von Bettina Hoyer
(Berlin, 28. März 2010, npl).- Konflikte zwischen Naturschutz und Landwirtschaft in Ecuador, Mexiko und Deutschland
Aldo González ist Zapoteke. Aus dem mexikanischen Bundesstaat Oaxaca. Dort sei die Artenvielfalt in Mexiko am größten, erzählt er. Mexiko ist überhaupt eines der fünf Länder, die weltweit die größte Artenvielfalt aufweisen. Warum also, fragt González, schwärmen seit dem Erdgipfel in Rio 1992 Umweltschützer*innen und internationale Organisationen in genau diese Region aus, um der dortigen, zumeist indigenen Landbevölkerung, die in Subsistenzwirtschaft Flächen von höchstens zwei Hektar bewirtschaftet und damit fünf bis sechs Personen ernähren kann, zu erklären, sie hätten keine Ahnung, wie man die Natur erhält und schützt – darum würden die Umweltschützer*innen diese Aufgabe jetzt übernehmen? Und dies, obwohl doch die Natur nur deshalb so vielfältig sei, weil die Bauern mit der Mutter Erde auf eine bestimmte Weise umgegangen sind? „Warum gehen die Umweltschützer nicht dorthin, wo die mexikanische Natur kaputt gewirtschaftet worden ist, und sorgen in jenen Gebieten aufs Neue für eine höhere Artenvielfalt?“, fragt er in die Runde.
An der Universität Hohenheim haben sich am 22. März etwa 20 Wissenschaftler*innen, Kleinbauern und –bäuerinnen aus Süddeutschland, Vertreter*innen von Umwelt– und Naturschutzorganisationen sowie einige Student*innen zusammengefunden. Zu Gast sind Ana de Ita, Leiterin des agrarpolitischen Forschungszentrums für den Wandel im ländlichen Raum Mexikos CECCAM (Centro de Estudios para el Cambio en el Campo Mexicano), Aldo González, der den Bereich indigene Rechte beim zapotekischen Verband UNOSJO (Union de Organizaciones de la Sierra Juarez, Oaxaca) leitet und Benjamin Inuca vom indigenen Volk der Kichwa aus Otavalo in Ecuador. Inuca ist Vertreter des Forschungsnetzwerkes zur Agrarproblematik in Ecuador SIPAE (Sistema de la Investigación de la Problemática Agraria del Ecuador).
Zu Beginn erklärt Wolfgang Seiss von der Initiative „Entre Campos & Entre Pueblos – Zwischen Land und Leuten“, die zu diesem Gespräch eingeladen hatte, dass in der jahrelangen Arbeit mit lateinamerikanischen Aktivist*innen und Organisationen auf den Gebieten Gentechnik und Saatgut immer wieder das Thema der Bedrohung indigener Völker und lokaler Gemeinden durch die Einrichtung von Schutzgebieten aufgetaucht sei. Daraus habe sich die Idee zum Fachgespräch entwickelt, das zunächst einmal dem Austausch der Akteur*innen über deren jeweilige Situation dienen solle.
Scheren im Kopf
Unterschiedliche Perspektiven bzw. Konzepte von Naturschutz schälten sich schnell als ein wesentlicher Aspekt des Austauschs heraus. Siegfried Jäckle vom Forum Pro Schwarzwaldbauern, der lange Jahre sowohl als Naturschutzbeauftragter als auch in der Landwirtschaftsbehörde tätig gewesen war, beklagt für Deutschland das Auseinanderklaffen von Biologie und Landwirtschaft in der Wissenschaft. Diese „extreme Teilung“ werde bereits in den Ausbildungsgängen regelrecht gepflegt: „Wenn wir heute soviel über Nachhaltigkeit reden, müssen wir im Bildungssystem ansetzen, damit wir die Dinge wieder zusammenbringen, die zusammengehören“, so Siegfried Jäckle. Zu diesem Aspekt gehört wohl auch sein Hinweis auf die Trennung von Landwirtschaft und Landschaftspflege in Deutschland: „Es gibt Flächen, die mit großen Maschinen bewirtschaftet werden, und es gibt die Flächen am Rand, wo man mit den Maschinen nicht hinkommt – und die müssen wir dann halt ,pflegen`.“ Eigentlich müsse aber gegen den immensen Flächenverbrauch für Bauland, Siedlungen, Industriegebiete usw. angegangen werden, denn dies sei das eigentliche Problem. Es treibe die nachhaltig wirtschaftenden Bauern und Bäuerinnen, die im Schwarzwald Höfe mit einer Größe von etwa 20 bis 100 Hektar bewirtschafteten, ins Abseits, so Siegfried Jäckle weiter.
