(Hermosillo, 24. Februar 2020, cimac noticias).- Rund 3.000 Frauen füllten am Sonntag den 23. Februar die Straßen der Stadt Hermosillo im nordmexikanischen Bundesstaat Sonora. Jugendgruppen hatten auf Facebook zu Demonstrationen aufgerufen.
Es war ein Protestmarsch, wie man ihn dort zuvor noch nicht erlebt hat. Tausende nahmen Teil und alles nur Frauen. Die jungen Demonstrantinnen trugen Plakate, Banner und Schilder, die auf den Anstieg an Feminiziden in Mexiko und insbesondere dem Bundesstaat Sonora aufmerksam machten.
Der Protestmarsch nahm seinen Anfang an der Straßenecke zwischen dem Museum und der Bibliothek der Universität von Sonora. Von dort aus zogen die Demonstrantinnen erst den Boulevard Luis Encinas entlang in Richtung Innenstadt und folgten dann der Straße Juárez, bis sie die belebte Avenida Serdán erreichten.
Anschließend marschierten sie zum Rathaus, dem Palast der Landesregierung und brachen von dort auf in Richtung der Behörden und Institutionen, die für die Prävention und Ahndung von Gewalttaten gegenüber Frauen zuständig sind.
Die Rute führte außerdem entlang weiterer Regierungsgebäude, dem Nationalkongress, dem Justizgebäude sowie der stellvertretenden Staatsanwaltschaft für Feminizide und andere geschlechterspezifische Straftaten.
Auf dem Vorplatz des obersten Gerichts kam der Protestmarsch zum Halten. Dort verlasen die Demonstrantinnen mehrere Erklärungen und führten eine kurze Inszenierung zum Thema Gewalt gegen Frauen auf. Anschließend machten sie sich auf den Weg zur stellvertretenden Staatsanwaltschaft, welche zuständig ist für Straftaten gegenüber Frauen.
Gerichtsgebäude lässt Demonstrantinnen im Dunkeln stehen
Dort allerdings kam es zu einem Zwischenfall, als das Personal des Gebäudes sämtliche Lichter, außen sowie innerhalb des Eingangsbereichs, ausschaltete. Die Demonstrantinnen wollten jedoch ihre Erklärung weiter vortragen, welche einige Rednerinnen von ihren Handys vorlasen, andere jedoch hatten ihren Teil der Rede auf Papier gedruckt.
Als ihre Forderung weiter ignoriert wurde, brachten die Protestierenden ihre Banner und Plakate oben an den Zäunen an, wie sie es bereits bei früheren Protestmärschen gemacht hatten. Da sich das Sicherheitspersonal weiterhin unwillig zeigte, das Licht wieder einzuschalten und auch nicht bereit war zu erklären, warum die Demonstrantinnen im Dunkeln stehen mussten, schalteten sie die Taschenlampen ihrer Handys ein. Die kleinen Lichtquellen reichten jedoch nicht aus, um die Erklärung weiter verlesen zu können, sodass die jungen Frauen und Mädchen weiter forderten, die Lichter des Gerichtsgebäudes einzuschalten, ebenso wie die Lampen, die normalerweise bei Einbruch der Dunkelheit eingeschaltet werden.
Letztendlich beschloss eine kleine Gruppe der Demonstrantinnen, auf das Gelände vorzudringen, um selbst das Licht wieder einzuschalten. Durch den gemeinsamen Einsatz der Gruppe entfernten sie eines der Gitter aus dem Tor. So gelangten einige Demonstrantinnen auf das Gelände. Aufgrund der Dunkelheit konnte man nur Schatten erkennen, es ist daher unklar, was sie im Inneren des Geländes taten.
Arbeit der Justiz lässt „zu wünschen übrig“
Während der Kundgebung kritisierte ein Rednerin und Anwältin für Frauenrechte, dass „die Justiz noch viel zu wünschen übrig lässt“. Tatsächlich sinkt die Zahl der Verurteilungen für Feminizide, Sexualstraftaten und Pädophilie Tag für Tag.
