Torres oder Arévalo?

(Guatemala-Stadt, 17. August 2023, amerika21).- In mehreren Städten Guatemalas haben am vergangenen Sonntag (13.8.) tausende Menschen für die Verteidigung der Demokratie und einen fairen Wahlprozess demonstriert. Die Stichwahl um die Präsidentschaft findet am Sonntag, 20. August statt.

Der größte Marsch fand in der Hauptstadt statt. Die Teilnehmer*innen zogen mit zwei Zwischenstopps vor der Industriekammer und dem Obersten Gerichtshof zum zentralen Platz der Verfassung, berichtete der Fernsehsender Telesur. Zu der Demonstration hatten der Zusammenschluss „Convergencia Nacional de la Resistencia“ verschiedener sozialer Organisationen sowie „Journalisten für die Demokratie“ aufgerufen.

Angriffe der Staatsanwaltschaft auf Movimiento Semilla

Im Mittelpunkt der Proteste standen die fortgesetzten Angriffe der Staatsanwaltschaft auf die sozialdemokratische Partei Movimiento Semilla, die überraschend bei den Wahlen am 25. Juni den zweiten Platz erreicht hatte. Sie tritt mit ihrem Kandidaten Bernardo Arévalo zur Stichwahl für die Präsidentschaft am 20. August gegen Sandra Torres von der Partei „Einheit der Nationalen Hoffnung“ (UNE) an.

Mitte Juli hatte die siebte Strafkammer in Guatemala-Stadt nach Ermittlungen der Sonderstaatsanwaltschaft angekündigt, die Partei Semilla wegen angeblicher Unregelmäßigkeiten bei den Mitgliederlisten auszuschließen. Zwar hob das Verfassungsgericht den Beschluss wenige Tage später auf, allerdings nur für den laufenden Wahlprozess. Eine Klage von Semilla wies das Verfassungsgericht zurück, so dass der Prozess der Suspendierung der Partei weiterhin offen ist.

Stimmenkauf befürchtet

Parallel zu den Protesten in der Hauptstadt fanden in mehreren Hauptstädten der Departamentos kleinere Kundgebungen statt. In der zweitgrößten Stadt Quetzaltenango versammelten sich knapp hundert Menschen am Vormittag im Parque Central. In einer von verschiedenen sozialen Bewegungen verfassten Erklärung wurde die „Besorgnis“ ausgedrückt, dass der „Volkswille bei den Wahlen nicht berücksichtigt wird“. Abgesehen von den Angriffen seitens der Staatsanwaltschaft ging es auch um die Befürchtung von „Stimmenkauf“ seitens der UNE, „in einem Land, in dem 70 Prozent der Menschen unter Bedingungen von Armut und Ungleichheit leben“.

Percy Aguilar Argueta, der bei den Wahlen am 25. Juni noch für die linke „Bewegung für die Befreiung der Völker“ (MLP) für das Bürgermeisteramt kandidiert hatte, nannte Semilla „bei den aktuellen Wahlen die einzige Option“. Hinter Torres stünde „der Pakt der Korrupten“. Diese Unterstützung für den sozialdemokratischen Kandidaten sei allerdings seine „private Initiative, die MLP als ganzes habe diese Unterstützung nicht beschlossen“, erklärt er im Gespräch mit amerika21.

Linke Unterstützung für Semilla

Die zweite linke Partei im Land, die ehemalige Guerillaorganisation Vereinigte Nationale Revolutionäre Einheit Guatemalas (URNG) sieht dies anders. Trotz „mancher ideologischer Unterschiede unterstützt die Partei Semilla im zweiten Wahlgang“, erklärte ihr Generalsekretär Carlos Barrios gegenüber amerika21.

Der Wahlkampf selbst geht mittlerweile in die Endphase. Semilla krönte seine im ganzen Land gut besuchten Wahlkampfveranstaltungen am Mittwoch in der Hauptstadt mit dem offiziellen Wahlkampfabschluss „Festival des Frühlings“. Das Motto spielt auf den demokratischen Frühling nach der Revolution im Oktober 1944 an. Juan José Arévalo, Vater des aktuellen Präsidentschaftskandidaten Bernardo Arévalo, war ab 1945 der erste demokratisch gewählte Präsident Guatemalas.

Sandra Torres blinkt nach rechts

Sandra Torres bemüht sich indes um eine Allianz mit den rechten politischen Kräften im Land und erhält dabei auch Unterstützung von rechts außen. Die ultrarechte „Stiftung gegen den Terrorismus“ finanzierte großflächige Plakate im Land, auf denen zu lesen ist: „Auch Venezuela wollte einen Wechsel… alle außer Semilla“, berichtete La Hora Ende Juli.

Dass die UNE, die in ihren Anfangsjahren nach der Parteigründung 2002 teilweise linke Postionen vertrat, im aktuellen Wahlkampf vor allem um Stimmen im rechten und konservativen Lager bemüht ist, zeigte sich auch bei einer Fernsehdebatte am 14. August auf Canal 7. Zuvor hatte Torres eine Einladung zu einer Debatte im wichtigen Nachrichtensender Guatevision kurzfristig noch abgesagt, dieses Mal war sie anwesend.

Während Arévalo weitgehend sachlich seine Vorstellungen von der Entwicklung des Landes, dem Ausbau des Gesundheits- und Bildungssystems und der Kriminalitätsbekämpfung erklärte, fiel Torres immer wieder durch direkte Angriffe auf. Die „Gender-Ideologie“ bedrohe die Familie, sie wolle sich dafür einsetzen, „die Gender-Ideologie zu verbieten“. Das „Eintreten für sexuelle Vielfalt ist auch Teil der Korruption“, vertrat Torres. Arévalo erklärte, seine Partei strebe keine Veränderungen im Familienrecht an, auch keine Veränderungen im existierenden Abtreibungsverbot. Torres wies wiederholt darauf hin, das Arévalo Uruguayer und kein Guatemalteke sei. Arévalo wurde 1957 im Exil in Uruguay geboren, wohin sein Vater nach dem US-finanzierten Putsch von 1954 fliehen musste.

Keine Partei wird sich gegen den „Pakt der Korrupten“ durchsetzen können

In der knapp zweistündigen Debatte wiederholte Torres mehrfach die Vorwürfe der Staatsanwalt über Unregelmäßigkeiten bei der Gründung von Semilla. Arévalo wies die Behauptungen als falsch, politisch motiviert und Teil der „schwarzen Kampagne“ zurück.

Ein jüngster Kommentar von Itzamná Ollantay, Jurist, Theologe und Anthropologe, vertrat kurz vor dem zweiten Wahlgang die Einschätzung, dass „keine der beiden politischen Parteien die Gültigkeit des neoliberalen Systems in Guatemala in Frage stellt“ und sich gegen die wirtschaftliche Macht des „Paktes der Korrupten“ werde durchsetzen können.

CC BY-SA 4.0 Torres oder Arévalo? von Nachrichtenpool Lateinamerika ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert