Lachsindustrie bedroht Patagonien

von Benjamin Witte

(Lima, 09. Oktober 2008, noticias aliadas-poonal).- Während die ehemals blühende Lachsindustrie Chiles weiterhin mit einem tödlichen Virus zu kämpfen hat, siedeln die Fabrikant*innen ihre Zuchtstationen in den saubereren und weniger überfüllten Gewässern Patagoniens an. Die Ausdehnung der Lachszucht in den Süden des Landes soll den Export beleben und die stagnierenden Umsätze der Fischindustrie ankurbeln. Kritische Stimmen befürchten jedoch Umweltprobleme und nachteilige Auswirkungen für die ortsansässigen Fischer*innen sowie für die wachsende Tourismusindustrie im äußersten Süden Chiles.

Im Rekordjahr 2006 erwirtschaftete die Lachs- und Forellenzucht einen Umsatz von 2,2 Milliarden US-Dollar. Allein zwischen 2003 und 2006 stiegen die Erlöse im Exportbereich um durchschnittlich 22 Prozent pro Jahr. Einschlägigen Wirtschaftsprognosen zufolge sollte Norwegen als wichtigster Fischlieferant binnen kurzer Zeit von Chile überholt werden.

Doch seither hat das „orange Gold” viel von seinem Glanz eingebüßt. Anfang 2007 wurden Gerüchte um die sogenannte Seelaus, auch Caligus genannt, laut. Die parasitischen Krustentiere setzen sich am Fisch fest und fügen ihm große Wunden zu. Durch die Verletzungen verlieren die Fische an Wert, erreichen nicht mehr ihre volle Körpergröße und sind anfällig für eine Reihe von teilweise tödlichen Erkrankungen.

Wie im Juli letzten Jahres von Wissenschaftler*innen bestätigt wurde, hat man eine dieser Krankheiten auch in chilenischen Gewässern nachgewiesen. Die infektiöse Anämie der Lachse, kurz ISA (Infectious Salmon Anaemia) wird von einem sehr ansteckenden Virus hervorgerufen, der für Fische tödlich sein kann, jedoch nicht auf Menschen übertragbar ist.

Nachdem der Virus zuerst in einer Fischzucht auf der Insel Chiloé nachgewiesen wurde, hat er sich seither kontinuierlich in der gesamten X. Region, in der sich nach wie vor die wichtigsten Zentren der Lachsindustrie befinden, sowie in der XI. Region ausgebreitet.

Insgesamt sind über 70 Zuchtstationen von der Krankheit betroffen. Gemeinsam mit den steigenden Ölpreisen und dem Fall des US-Dollars hat dies zu einem deutlichen Niedergang der Industrie geführt. Die Exporterlöse stiegen im Jahr 2007 nur um zwei Prozent. In diesem Jahr konnte überhaupt kein Wachstum verzeichnet werden. Als Folge wurden Zuchtstätten und Fischfabriken geschlossen. Mehr als 2.000 Menschen verloren ihren Arbeitsplatz.

„In der Geschichte der Fischindustrie gab es bereits so einige Krisen, und ich denke, wir haben es hier einfach mit einer weiteren Krise zu tun“, erklärte Carlos Odebret, Sprecher des Verbands privater Lachshersteller SalmonChile. „Immer, wenn ein neuer Virus oder eine neue Bakterie in den Gewässern nachgewiesen wird, stehen wir vor dem Problem, wie wir den neuen Parasiten unter Kontrolle bekommen. Das Wasser ist genauso schwierig zu kontrollieren wie die Luft.“

Auf Alternativen zu den überfüllten und vom Parasitenbefall betroffenen Gewässern der X. Region angewiesen, interessieren sich die Industriellen zunehmend für Aysén und Magallanes, die Regionen XI und XII. Nach Angaben des Wirtschaftsministeriums liegen derzeit 1.000 Anträge für die Eröffnung von Lachsstationen im äußersten Süden Chiles vor.

