(São Paulo, 19. November 2018, Brasil de Fato).- Die kubanische Regierung kündigte am 14. November den Abzug kubanischer Ärzt*innen aus Brasilien an, die im „Programm Mehr Ärzt*innen“ PMM (Programa Mais Médicos ) mitgewirkt hatten. Das Programm, welches 2013 unter der letzten gewählten Präsidentin Dilma Rousseff eingeführt wurde, ermöglichte Menschen in abgelegenen Regionen wie dem Amazonasgebiet und in Favelas zum ersten Mal Zugang zu medizinischen Behandlungen. Grund für den Abzug ist die Haltung der neu gewählten Regierung unter Jair Bolsonaro, die die Bedingungen für die Zusammenarbeit mit der Initiative verändern möchte. Die kubanische Regierung stuft die Ansagen der zukünftigen Regierung als „bedrohlich und abwertend“ ein. Was bisher wenig diskutiert wurde, ist, was mit den Menschen geschieht, die nun ohne ärztliche Betreuung dastehen, nachdem 8.469 Ärzte das Land verlassen haben.
Betroffen von dem zukünftigen Ärztemangel sind vor allem Schwarze und Arme
Für die ehemalige Leiterin des Programms in Rio de Janeiro, Ana Marta da Silva Santos, ist die Handlung der Regierung Bolsonaros eindeutig rassistisch, denn 70 Prozent der Patient*innen von PMM sind Schwarze. In einem Interview mit Brasil de Fato sagt sie: „Wen trifft es am Härtesten und wer wird am ehesten von der fehlenden ärztlichen Betreuung betroffen sein? Es sind zum Großteil Schwarze; die Mutter von zehn Kindern in der Favela; die Mutter, die ihren Lebensraum mit Drogenkriminalität und dem Militär teilt; die Großmutter, die bereits viele Enkel*innen großgezogen hat, ohne ihnen eine Ausbildung und ein Weiterkommen im Leben garantieren zu können und bzw. oder die bereits einige dieser Enkel*innen an den Staat verloren hat, der Schwarze, Arme und Menschen aus Favelas ermordet. Man kann deutlich sehen, dass aktiv diejenigen vernachlässigt werden, die immer schon benachteiligt waren: und zwar die Schwarze Community. Das sind dieselben Menschen, die seit der Kolonialzeit nur die Krümel abbekommen haben. Mit der Gesundheit ist es das Gleiche.“
Santos sieht keine Möglichkeit, die Lücken, die durch das Fortgehen der kubanischen Ärzt*innen entstanden sind, mit brasilianischen Ärzt*innen zu füllen, wie es das Gesundheitsministerium vorschlägt. Am 20. November sollten die Stellen, die vorher mit kubanischen Ärzt*innen besetzt waren, ausgeschrieben werden. „Ich könnte niemals sagen, dass das nicht klappen wird, weil ich will, dass es klappt. Ich will es für die Schwarzen Schwestern und Brüder, die Zugang zu medizinischer Versorgung brauchen, um ihren physischen und emotionalen Schmerz zu lindern. Allerdings reicht die Zahl der brasilianischen Ärzt*innen dafür nicht aus“, beklagt Santos.
Anders als in Brasilien sind Schwarze Ärzt*innen in Kuba völlig normal
Ana Marta Santos stammt aus Bahia im Nordosten Brasiliens und hat sieben Jahre Medizin in Kuba studiert. Nach ihrem Abschluss kehrte sie nach Brasilien zurück. Sie arbeitete dort in der Gesundheitsverwaltung im Bundesstaat Bahia und spezialisierte sich auf Familienmedizin. Die Anerkennung für ihr Diplom legte sie an der Staatlichen Universität des Bundesstaates Paraíba UFPB ab. Von 2015 bis 2017 war Santos Leiterin vom PMM in Rio de Janeiro, wo sie die aus Kuba ankommenden Ärzt*innen betreute und Ansprechpartnerin für das Programm war. Der Umgang mit den kubanischen Ärzt*innen in Brasilien zeigte ihr ein mal mehr, was institutioneller Rassismus bedeutet. Santos, die auch zu den Themen öffentliche Gesundheit und afrobrasilianische Mediziner*innen forscht, sagt dazu: „Die soziale Struktur in Kuba unterscheidet sich stark von der in Brasilien. Dass man in der Medizin sowohl Schwarze als auch Weiße antrifft, ist etwas sehr Normales. Doch hier wissen wir, wer die Privilegierten sind, wer die Stühle an den Universitäten besetzt, in denen die Kinder der Elite ausgebildet werden. Als eine große Anzahl Schwarzer Ärzt*innen aus Kuba eintraf, wurden sie behandelt wie die erste Gruppe Kubaner*innen, die damals in Brasilien ankam. In Fortaleza beschimpften sie sie als Affen und sagten einer Ärztin, dass sie aussehe wie eine Hausangestellte – und das, weil die kubanischen Ärzt*innen aussehen wie eben Menschen aus Kuba aussehen, genau wie wir, wie Schwarze Brasilianer*innen aussehen, wie Menschen aus der brasilianischen Bevölkerung.“
Eine Untersuchung aus dem Jahr 2014 von der Universität Rio de Janeiro URFJ zeigte, dass nur 17,6 Prozent aller Ärzt*innen in Brasilien sich als Schwarz bezeichnen. Gleichzeitig zeigt die staatliche Antidiskriminierungsstelle SEPPIR (Secretaria Especial de Políticas de Promoção da Igualdade Racial), dass 70 Prozent der Menschen, die auf Leistungen des öffentlichen Gesundheitssystems angewiesen sind, Schwarze sind.
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