Neuer Ölrausch gefährdet Klimagipfel COP30

Bohrinsel von Petrobas in Brasilien. Foto: Agência Brasil via wikimedia commons, CC BY 3.0 BR.

(Brasilia,  20. Oktober 2025, Agência Pública).- Am 20. Oktober, genau drei Wochen vor Beginn der 30. UN-Klimakonferenz in Belém, auf der wirksame Klimaschutzmaßnahmen zur Begrenzung der weltweiten Erwärmung auf 1,5 °C beschlossen werden sollen, unternahm Brasilien einen Schritt, der in der Praxis nur eines bewirkt: Der Ofen, zu dem sich die Erde entwickelt, wird weiter angeheizt. Damit entsteht ein zusätzliches Hindernis für den Erfolg des Gipfels.

Nach einem Kräftemessen, das im März 2023 begann – als der Präsident der brasilianischen Umweltbehörde Ibama, Rodrigo Agostinho, zunächst den Antrag von Petrobras auf eine Lizenz zur Ölsuche im sensiblen und wenig erforschten Mündungsbecken des Amazonas ablehnte – erhielt das brasilianische Mineralölunternehmen schließlich die Genehmigung, eine Erkundungsbohrung im sogenannten Block 59 durchzuführen, 175 Kilometer vor der Küste des nördlichen Bundesstaates Amapá.

Auf dem Papier handelt es sich um eine Lizenz für eine Probebohrung, um zu prüfen, ob es in der Gegend tatsächlich Öl in nennenswerter Menge gibt, sodass sich eine spätere Förderung lohnen würde. Doch sie öffnet den Weg für weitere Bohrungen in derselben Region. Sollte dort tatsächlich Öl gefördert werden, würde bei seiner Verbrennung eine erhebliche Menge Kohlendioxid freigesetzt – und damit die Erwärmung des Planeten weiter vorangetrieben werden.

Petrobras: Von der Auktion zur Ölbohrlizenz

Am 17. Juni wurden auf einer Auktion der Nationalen Ölagentur ANP, bei der 172 Ölblöcke im Land angeboten wurden, weitere 19 Blöcke im Mündungsbecken des Amazonas versteigert. Zehn davon gingen an ein Konsortium aus Petrobras und Exxon Mobil, die übrigen neun an ein Konsortium aus Chevron Brasil und CNPC Brasil, der brasilianischen Tochtergesellschaft der China National Petroleum Corporation.

Im gesamten Äquatorialrand – einem Küstenstreifen, der sich von Amapá, wo sich die Amazonasmündung befindet, bis zum Bundesstaat Rio Grande do Norte erstreckt – plant Petrobras bis 2029 insgesamt 15 Bohrlöcher mit einem Investitionsvolumen von drei Milliarden US-Dollar. Der Block 59 ist somit nur die Eintrittspforte. Sollte er sich als förderwürdig erweisen, würde er den Weg für die Erschließung der übrigen Blöcke freimachen.

Ein Großteil der Diskussionen der letzten zweieinhalb Jahre drehte sich um die Risiken eines möglichen Austritts von Erdöl für die Biodiversität (in der Gegend gibt es ausgedehnte Mangrovenwälder und Korallenriffe) und für die in der Region lebenden Gemeinschaften. Die besonderen Bedingungen an der Amazonasmündung, mit sehr starken Strömungen infolge der gewaltigen Wassermassen, die der Fluss ins Meer trägt, stellen eine zusätzliche Herausforderung für die Eindämmung von Ölverschmutzungen dar.

In einem Gutachten vom Mai 2023 hatte Agostinho die Ablehnung mit „einer Reihe technischer Unstimmigkeiten“ im Verfahren begründet. „Ohne jeden Zweifel hatte Petrobras alle Möglichkeiten, kritische Punkte seines Projekts zu verbessern, doch dieses enthält weiterhin besorgniserregende Unstimmigkeiten in Bezug auf einen sicheren Betrieb in einem neuen Erkundungsgebiet mit hoher sozioökologischer Verwundbarkeit“, argumentierte er damals.

Er legte den Prozess jedoch nicht zu den Akten, sodass das Unternehmen Berufung einlegen konnte, indem es neue Daten und Verbesserungen vorlegte – etwa ein Reinigungszentrum für Tiere, die bei einem Leck kontaminiert werden könnten. Mehrfach wiesen die Fachleute der Ibama jedoch darauf hin, dass keine ausreichenden Sicherheitsgarantien vorlägen. Entgegen der Empfehlung seines Teams ließ Agostinho das Verfahren dennoch weiterlaufen. Nun wurde es abgeschlossen – offenbar im Einvernehmen mit den Fachkräften.

Expert*innen: Eine auf Erdöl basierende Entwicklung ist widersprüchlich

Um eine Politisierung zu vermeiden und um einen reibungslosen Ablauf ohne politische Einmischung zu gewährleisten, hat die Umweltministerin, Marina Silva, mehrfach betont, dass es sich um eine rein technische Analyse handele.