Für ihn sei außerdem bereits der Begriff „Biodiversität“ problematisch, ebenso wie auch große Teile der Aktivitäten des klassischen Naturschutzes, weil „sich Naturschutz dabei auf den Schutz bestimmter, vom Aussterben bedrohter Arten konzentriert und dabei vernachlässigt, dass zu jeder Art ein bestimmtes System, eine bestimmte Form der Bewirtschaftung gehört“. Ebenso wie Aldo González unterstreichen auch die Landwirt*innen aus Deutschland, dass Flächen, wie etwa die Mähwiesen von Kleinbauern und –bäuerinnen häufig einen so großen Artenreichtum aufweisen, dass die Flächen dann unter Schutz gestellt werden sollen. Die Behörden und Institutionen würden bei den damit einhergehenden Regularien nicht berücksichtigen, dass diese Artenvielfalt aufgrund der extensiven Bewirtschaftung – die meist mit einem hohen Flächenverbrauch aber geringen Eingriffen verbunden ist – durch die Landwirt*innen und deren Vorfahren entstanden sei. „Wir haben es bisher nicht geschafft, die Stabilität von Pflanzenbeständen in der Agenda des Themas Biodiversität und Nachhaltigkeit in Bezug zu Naturschutz und Landwirtschaft bewusst zu machen“, so Siegfried Jäckle.
Ana de Ita von CECCAM ergänzt, dass sich 166 von 180 in Mexiko ausgewiesenen Schutzgebieten in indigenen Territorien befinden. Dadurch werde deutlich, dass die Gebiete mit der höchsten Biodiversität dort liegen, wo nach der indigenen Kosmovision bewirtschaftet werde. Diese stellt den Menschen nicht über die Natur. Bei der Ausweisung von Schutzgebieten werde allerdings nicht berücksichtigt, dass der enorme Artenreichtum durch die Bewirtschaftung gemäß den Prämissen der indigenen Kosmovision zustande gekommen sei und diese Kosmovision auch zum Erhalt der Artenvielfalt wichtig sein könnte, so Ana de Ita. Bei der – sowohl von deutschen, als auch von lateinamerikanischen Teilnehmer*innen – angeführten Argumentation, dass die bäuerliche Bewirtschaftung erst zur Artenvielfalt geführt habe, bleibt jedoch offen zu welchem „vorher“ eines nicht so artenreichen Bestandes diese Feststellung in Bezug gesetzt werden soll. Ganz anders argumentiert Christine Fabricius, die als Vertreterin des Bund für Umwelt und Naturschutz BUND an diesem Gespräch teilgenommen hat. Ihrer Ansicht nach solle es gleichwohl Flächen geben, an denen sich der Mensch „völlig raushält“. Dies sei etwa durch meist aus Naturwaldzellen bestehenden Kernzonen von Naturschutzgebieten möglich.
Führt Naturschutz zu Landvertreibung?
Seit 1994, so Ana de Ita, sei die wichtigste Forderung der indigenen Völker in Mexiko die Forderung nach Autonomie über ihre Territorien. Politische und soziale Entscheidungen die ihre Gebiete betreffen, wollen die Völker selbst fällen können. Dieser Forderung stünden die Verordnungen des Präsidenten Mexikos, in denen per Dekret Naturschutzgebiete ausgewiesen werden, jedoch diametral entgegen, so die Soziologin. Die Völker, Kollektive bzw. indigenen Gemeinden wüssten häufig nicht einmal von den Dekreten, die ihre Territorien betreffen und würden ihre Rechte auf Selbstbestimmung oder die Verwaltung ihrer Territorien und vieles mehr verlieren. International habe sich Mexiko außerdem verpflichtet, 20 Prozent seiner Landesfläche unter Schutz zu stellen, so Ana de Ita weiter. Außerdem, so unterstreicht Benjamin Inuca aus Ecuador, sei Misstrauen seitens der indigenen Völker durchaus angebracht: Es gehe oft nicht primär um den Naturschutz sondern eigentlich um den Zugang, die Inwertsetzung und die Ausbeutung von Ressourcen wie etwa Wasser oder Erdöl durch große Unternehmen. Deshalb wolle man die indigenen Völker gern aus diesen Gebieten heraushaben. Ana de Ita schildert Erfahrungen aus der Gemeinde La Chisintla in der Sierra Juárez im Bundesstaat Oaxaca. Die Gemeinde hatte sich dazu bereit erklärt, von ihnen nicht bewirtschaftete Gebiete unter Schutz zu stellen. „Das war nur das Einfallstor“, sagt sie. Es folgten immer neue Regulierungen, die schließlich zur Folge hatten, dass die Einwohner*innen ihre Produktionsweise für den Lebenserhalt nicht hätten aufrecht erhalten können, weil diese durch die Schutzbestimmungen verboten worden war.
