Von Markus Plate, San José
San José/Berlin, 28. August 2016, npl).- Die weltweite Migration hat in den letzten Jahren in absoluten Zahlen deutlich zugenommen. Mittlerweile lebt eine Viertelmilliarde Menschen außerhalb ihres Geburtslandes. Der Anteil an Frauen für die das zutrifft, steigt beständig. Seit der Jahrtausendwende migrieren mehr Frauen als Männer. Für sie ist Migration besonders schwierig: Frauen laufen stärker Gefahr als Männer, auf ihrer Reise oder im Zielland zu Opfern von Menschenrechtsverletzungen zu werden, sie sind oft mit Kindern unterwegs oder leiden darunter, Familienangehörige daheim zurückzulassen. Dabei sind die USA oder Kanada längst nicht für alle aus Lateinamerika die Zielländer. Auch die Migrationsbewegungen vom Land in die Städte oder zwischen Ländern Lateinamerikas sind seit vielen Jahren groß.
„Ich wollte meinen Eltern etwas zurückgeben“
Maricela Hernández stammt aus einer Indígena-Gemeinde in der Bergwelt im Norden des mexikanischen Bundesstaates Veracruz. Wenn die Menschen hier nicht bettelarm sind, leben sie in sehr bescheidenen Verhältnissen. Viele junge Männer hat es in den letzten zwanzig Jahren in Richtung USA gezogen. Aber das klassische Bild von Dörfern ohne junge Männer stimmt nicht mehr. Denn immer mehr junge Frauen verlassen die mexikanische Provinz. Wie Maricela Hernández zieht es viele aber in mexikanische Großstädte, etwa nach Guadalajara, Mexiko-Stadt oder wie im Fall von Maricela, nach Monterrey.
„Ich wollte meinen Eltern etwas zurückgeben, für all das, was sie mir gegeben haben. Meine Mutter hat hart gearbeitet, Bananen und Apfelsinen verkauft, alles was wir auf unserem Grundstück hatten – damit sie mir den Bus zur Schule, das Essen und Schulmaterialien bezahlen konnte. Es gab hier nichts, wo ich hätte mit meinem Schulabschluss arbeiten können. Und meine Freundinnen, die nach Monterrey gegangen waren, hatten plötzlich Schuhe und Klamotten. Und deswegen bin ich auch nach Monterrey, nicht nur für Kleidung, sondern um meiner Mutter endlich etwas zurückgeben zu können“, so Maricela.
Erster Job: Hausangestellte
Ortswechsel: Costa Rica ist für Maria Magdalena Romero Rueda zur Heimat geworden. Magda, wie sich die Vierzigjährige der Einfachheit halber nennt, stammt aus Nicaragua, aus einem Dorf in der Provinz León. Mittlerweile ist Magda schon seit zwei Jahrzehnten in San José und erzählt: „Ich bin zuerst alleine gekommen. Mein Mann kam eine Woche später, zunächst haben wir bei meiner Schwester gewohnt, bis wir eine Wohnung hatten. Meine Tochter ist zunächst in Nicaragua geblieben. Ich habe darunter sehr gelitten. Und nach einem Jahr bin ich dann hin und habe sie auch nach Costa Rica geholt.“
Was haben Maricela und Magda gemein? Ihr erster Job in der neuen Stadt oder dem neuen Land ist oder war eine Anstellung als Hausangestellte. Das gilt für die Mehrheit migrierender Frauen – egal ob sie nun in ihrem Land aus der Provinz in die Städte, von Nicaragua nach Costa Rica oder in die USA migrieren. Die Migration ist der Grund, weshalb in weiten Teilen Lateinamerikas auch Mittelschichtfamilien jemanden haben, der für wenig Geld für sie putzt, wäscht, kocht, aufräumt.
Lukrative Opfergruppe
Gedankt wird es den Frauen oft nicht. Im Gegenteil: Maricela Hernández berichtet, was Freundinnen ihres Dorfes in den Bergen von Veracruz bei Familien in Monterrey erlebt haben: „Andere Frauen durften sich zum Essen nicht mal hinsetzen, durften das Essen der Familie nicht anrühren sondern bekamen nur Reis und Bohnen. Ich habe stundenlang für die Familie gekocht und nichts davon abbekommen. Der Kühlschrank war voller Früchte, aber die Señora sagte, die sind für meine Kinder, wage es nicht, da was wegzunehmen. Das ist nicht in Ordnung, dass die Reichen alles haben, dich schuften lassen und dich dann so behandeln.“
Dabei haben Frauen wie Maricela als sogenannte Binnenmigratinnen noch den Vorteil, dass sie ganz legal überall dort in Mexiko arbeiten können, wo sie einen Job finden. Die vielen Frauen, die in ein anderes Land gehen, haben es da schon weit schwerer und setzen sich dabei erheblichen Gefahren aus. So werden auf ihrem Weg durch Mexiko laut Amnesty International sieben von zehn zentralamerikanischen Frauen Opfer von sexualisierter Gewalt, Täter sind Bandenmitglieder, aber auch Polizisten und Migrationsbeamte. Und auch wenn es „nur“ darum geht, Migrant*innen auszunehmen, haben das organisierte Verbrechen und korrupte Staatsdiener*innen Frauen längst als lukrative Opfergruppe ausgemacht.
