ist. Weder die Bürgermeisterin von Cuauhtémoc noch die Regierungschefin haben dazu eine Erklärung abgegeben; sie sagen bloß, sie hätten nichts damit zu tun.“ Iberichtete Fermin von der Bühne aus über das, was vorgefallen war.
Irgendwas ist hier faul
Der starke Regen, der knapp drei Stunden vor dem Konzert einsetzte, hielt Hunderte von Menschen nicht davon ab, das Konzert zu besuchen, nachdem das im Multiforo Alicia in Mexiko-Stadt abgebrochen worden war. Fermín dankte dem Publikum, das gekommen war, um ihn in Ciudad Neza zu hören, und erklärte: „Liebe Compas in Mexiko, erstmal liebe Grüße an alle, die bei dem Konzert im Forum waren und nicht auf die Provokation hereingefallen sind. Wir müssen wissen, wer die Aktion angeordnet hat, und warum. Bisher ist nur klar, dass hier irgendwas faul ist. Fest steht nur, dass die Polizei, die Nationalgarde und die Armee unser Konzert verhindern wollte.“ Auch die Fans von Ska und Urban Art kritisierten die Haltung der drei Regierungsebenen nach den Ereignissen und zeigten sich solidarisch mit Fermín Muguruza. „Immer das Gleiche! Jetzt schieben sich wieder alle gegenseitig die Schuld zu und waschen ihre Hände in Unschuld wie Pontius Pilatus“, riefen die Teilnehmer*innen. Muguruza ist Sympathisant der weltweiten linken Bewegungen und Unterstützer der Palästinenser*innen und anderer sozialer und antirassistischer Kämpfe wie dem von Nelson Mandela in Südafrika. Eine Besucherin brachte ein Plakat zur Unterstützung des baskischen Künstlers am Zaun des Geländes an. Es sei beschämend, was im Alicia passiert war, deshalb besuche sie nun mit Mann und Tochter das heutige Konzert, um ihre Unterstützung zu zeigen. „Die meisten Fans waren 40, 50 und 60 Jahre alt, wirklich schade, dass die Behörden Angst vor denen hatte. Aber: Das vereinte Volk lässt sich nicht besiegen!“ Marcos, ein Einwohner von San Lorenzo in der Gemeinde Chimalhuacán, kam mit seiner Nichte und seiner Schwester. Fermín hat zu 100 Prozent unsere Unterstützung. Das, was da passiert ist, nicht hätte passieren dürfen.“ Auch Kamala von der Band Los Espectros de tu Jefa kam, um Fermín zu unterstützen: „Das ist nicht hinnehmbar, diesen Machtmissbrauch können wir nicht akzeptieren, wir stehen alle zusammen gegen den Faschismus, Fermín. Kamala und Los Espectros de tu Jefa sind auf deiner Seite. Mach bitte immer, immer weiter!“ Bis 21 Uhr und trotz des anhaltenden Regens begeisterten Fermín Muguruza und seine Ska-Band das Publikum, das aus verschiedenen Gemeinden und Stadtbezirken des Großraums Mexiko-Stadt gekommen war.
Wer gab den Befehl?
Die Band widmete das Konzert den Menschen in Lateinamerika, Afrika, Palästina, dem Baskenland und anderen Nationen der Welt, die gegen Unterdrückung kämpfen. Als der Künstler einen seiner Songs Pancho Villa und Emiliano Zapata widmete, tobte das Publikum vor Begeisterung. Trotz des kalten Windes und des starken Regens schrie und tanzte die Menge zu dem treibenden Ska-Rhythmus. Muguruza postete Fotos von dem Event in ihren sozialen Netzwerken und schrieb dazu: „Letzte Nacht in Ciudad Neza tobte der Pogo der Rache, trotz des hartnäckigen Regens. Wir verlangen weiterhin Aufklärung dessen, was hinter der Operation im Foro Alicia stand, wer den Befehl gegeben hat und warum.“
Fermín Muguruza ist Musiker, Produzent und Dokumentarfilmer; immer politisch und immer auf Seiten der Unterdrückten. Seine Zeit als Musiker begann 1984 mit der Gründung der Band Kortatu. 40 Jahre später finden seine Musik und sein politisches Statement auch unter jungen Menschen immer noch viele Anhänger*innen. 2006 begann er mit der Produktion von Dokumentarfilmen und gründete im selben Jahr die Musik- und Filmproduktionsfirma Talka Records and Films, wo er als Regisseur, Drehbuchautor, Produzent und Schöpfer von Original-Soundtracks tätig ist. Derzeit ist er Programmgestalter der Sektionen für Musikdokumentationen beim Festival DocsDF in Mexiko und beim Festival Cine Migrante in Argentinien.
Bürgermeisterin sieht sich auf Seiten der Kultur
Die Räumung des Saals verlief friedlich. Sowohl Muguruza als auch der Eigentümer und Direktor des Multiforo Alicia, Nacho Pineda, forderten das Publikum – etwa 400 Personen – auf, den Saal ruhig zu verlassen, da die Sicherheitskräfte sich am Eingang bereits zum Spalier formiert hatten. „Wirklich hart“, berichtete Muguruza am nächsten Tag. „Etwa 200 Polizisten in Kriegsausrüstung“ hätten sich vor dem Eingang formiert, es sei gar nichts anderes möglich gewesen, als das Konzert abzubrechen, obwohl selbst die Bürgermeisterin der Stadt der Band versicherte, dass sie keine weiteren Informationen zu dem Einsatz habe.
Diese erklärte in den sozialen Medien, dass die Polizeikommandanten der Stadt von ihren Aufgaben entbunden wurden und dass eine Untersuchung laufe. „Angriff auf die Kultur lehnen wir kategorisch ab. Das Multiforo Alicia ist ein offener Raum, und wir werden dafür sorgen, dass unabhängige Kulturräume respektiert und von der Regierung unterstützt werden“, so die Regierungschefin. Andere Behörden wie das Bundesinnenministerium oder die Kommandeure der Sicherheitskräfte, die vor dem Konzertort eingesetzt waren, haben sich bisher nicht geäußert.
Multiforo Alicia, ein Ort der autonomen Musik und Kultur in Mexiko-Stadt
Der Veranstaltungsort entstand 1995, kurz nach einem schweren Erdbeben, bei dem mehr als 30.000 Menschen starben. Buchstäblich aus den Ruinen der eingestürzten Gebäude entstand der Club mit der Wucht einer urbanen Gegenkultur. Seitdem haben in dem kleinen Veranstaltungsort Hunderte von Rockbands, Singer-Songwritern, neue nationale und internationale Musiktrends sowie andere künstlerische Aktivitäten Tausende von Programmstunden gefüllt. Im Jahr 2022 stand es dann schlecht um den Club. Die prekäre Gesundheitsversorgung hatte der Pandemie nichts entgegenzusetzen; mehr als 50 000 Menschen starben, das ganze Land war krisengeschüttelt, und Nacho kündigte die Schließung an. 2023 fanden mehrere Abschiedsveranstaltungen statt, aber schon im Februar 2024 wurde in den sozialen Netzwerken die Wiedereröffnung angekündigt. Mit einem großen Konzert der „rupestres“, der Urgesteine der Folk- und Rockmusik, meldete sich „El Alicia“ zurück und begrüßte unter anderem Nina Galindo, Rafel Catana, Fausto Arrellín, Gerardo Enciso, Carlos Arellano, Julia González und Eblen Macari auf der Bühne.
Militär und Polizei unterbrechen Muguruza-Konzert von Nachrichtenpool Lateinamerika ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.
Schreibe einen Kommentar