Ebenfalls wies sie wiederholt darauf hin, dass die Energieplanung des Landes nicht in den Zuständigkeitsbereich ihres Ministeriums falle – eine Antwort auf die Vorwürfe, Brasilien wolle zugleich Umweltvorreiter sein und dennoch den Ausbau des klimaschädlichsten Brennstoffs der Welt vorantreiben. Dennoch hat sie sich nie gescheut, ihre ablehnende Haltung gegenüber den Bestreungen eines großen Teils der Regierung, einschließlich des Präsidenten Lula, zu zeigen, die Ölreserven bis zum letzten Tropfen auszubeuten. Marina Silva und der Umweltbereich der Regierung sind sich der Folgen dieser Pläne sehr bewusst.

So veröffentlichte der Nationale Verband der Umweltfachkräfte (Ascema Nacional), zu dem auch die Ibama-Fachleute gehören, wenige Stunden nach Bekanntgabe des Beschlusses eine kritische Stellungnahme.

Darin heißt es, die Entscheidung sei „technisch fundiert“, doch das Verfahren zur Umweltlizenzierung bewerte lediglich die „Risiken des Betriebs, die Schadensbegrenzungspläne und die potentiellen lokalen soziökologischen Folgen, die in dieser Region von extremer ökologischer Sensibilität besonders hoch sind, auch unter dem Gesichtspunkt, dass sie Heimat traditioneller Bevölkerungen ist, deren Existenz von der Gesundheit des Ökosystems abhängt“. Nicht berücksichtigt würden hingegen die „sich aus der Verwendung des Endprodukts ergebenden Folgen“, also die Auswirkungen der Verbrennung fossiler Brennstoffe.

„[Die Vergabe der Lizenz] wirft Licht auf einen viel größeren Widerspruch: Das Beharren Brasiliens auf ein Entwicklungsmodell, das auf der Ausweitung der Förderung von fossilen Brennstoffen beruht. Als Spezialisten im Umweltbereich haben wir eine fundierte und kritische Position gegenüber diesem Modell, das wir als rückständig und unvereinbar mit den Herausforderungen der globalen Klimakrise sehen. Wir setzen uns für eine gerechte und wirklich nachhaltige Sozial- und Umweltagenda für das Amazonagebiet ein“, schreiben sie.

Wie groß sind die Auswirkungen der Ölexploration an der Amazonasmündung?

Bereits vor zwei Jahren ließen sich diese Auswirkungen berechnen. Auf Bitten von Agência Pública ermittelten Forscher*innen des Systems zur Schätzung der Treibhausgasemissionen (SEEG), welche Folgen das für Brasiliens Beitrag zur globalen Erwärmung hätte.

Nach den Berechnungen von Felipe Barcellos, vom Institut für Energie und Umwelt (Iema), würden zwischen 4 Milliarden und 13 Milliarden Tonnen von Kohlenstoffdioxid (CO2), dem wichtigsten Treibhausgas, freigesetzt, falls das gesamte Erdöl, was Petrobras im Äquatorialrand vermutet (10 bis 30 Milliarden Barrel), verbrannt würde. Das entspricht etwa der Menge, die die USA (5,3 Milliarden) und China (12,3 Milliarden Tonnen) im Jahr 2020 ausgestoßen haben.

Dies würde den gesamten Erfolg für den Planeten zunichtemachen, den Brasilien erzielen könnte, wenn es gelänge, die Abholzung des Amazonas vollständig zu stoppen. Heute ist die Zerstörung der Wälder die größte Emissionsquelle des Landes. Daher liegt der Fokus zu Recht darauf, die Abholzung zu verringern. Doch mit den Plänen, einer der vier größten Ölproduzenten der Welt zu werden, verspielt Brasilien diese Fortschritte.

Eine angekündigte, aber dennoch überraschende Lizenz

Dass die Lizenz früher oder später erteilt werden würde, stand schon seit einiger Zeit außer Frage. Präsident Lula gilt als lautstarker Befürworter der Ölförderung. Hinter der Genehmigung dieser Aktivität an der Küste von Amapá steckt auch politisches Kalkül: Aus diesem Bundesstaat stammt einer seiner wichtigsten Verbündeten, der Präsident des Bundessenats, der an den möglichen Wahl- und Wirtschaftsgewinnen großes Interesse hat.

Überraschend ist jedoch der Zeitpunkt – so kurz vor der Klimakonferenz. Lula betonte zuletzt immer wieder, dass dies eine „COP der Wahrheit“ sein werde, eine Konferenz, bei der die Länder zeigen müssten, dass sie die wissenschaftlichen Erkenntnisse zur Klimakrise ernst nehmen.