Aldo Gonzáles führt ein sehr umstrittenes Beispiel an: die an den Steilhängen der Sierra Juárez übliche Brandrodung für den traditionellen Mischfruchtanbau (Milpa) von Mais. Diese Technik sei den Umweltschützer*innen ein Dorn im Auge: „In unseren Gemeinden werden dafür Bäume gefällt – auch die sehr alten Bäume – dann wird die Vegetation abgebrannt, doch anschließend wird nur ein Jahr lang Mais angebaut. Dann lassen wir die Erde ausruhen. Schon nach einem weiteren Jahr sind die gerodeten Hügel wegen der hohen Luftfeuchtigkeit wieder grün, der Aufwuchs geht schnell. Viele der Techniken, die in unserer landwirtschaftlichen Produktion benutzt werden, sind das Erbe unserer Vorfahren. Sie wurden über hunderte von Jahren weitergetragen und wir meinen, dass diese Techniken respektvoll mit der Natur umgegangen sind. Dort, wo die so genannte moderne Landwirtschaft von außen Einzug gehalten hat, wurde alles abgeholzt, intensive Produktion begonnen und man lässt die Erde nicht ausruhen.“
Zum Teil sehr ähnliche Forderungen wurden seitens der Schwarzwaldbauern und –bäuerinnen erhoben. Mit der Umsetzung des EU–Programms Natura 2000, das den länderübergreifenden Schutz gefährdeter wildlebender heimischer Pflanzen– und Tierarten und ihrer natürlichen Lebensräume bewirken soll, wurde nach den Worten von Christine Fabricius vom BUND in vielen Bundesländern viel zu spät begonnen und die Bauern nicht mit einbezogen. Stattdessen schickte man Kartierer*innen, die einzig und allein auf der Suche nach schützenswerten Arten waren. Ob die Bauern und Bäuerinnen mitmachen würden, sei bei diesem EU–Programm kein Kriterium gewesen, so Christine Fabricius weiter. Ebenso habe man die Bauern und Bäuerinnen nicht oder nur schlecht darüber informiert, was für Folgen die Ausweisung eines solchen Gebietes für die Landwirt*innen habe. Maria Schmider, ebenfalls vom Bündnis Pro Schwarzwaldbauern moniert daher, ebenso wie die Gäste aus Ecuador und Mexiko, die mangelnden Partizipations– und Entscheidungsmöglichkeiten der Eigentümer*innen sowohl bei der Ausweisung als auch bei den Bestimmungen bezüglich der geschützten Flächen: „Das passiert schon auf der kleinsten Ebene beim Bürgermeister: Wenn man über die Köpfe der Eigentümer hinweg entscheidet, gehen automatisch die Türen zu. Man kann nicht mehr miteinander reden. Das ist das Schlimmste, was passieren kann. Ich will mich auch lieber als Naturbewahrer sehen statt als Naturzerstörer, aber da werden im Vorfeld schon Wege beschritten, die dies ausschließen.“
Gemeingut oder Eigentum
Ein umstrittenes Thema sind finanzielle Ausgleichszahlungen an Landwirt*innen für Maßnahmen, die der Sicherung und Entwicklung der biologischen Vielfalt sowie dem naturnahen Naturerleben dienen. Christine Fabricius kritisiert die mangelnde Bereitschaft der Landwirt*innen, damit verknüpfte „gesellschaftliche“ Auflagen dann auch einzuhalten – während von bäuerlicher Seite bemängelt wird, dass die Vorschriften praxisfern seien. Aldo Gonzáles erklärt, dass in der Region Oaxaca die Ausgleichszahlungen generell abgelehnt würden, weil die Höhe der Inwertsetzung von Ressourcen ohne Partizipation der indigenen Völker festgesetzt werde. Benjamin Inuca hingegen berichtet, man lehne Ausgleichzahlungen nicht kategorisch ab, aber würde sie gründlich prüfen wollen.
„Naturschützer haben eher die Vorstellung: die Umwelt, das Land, gehört der Gesellschaft, das gehört uns allen. Die Landwirte sagen hingegen: Hier wohne ich, das gehört mir. Wie viel Anspruch hat die Gesellschaft aber auf das Land, auf die Umwelt – und im weitesten Sinne auch auf die Ressourcen, die da zufällig verteilt sind und wie viel Anspruch hat der Eigentümer?“ Die von Christine Fabricius so deutlich gestellte Frage wird im Verlauf des Austauschs immer wieder in verschiedenen Facetten aufgegriffen. Wer entscheidet etwa über Fragen, die indigene Territorien betreffen? Wer darf Gemeinwohlinteresse anmelden? Wozu geschieht das? Benjamin Inuca aus Ecuador bemerkt hierzu, man müsse immer fragen, wem diese „Enteignung“, Inwertsetzung und Ausbeutung von Ressourcen nütze. „Solange Staaten damit fortfahren, Fortschritt in Bruttoinlandsprodukt zu messen und Devisen erwirtschaften zu wollen, solange werden wir immer diese Ungerechtigkeit haben. Es müssen andere Indikatoren geschaffen werden, die sich am Leben orientieren“, so Benjamin Inuca weiter.