Sprachbarriere bei Migration in die USA
In den USA, dem Hauptzielland lateinamerikanischer Migration, kommt zu all diesen Problemen und Diskriminierungserfahrungen noch die Sprachbarriere hinzu. Die gebürtige Mexikanerin Yolanda Sorayda lebt seit vielen Jahren im Süden der USA. Aufgrund ihrer eigenen Erfahrungen hat sie das Projekt Mujeres Monarcas mitgegründet, nach den Monarchfaltern benannt, jenen Schmetterlingen, die jedes Jahr zu Millionen zwischen den USA und Mexiko migrieren. Ziel der Monarchfrauen ist es, in den USA Unterstützungsnetzwerke aufzubauen und Weiterbildungskurse für Frauen anzubieten, so Yolanda:
„Viele Frauen haben ohnehin schon Angst, im Falle von Gewalt Hilfe zu suchen. Aber wenn in einem Land eine andere Sprache gesprochen wird, dann ist das noch viel schlimmer. Dann das Geld. Wir Frauen kümmern uns erst um unsere Kinder und unsere Eltern, bevor wir an unsere eigene Gesundheit oder unsere Rechte denken. Wir werden schlechter bezahlt als Männer, arbeiten länger, haben oft keine Versicherung und ständig Angst vor Razzien. Oft sind die Kinder in den USA geboren und folglich US-Staatsbürger. Die Eltern sollen aber abgeschoben werden. Das Kind kann dann zur Adoption freigegeben werden, wenn ein Richter meint, die Eltern gehörten abgeschoben, aber das Kindeswohl sei in den USA besser gewährleistet. Das ist das Szenario, das Frauen und Müttern am meisten Angst macht.“
„Armut ist zunehmend weiblich“
Die Migrationsursachen sind vielfältig. In Mexiko, Guatemala, Honduras und El Salvador fliehen Menschen vor der ausufernden Gewalt oder der Korruption. Doch nach wie vor sind es Armut und Perspektivlosigkeit, die Menschen zum Migrieren zwingen. Amanda Villatoro, vom gesamtamerikanischen Gewerkschaftsbund CSA, setzt dies in Beziehung zur Migration von Frauen. Denn alte Rollenkonzepte gelten auch und gerade bei der Migration nicht mehr: Mittlerweile sind viele Frauen, ob alleinerziehend oder nicht, Familienvorstand und tragen die finanzielle Verantwortung für ihre Kinder.
„Wenn wir von Armut als Migrationsursache reden, dann ist das sehr klinisch formuliert. Armut ist zunehmend weiblich. Deswegen migrieren mittlerweile mehr Frauen als Männer. Meist lassen sie das zurück, was sie am meisten lieben: Ihre Kinder, ihre Familie. Deswegen ist es so wichtig, dass wir Arbeit schaffen und dass Arbeitsrechte erfüllt werden – gerade für Frauen. Und wir als amerikanischer Gewerkschaftsbund arbeiten hart daran, gerade auch die Rechte von migrantischen Arbeiter*innen zu stärken,“ so Amanda.
Astradomes – Unterstützung und Empowerment für migrantische Hausangestellten in Costa Rica
Costa Rica ist das Hauptzielland nicaraguanischer Migration. Drei Viertel aller Nicht-Costa-Ricaner*innen stammt aus Nicaragua. Schon laut offiziellen Zahlen ist fast ein Zehntel der Bevölkerung Costa Ricas im nördlichen Nachbarland geboren. Es dürften deutlich mehr sein. Die Mehrzahl von ihnen sind Frauen. Und für viele, wie für Maria Teresa Gutiérrez aus Granada, ist die Arbeit in Privathaushalten die einzige Möglichkeit, Geld zu verdienen. Maria Teresa hat ein Jahrzehnt in Angst und Schweigen gelebt, bis ihr klar wurde, dass auch irreguläre Migrantinnen Rechte haben.
Heute ist sie Vizepräsidentin von Astradomes, der Vereinigung der Hausangestellten, Astradomes. Deren Arbeit für Migrant*innen gilt als vorbildlich. Sie umfasst Angebote zur Sensibilisierung, Weiterbildung und Stärkung des Selbstbewusstseins von Frauen, dazu politische Arbeit, Prozesshilfe und die Information der breiten Öffentlichkeit. Sie erzählt: „Anfangs hast du Angst auf die Straße zu gehen, vor der Polizei, vor den Migrationsbehörden. Du hörst von Kolleginnen, die mies behandelt wurden. Heute weiß ich, dass wir Rechte haben. Dass auch Irreguläre das Recht auf einen 8-Stunden Tag, auf einen freien Wochentag und auf Urlaub haben. Aber es gibt viele Frauen, die dieses Gesetz nicht kennen. Das nutzen viele Arbeitgeber aus. Wir von Astradomes kämpfen für die Rechte von migrantischen Hausangestellten und leisten viel Informationsarbeit. Mir macht heute niemand mehr weiß, dass ich keine Rechte hätte. Ich bin Ausländerin, aber ich bin vor allem ein Mensch. Und Menschen haben Rechte, egal, aus welchen Gründen, unter welchen Bedingungen und wohin wir auch immer migrieren.“
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Frauen und Migration – Eine besondere Herausforderung für den Schutz der Menschenrechte von Nachrichtenpool Lateinamerika ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.
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