„Diese COP wird zeigen müssen, ob wir an die Erkenntnisse der Wissenschaft glauben oder nicht. Wenn wir Staats- und Regierungschefs der Wissenschaft vertrauen, werden wir Entscheidungen treffen müssen, denn die Gesellschaft wird aufhören, ihren Chefs zu glauben, wenn wir keine Entscheidung treffen. Und dann würden wir, anstelle den Kampf gegen die globale Erwärmung zu stärken, dazu beitragen, die Politik, den Multilateralismus und die Demokratie in Verruf zu bringen. Alle werden verlieren, weil die Klimawandelleugnung gewinnen wird“, sagte er auf einer Veranstaltung während der Klimawoche in New York.

Er forderte die anderen Länder auf, ehrgeizigere Ziele zur Reduktion der Treibhausgase zu präsentieren. Mehrfach hat Lula auch selbst ein Ende der fossilen Brennstoffe gefordert, etwa in seiner Rede auf der COP 28 in Dubai: .: „Es ist Zeit, sich der Debatte über das langsame Tempo der Dekarbonisierung des Planeten zu stellen und auf eine Wirtschaft hinzuarbeiten, die weniger von fossilen Brennstoffen abhängig ist“, betonte er.

Doch Lulas „Wahrheit“ bedeutet, dass Brasilien nicht das erste Land sein wird, das diesen Schritt geht. Während er zu Recht darauf hinweist, dass die entwickelten Länder vorangehen müssen, versäumt er es, einen nationalen Plan zu entwickeln, um auch Brasilien unabhängiger vom Öl zu machen.

Und das ist nicht nur eine interne Inkohärenz, sondern sendet auch ein sehr negatives Signal an die COP, die in Brasilien stattfinden wird. Die Konferenz von Dubai vor zwei Jahren  war die erste, auf der sich die Länder auf einen „Ausstieg aus den fossilen Brennstoffen“ verständigten – in dem Bewusstsein, dass nur so und durch weitere Maßnahmen wie das Ende der Abholzung die Erderwärmung begrenzt werden kann.

Seitdem haben die Diskussionen über die Art und Weise, wie dieser Ausstieg zu bewerkstelligen sei, jedoch wenig Fortschritt gemacht. Die Zivilgesellschaft drängt nun darauf, dass die COP in Belém zumindest einen konkreten „Fahrplan“ für den Ausstieg erarbeitet.

Bei einem Vorbereitungstreffen zur COP, zu dem Minister*innen und Vertreter*innen aus über 70 Ländern vor zwei Wochen nach Brasília kamen, sagte Marina Silba, dass jedes Land anhand der „international vereinbarten Kriterien“ seinen eigenen Routenplan für den Ausstieg aus den fossilen Brennstoffen und aus der Abholzung erstellen müsste. Die COP 30 „könnte helfen, in diese Richtung zu gehen“..

„Es ist ein hochgestecktes Ziel, aber es ist auf Höhe der Herausforderung, unsere Entwicklungs­modelle zu transformieren, bevor sie durch Umstände geändert werden, die uns bereits beeinträchtigen“, sagte sie.

Diese Rede missfiel einigen Ölstaaten, die am Vorbereitungstreffen teilnahmen, darunter Saudi-Arabien, die eine solche Diskussion ablehnten. Das Thema wurde daher nicht offiziell auf die Agenda der COP 30 gesetzt. Angesichts des gesellschaftlichen Drucks hätte es jedoch trotzdem zur Sprache kommen können. Jetzt, nach der Entscheidung der Regierung, die Exploration an der Amazonasmündung zu erlauben, wird es nun schwieriger, dieses Argument glaubwürdig zu vertreten.

Öl an der Amazonsmündung: Sabotage der COP

Nach Ansicht einiger Umweltschützer*innen sabotiert diese Erkundungslizenz die COP selbst. „Es ist eine doppelte Sabotage“, sagte Suely Araújo, Koordinatorin für öffentliche Politik am Observatório do Clima, einem brasilianischem Netzwerk von verschiedenen Umweltorganisationen. „Einerseits handelt die brasilianische Regierung gegen die Menschheit, indem sie im Widerspruch zur Wissenschaft eine weitere Ausbreitung der fossilen Brennstoffe fördert und auf eine stärke Erderwärmung setzt. Andererseits bringt sie die COP30 selbst durcheinander, deren wichtigstes Ergebnis die Umsetzung der Entschlossenheit zur schrittweisen Reduzierung der fossilen Brennstoffe sein muss“, fügte sie hinzu.

Ihrer Ansicht nach hat Lula „seinen Anspruch, Klimavorreiter zu sein, im tiefen Meeresgrund der Amazonasmündung begraben“.

Das Observatório do Clima erklärte in einer Mitteilung, dass es „vor Gericht gehen und die Gesetzwidrigkeiten und technischen Mängel des Lizenzierungsverfahrens, die die Lizenz nichtig machen könnten, anklagen wird“.

 

 

Übersetzung: Christa Röpstorff

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