von Andrea Dip
(Fortaleza, 20. September 2013, adital).- „Damit wir etwas als ein allgemeines gesundheitliches Problem einstufen, müssen mindestens zwei Dinge gegeben sein. Erstens: Es muss eine gewisse Häufung von Fällen vorliegen, die Bestürzung hervorruft; ungewöhnliche Ereignisse, die nur vereinzelt auftreten, scheiden also aus. Zweitens: Es müssen Auswirkungen auf den Gesundheitszustand der Bevölkerung gegeben sein. Beim Thema Abtreibung werden in Brasilien diese beiden Kriterien erfüllt, allerdings handelt es sich hier um eine neue Sichtweise“. Das erklärt Jefferson Drezett, Gynäkologe, Geburtshelfer und Sprecher der Initiative Forschung zum Schwangerschaftsabbruch GEA (Grupo de Estudios del Aborto), die seit über zehn Jahren Möglichkeiten der legalen Abtreibung vermittelt.
Jedes Jahr eine Million Abtreibungen und …
„Nur damit klar ist, wovon wir hier reden: Nach Angaben der WHO werden jährlich weltweit 20 Millionen so genannte unsachgemäße Schwangerschaftsabbrüche durchgeführt. Als solche betrachtet die WHO Eingriffe, die von Personen vorgenommen werden, die nicht über das erforderliche Wissen, die Erfahrung und bzw. die Geschicklichkeit verfügen. Auch wenn die nötigen hygienischen Bedingungen nicht gegeben sind, muss von einem unsachgemäßen Eingriff gesprochen werden. Unsachgemäße Abbrüche führen häufig zum Tod der Schwangeren. Jedes Jahr sterben etwa 70.000 Frauen an den Folgen. Diese 70.000 Todesfälle sind jedoch nicht nach demokratischem Prinzip gleichmäßig über die ganze Welt verteilt: 95 Prozent der unsachgemäßen Schwangerschaftsabbrüche werden in Entwicklungsländern vorgenommen, in denen Abtreibungen zum großen Teil als Verbrechen geahndet werden. In Ländern wie Holland, Spanien und Deutschland, in denen Abtreibung kein Verbrechen darstellt, ist die Sterblichkeitsrate sehr viel niedriger. Auch Schwangerschaftsabbrüche sind in diesen Ländern viel weniger zu verzeichnen, weil mit der Öffnung der Abtreibungsregelung eine effektive Familienplanungspolitik einhergeht.
250.000 Krankenhausaufenthalte durch Folgeerkrankungen
In Uruguay gingen die Zahl der Abtreibungen und die Sterblichkeitsrate als Folge von unsachgemäßen Eingriffen rapide zurück, nachdem im Oktober 2012 Schwangerschaftsabbrüche legalisiert worden waren. Nach Angaben der Regierung starb zwischen Dezember 2012 und Mai 2013 keine einzige Frau an den Folgen einer unsachgemäßen Abtreibung, während die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche von 33.000 Eingriffen jährlich auf 4.000 absank. Mit der neuen gesetzlichen Regelung hatte die Regierung öffentliche Programme eingeführt, die über Sexualerziehung, Familienplanung und Verhütungsmethoden informieren und umfassende Dienstleistungen im Bereich der sexuellen Gesundheit und Reproduktionspolitik anbieten.
Derzeit würden in Brasilien jährlich etwa eine Million Schwangerschaftsabbrüche durchgeführt, so Jefferson; in 250.000 Fällen sei ein anschließender Krankenhausaufenthalt aufgrund der Folgekomplikationen vonnöten. „Auf der gynäkologischen Station stellen diese Komplikationen die zweithäufigste Ursache für einen Krankenhausaufenthalt. Deshalb sage ich immer: Kann man das Thema Abtreibung vielleicht mal aus einem anderen Blickwinkel heraus diskutieren? Das muss man sogar. Es gibt niemals eine Einigung zu dieser Frage, und es wird auch niemals geben, weil wir es hier mit einem Fötus zu tun haben. Aber man kann nicht darüber hinwegsehen, dass wir es hier mit einem schwerwiegenden allgemeingesellschaftlichen gesundheitlichen Problem zu tun haben. Das gesetzliche Verbot verhindert nicht, dass Frauen abtreiben. Für Frauen, die vor dem Problem einer ungewollten Schwangerschaft stehen, erweist es sich jedoch als effektives Todesurteil.“
Umdenken bei Abtreibungspolitik gefordert von Nachrichtenpool Lateinamerika ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.
Schreibe einen Kommentar