Warum gerade Panama?

(Panama-Stadt, 12. Juni 2020, alai).- COVID-19 und kein Ende. Die durchschnittliche Zahl der Neuerkrankungen ist mittlerweile auf durchschnittlich 948 Fälle innerhalb eines Tages angestiegen. 493 Menschen sind bisher an der Viruserkrankung gestorben (Stand 21.06.2020). Als man bereits dachte, der Höhepunkt der Ausbreitung sei erreicht, kam es Anfang Juni im Zuge der ersten wirtschaftlichen Lockerungen zu einem erneuten Anstieg der Fallzahlen. Ein Ende von Phase 1 des Exit-Plans ist daher nicht in Sicht.

Im „Dubai von Mittelamerika“ blickt man ratlos auf Länder wie Costa Rica und fragt sich, warum gerade Panama so hart von der Pandemie betroffen ist. Die Ursachen hierfür sind vor allem struktureller Art. Will man die Situation verstehen, muss man sich fragen: Was für ein Staat ist da entstanden? Was ist in den letzten Jahren passiert, was wurde versäumt? Verantwortlich für die heutige Situation sind ohne Zweifel die Vertreter*innen sämtlicher Parteien, die in den letzten Jahrzehnten die Macht unter sich aufgeteilt haben.

Zehn Gründe für die Gesundheitskrise

  1. In den letzten 40 Jahren wurde das öffentliche Gesundheitssystem nach neoliberalen Kriterien zurechtgestutzt und systematisch geschwächt. Während in den 70er Jahren noch die Maxime „Gleiche Gesundheitsrechte für alle“ galt, wurde die öffentliche Gesundheitsversorgung durch Privatisierungen, Outsourcing und Budgetkürzungen immer weiter heruntergewirtschaftet.
  2. Öffentliche Gelder wurden in zweifelhafte Megaprojekte umgelenkt, die zwar nicht unbedingt effizient sind, sich jedoch hervorragend eignen, um Korruptionsgeschäfte abzuwickeln. So wurden Millionen in die “Ciudad Hospitalaria” versenkt, statt die bestehende medizinische Infrastruktur zu erhalten.
  3. Erst 2019 hatten Staatspräsident Laurentino Cortizo und seine rechte Hand Finanzminister Héctor Alexander die Sozialversicherung um 300 Millionen Balboa (rund 270 Millionen Euro) gekürzt, und auch das Budget des Gesundheitsministeriums wurde um mehr als 100 Millionen Balboa (knapp 900.000 Euro) zusammengestrichen.
  4. Panama gilt weltweit als eins der Länder mit extremen sozialen Ungleichheiten, die durch das Wirtschaftswachstum weiter verschärft werden: 10% der Familien mit gutem Einkommen verdienen 40mal so viel wie die 10% der Menschen, die in extremer Armut leben.
  5. Ein Viertel der Bevölkerung gilt als arm; etwa 10% der Menschen leiden Hunger.
  6. Viele Menschen mit mittlerem Einkommen liegen mit ihrem Einkommen deutlich unter den Vorgaben des nationalen Warenkorbs.
  7. Als Folge fehlender Investitionen haben öffentliche Dienstleistungen insgesamt an Qualität eingebüßt. Das gilt insbesondere für das Trinkwasser, das sich im Zuge der COVID-19-Krise zu einem entscheidenden Faktor entwickelt hat.
  8. Das öffentliche Transportsystem arbeitet ineffizient und wird von mafiaartigen Strukturen beherrscht, die unbehelligt am Rande der Legalität operieren.
  9. Negative Kulturmuster wie die berühmte Philosophie des abgebrühten Opportunismus oder das „Was springt für mich dabei raus?“ sind Teil einer Klientelpolitik der korrupten politischen Parteien, deren Ziel es ist, die öffentlichen Sektoren zu manipulieren.
  10. Die durch verschiedene rechtliche Beschlüsse legitimierte Aufkündigung von über 270.000 Arbeitsverträgen, ein Finanzplan mit dem beschönigenden Namen „Solidarisches Panama“, der sich geizig gegenüber dem Volk und großzügig gegenüber den Banken zeigt und mit Zuschüssen operiert, die gerade mal ein Drittel des Warenkorbs abdecken (der Lebensmittelbedarf wird in Panama so niedrig angesetzt wie fast nirgendwo in der Region), die Ablehnung eines Moratoriumsgesetzes für Schulden und Hypotheken, während trotz der hohlen Versprechungen des Präsidenten immer weiter Menschen aus ihren Wohnungen vertrieben werden, weil sie aufgrund von Arbeitslosigkeit zahlungsunfähig geworden sind – all das trägt dazu bei, die Lage weiter zu verschlimmern.

 

Um mit den Worten des Gesundheitsexperten Dr. Jorge Luis Prosperi zu sprechen: „Dieser Virus breitet sich dort aus, wo am meisten Not herrscht“.

Übersetzung: Lui Lüdicke

 

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