Durch seine Untätigkeit trage der Staat nicht nur symbolisch, sondern auch institutionell zum Anstieg der Gewalt gegenüber Frauen bei. Gerade die Justizbeamtinnen müssten die nötigen Kenntnisse besitzen, um angemessen entscheiden und urteilen zu können.
„Ingrid, Fátima und viele weiteren Frauen sind Beispiele dafür, wie die Justiz uns im Stich gelassen hat. Es gibt keine Sicherheit für Frauen und Mädchen, deshalb brauchen wir Personal, dass empathisch ist und sich in die Lage der Betroffenen hineinversetzen kann“, erklärte die Rednerin.
„Gehen die Frauen in ihrer Not zum Staatsanwalt, schreit dieser sie an. Gehen die Frauen zum Gerichtsmediziner, behandelt er sie unfreundlich.“ Deshalb seien sie zu Tausenden versammelt und trügen ihre Forderungen vor. „Ich spreche hier für die Frauen und Mädchen, die ich verteidige“, so die Anwältin.
„Warum müssen wir Frauen immer ums Überleben kämpfen?“
Eine weitere Rednerin, die ihr Gesicht mit einer Maske verdeckt hat, las ein Gedicht vor, in dem sie alle Gewalttaten aufzählt, denen Frauen von ihrer Geburt an ausgesetzt sind:
„Warum müssen wir uns immer verteidigen, um zu überleben?, fragte sie sich.
Überleben – die Enttäuschung des Vater darüber, dass du kein Junge bist. Überleben – den Cousin, den Onkel oder den Nachbarn, der dir zwischen die Beine gefasst hat, als du gerade einmal vier Jahre alt warst.
Überleben – den Pädophilen, der dir auf dem Schulweg auflauert hat. Überleben – die Abscheu vor dem Ersten, der vor dir auf der Straße masturbierte, als du neun Jahre alt warst.
Überleben – denjenigen, der dich vergewaltigt hat und ungestraft geblieben ist; und in derselben Straße wohnt wie du, wie immer. Überleben – deinen Sportlehrer in der Mittelstufe, der dir immer auf den Hintern geschaut hat.
Überleben – alle diejenigen, die über deinen Körper geredet haben, deinen Körper einfach so berührt haben. Überleben – und sich wegen etwas davon oder allem zusammen nicht das Leben nehmen. Und zu erreichen, dass dich keiner von ihnen umbringt. Und dieser Arzt, der dir an die Brüste gegrapscht hat. Und der andere Arzt, dich überall angefasst hat, und du bist trotzdem still geblieben, weil er eine Abtreibung durchgeführt hat.
Die Gewalt bei der Entbindung, die dich fast bei der Geburt hätte sterben lassen. Die Narben, die sie überall auf deinem Körper hinterlassen haben. Die Gewalt bei der Entbindung, die fast dein Kind getötet hätte. Warum müssen wir Frauen immer ums Überleben kämpfen?“, beendete sie ihr Gedicht.
Richter und Bürgermeisterin erstatten Anzeige gegen Demonstrantinnen
Als Reaktion auf den Protest erklärte Francisco Gutiérrez, der Präsident des Obersten Gerichtshofes, dass die auf dem Gerichtsgelände begangenen Aktionen, der er als „verschiedene Straftaten“, bezeichnete, strafrechtlich verfolgt werden müssten.
Die Bürgermeisterin von Hermosillo, Célida López Cárdenas, forderte ihrerseits in einem Tweet, dass Ermittlungen eingeleitet und Strafen verhängt werden müssten: „Die Öffentlichkeit fordert, dass diejenigen identifiziert und gewarnt werden müssen, die für Gewalt in der Frauenbewegung verantwortlich sind,“, schrieb sie.
In Sonora wurden 117 Frauen allein im Jahr 2019 ermordet. Jedoch wurden davon nur 41 Fälle als Feminizide eingestuft und untersucht. In diesem Jahr 2020 zeichnet sich ein steigender Trend ab. Bereits im Januar wurden 17 Frauen ermordet, im Februar drei. Nur zwei dieser Taten wurden jedoch als Feminizide eingestuft.
Übersetzung: Claudia Bothe
Tausende Frauen demonstrieren in Hermosillo gegen Feminizide von Nachrichtenpool Lateinamerika ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.
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