(Berlin, 17. Mai 2008, npl).- Interview mit Katrin Buhl, Leiterin des Büros der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Sao Paulo, Brasilien, zur politischen Bedeutung des „Tribunals der Völker“, das im Rahmen des Alternativgipfels „Enlazando Alternativas“ vom 13. bis 16. Mai in Lima, Peru, tagte.
npl: Welche Rolle spielt dieses Tribunal im Kampf gegen Menschenrechtsverletzungen?
Katrin Buhl: Es hat in erster Linie eine symbolische Bedeutung. In dem Sinne, dass einem Präsidentengipfel ein Gipfeltreffen der Zivilgesellschaft gegenüber gestellt wird. Gleichzeitig geht es um Inhalte: Verschiedene soziale Bewegungen, Gewerkschaften, Organisationen, stellen ganz konkret vor, welche Auswirkungen Megaprojekte transnationaler europäischer Unternehmen in Lateinamerika haben. Das Gerichtsverfahren hat letztendlich moralischen Charakter, es hat keine juristische Relevanz, ist aber dazu geeignet, diese sonst unsichtbaren Auswirkungen sichtbar zu machen. Und es werden Menschen gehört, die sonst kaum zu Wort kommen. Denn es sind hier nicht nur Intellektuelle und Expert*innen vertreten, sondern Vertreter und Vertreterinnen der betroffenen Bevölkerungsgruppen, die die Möglichkeit haben, ihre Situation öffentlich darzustellen. Dieses Treffen all der Betroffenen, ist nicht zu unterschätzen, denn viele von ihnen sind kaum einmal aus ihren Gemeinden herausgekommen. Hier Gemeinsamkeiten festzustellen, ist ungemein wichtig für das Selbstwertgefühl und die Kraft, die sie in ihrem Kampf brauchen.
npl: Welche positiven oder negativen Auswirkung kann ein solches Tribunal auf die Beziehungen zwischen beiden Kontinenten haben?
Katrin Buhl: Im Vordergrund steht die Vernetzung der einzelnen Gruppen und Bewegungen, um auch in den Herkunftsländern der betreffenden Unternehmen Druck aufbauen zu können. Diese Art von Beziehungen sollen hier ausgebaut werden.
npl: Um welche Art von Fälle geht es im einzelnen?
Katrin Buhl: Ein gutes Beispiel ist der Bau eines großen Stahlwerks im Bundesstaat Rio de Janeiro, Brasilien. Der Hauptinvestor ist Thyssen-Krupp, ein transnationales Unternehmen mit Sitz in Deutschland. Schon zu Baubeginn gab es negative Auswirkung: Die Lebensgrundlage von 43.000 Fischern wird zerstört, weil die angrenzende Bucht von Sebatiba derart verschmutzt wird, dass die Fische sterben und die Fischer ihren Lebensunterhalt verlieren. Außerdem hat ein Schiff des Unternehmens ein Fischerboot gerammt, wobei ein Fischer ums Leben gekommen ist. Es gibt also bereits jetzt grobe Menschenrechtsverletzungen und Umweltschäden. Hinzu kommt, dass dieses Stahlwerk ausschließlich für den Export produzieren wird, also nichts dem brasilianischen Markt zugute kommt, sondern vor allem europäische, US-amerikanische und auch chinesische Unternehmen davon profitieren werden. Die Nutznießer dieses Megaprojektes sind also nicht vor Ort, dafür aber die Geschädigten. Ein anderer Fall handelt von einem norwegischen Fischerei-Unternehmen in Chile, dort sind die Arbeitsbedingungen, insbesondere für Frauen, skandalös, es gibt Umweltverschmutzungen und den ansässigen Fischern wird die Existenzgrundlage entzogen. In anderen Fällen geht es um Korruption, zum Beispiel Schmiergeldzahlungen, um an bestimmte Aufträge heranzukommen. Erdölkonzernen wird wiederum vorgeworfen, beim Verlegen von Leitungen schwere Umweltbelastungen zu verursachen und die Rechte der indigenen Bevölkerung zu missachten.
npl: Wie verstehst du die Rolle einer deutschen Parteistiftung bei der Unterstützung der Arbeit der Betroffenen?
Katrin Buhl: Zum einen können wir dank der Mittel, die uns aus öffentlichen Haushalten zustehen, die Arbeit der betroffenen sozialen Bewegungen unterstützen. Bei dem Fall der Fischer in Rio de Janeiro geht es nicht nur um die Finanzierung der Studie, mit der der Fall hier präsentiert werden konnte. Wir begleiten die Fischer auch in ihrem Widerstand und ihren Versuchen, Alternativen zu finden, gemeinsam mit brasilianischen Organisationen. Gleichzeitig sehen wir unsere Aufgabe darin, in Deutschland und vor allem der Europäischen Union darüber zu informieren, welche Auswirkungen solche Megaprojekte europäischer Unternehmen hier haben, welche Auswirkungen insgesamt politische Entscheidungen der Europäischen Union oder der deutschen Regierung hier in der Region haben. Zudem wollen wir soziale Organisationen aus Lateinamerika mit denen in Europa vernetzen, um Erfahrungen aus politischen Kämpfen oder im Rahmen der politischen Bildung nach Europa zu vermitteln, im Sinne eines gegenseitigen Lernprozesses.
von Andreas Behn, Lima
LATEINAMERIKA – EU: „Im Vordergrund steht die Vernetzung der einzelnen Gruppen und Bewegungen“ von Nachrichtenpool Lateinamerika ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.
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