Für Magallanes wurden im vergangenen Jahr über 900 eingegangene Anträge gezählt. Diese stattliche Anzahl überrascht insbesondere vor dem Hintergrund, dass der nationalen Fischereibehörde SERNAPESCA in den letzten 20 Jahren insgesamt nur etwa 500 Anträge vorgelegt wurden. Zur Zeit stammt nur etwa ein Prozent der Erzeugnisse der Fischindustrie aus Magallanes.

„Es ist ungeheuer wichtig, dass diese Industrie weiter wächst. Wir wissen nicht, wie es mit der internationalen Krise weitergeht. Weder hier noch in den USA weiß man, was da noch auf uns zukommt. Fest steht jedoch, dass die Nachfrage nach Produkten aus der Fischindustrie weiter ansteigt. Deshalb müssen wir uns in andere Gebiete ausdehnen, um diese Nachfrage zu befriedigen“, erklärte Odebret. „Wichtig ist aber auch, wie dieses Wachstum aussieht. So ein Wachstum wie das von damals ist heute nicht mehr möglich.“

Jedoch nicht alle sind so optimistisch, wenn es um die Ausdehnung der Industrie nach Süden geht. Vergangenen Juni erklärten offizielle Stellen der XII. Region, der Virus ISA habe die Grenze zu Aysén überschritten und sei auf dem Weg nach Magallanes. Auch wenn es sich bei den nachgewiesenen Parasiten vermutlich um Einzelfälle handelte, schlug die Nachricht ein wie eine Bombe und brachte den Widerstand vor Ort auf den Plan.

In Puerto Natales, in der Nähe des berühmten Naturparks Torres del Paine in Patagonien, gründeten Vertreter*innen von Fischereibetrieben und Touristikunternehmen das Gremium CSPSS (Coordinadora Social Patagonia Sin Salmoneras), um die Einrichtung von Lachszuchtstationen zu verhindern.

Lachszuchtstationen seien eine Belastung für die Umwelt und geschäftsschädigend für die sonstigen Fischereibetriebe, die Lachsindustrie vertrage sich außerdem nicht mit der Touristikbranche. Mit diesen Argumenten stützt die Initiative ihre Forderung, eine weitere Ausdehnung der Lachsindustrie nach Süden zu stoppen. Auch in Punta Arenas hat eine Gewerkschaft von Kapitänen dasselbe Vorgehen gewählt.

„Mit großer Besorgnis haben wir verfolgt, wie sich die Industrie mit größter Selbstverständlichkeit in den Regionen X und XI ausgebreitet hat. Nnd nun sehen wir auch, was dabei herausgekommen ist, und das macht uns erst recht Sorgen. Wir möchten nicht, dass bei uns dasselbe passiert“, erklärt Senator Nelson Ávila von der Partido Radical.

SalmonChile hingegen beteuert, dass inzwischen alles anders sei: Die Industrie habe aus ihren Fehlern gelernt. Es gebe eine neue Gesetzgebung sowie Ressourcen, die eine kürzlich ernannte Arbeitsgruppe bereitzustellen versprochen hatte, und damit sei die Industrie für eine planvolle und vernünftige Ausdehnung hinreichend vorbereitet. Diese Meinung teilt auch der Wirtschaftsminister, der die Leitung der Arbeitsgruppe übernehmen wird und bereits angekündigt hat, den Einsatz von Antibiotika durch die Industrie zu überwachen.

“Der Tourismus, die Umwelt, die traditionellen Fischer und die Lachszucht müssen sich gemeinsam um eine friedliche Koexistenz bemühen“, so Juan José Soto, Berater des Ministeriums und Mitglied der neu gegründeten Arbeitsgruppe. „Darüber ist sich die Regierung ganz klar bewusst, besonders in der XII. Region. Dort wird es separate Bereiche für Tourismus, für die traditionelle Fischerei und für die Lachszucht geben. Die Lachszucht kann weder wachsen noch ist sie tragbar, wenn sie sich nicht mit den Umweltbedingungen vereinbaren lässt.“

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