Globalisiertes Hamsterrad?
In Mexiko sind seit dem Inkrafttreten des Freihandelsabkommens NAFTA im Jahr 1994 und der Einfuhr von in den USA subventioniert produziertem Mais die Preise für Mais so stark gefallen, dass viele Kleinbauern und –bäuerinnen aufgeben, weil sie aus den Überschüssen der Subsistenzwirtschaft nicht genug Geld erwirtschaften können. „Unsere Bauern gehen in die USA um dort Geld zu verdienen. Davon kaufen dann die Familien in unserer Region Lebensmittel, die bestenfalls industriell in Mexiko, oft aber auch im Ausland produziert worden sind“, erläutert Aldo Gonzáles. In Otavalo, so berichtet Benjamin Inuca, müssen die Indigenen für einen Hungerlohn auf den Blumenfeldern für die Export–Blumenproduktion arbeiten gehen. Die eigenen Felder seien zu klein um die Familien zu ernähren und es gebe ein Problem mit der Wasserzufuhr für die indigenen Gemeinschaften. Aus den Wortbeiträgen geht hervor, dass in Lateinamerika die traditionelle, auf lokale Räume ausgerichtete Subsistenzwirtschaft die zu hoher Biodiversität geführt hat, mit globaler, intensiv betriebener – also mit hohem Kapitalaufwand, etwa für Düngung, Maschinen, Bewässerung und Schädlingsbekämpfung um Höchsterträge zu produzieren verbundener – Landwirtschaft konfrontiert wird.
Bis nach dem Zweiten Weltkrieg hätten auch die deutschen Landwirt*innen von Selbstversorgung gelebt, erklärt Siegfried Jäckle mit Bezug auf die Redebeiträge aus Lateinamerika. „Mit der Modernisierung hat man bei uns die Selbstversorgung aufgegeben und ist vollständig zur Geldwirtschaft übergegangen. Und irgendwo muss jetzt immer das Geld herkommen“, so Siegfried Jäckle weiter. Er führt aus, dass die politischen Förderinstrumente in der Landwirtschaft die Bauern in die intensive Landwirtschaft und ins Hamsterrad der Investitionsförderung treiben würden. Die Förderung betrage immer nur einen Teil der Investitionen, so dass „Investitionen neue Investitionen nötig machen“, wie durch einen Zwischenruf ergänzt wird. Daher müsse, wer etwas verändern wolle, auch dazu bereit sein, das System grundsätzlich zu modifizieren. Die extensive Landwirtschaft mehr zu fördern, Naturschutz von der Agrarindustrie zu fordern, das wäre wohl ein Weg – darin scheinen sich alle einig. Warum dies schwierig ist?
Eine Antwort von der Bäuerin Maria Schmider: „Das will natürlich keiner angehen, denn wir sind ja nicht abgeschottet, stattdessen geht inzwischen alles über Europa hinaus. Jeder hat Angst, der Verlierer zu sein, wenn man weniger macht. Wenn ich weniger mache, könnte dadurch ja ein anderer wieder mehr machen und mich ausbooten. Das Schizophrene an all dem ist ja nicht nur die Intensivierung in unseren eigenen Landkreisen, sondern, dass wir uns unsere Energie in Südamerika holen, sie dann in unserer Überproduktion verbraten, damit wir ein recht billiges Nahrungsmittel – ich sag jetzt nicht mehr Lebensmittel, sondern Nahrungsmittel – haben, das wir auf Halde produzieren, um den Preis niedrig zu halten und eventuell dann auch noch auf den Müll zu schmeißen. Aber, welcher Verbraucher ist denn heute noch bereit, dem Bauer das Geld zu geben, was er tatsächlich zum Leben bräuchte?“
Das Treffen hat deutlich werden lassen, dass die Konfliktlinien zwischen Naturschutz und kleinbäuerlicher Landwirtschaft sowohl in Deutschland als auch in Ecuador und Mexiko häufig sehr ähnlich verlaufen, aber die Ausgangssituationen unterschiedlich sind. Ein wirkliches Gespräch kam nicht zu Stande, dazu wusste man zu wenig übereinander und die Fragestellungen waren zu komplex. Aber es war ein Austausch. Ein notwendiger, den es sicher lohnen würde zu vertiefen.
Same same but different? von Nachrichtenpool Lateinamerika ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.
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