Industriestaaten blockieren Fortschritte auf dem Biodiversitätsgipfel in Nagoya

von Andreas Behn, Nagoya

(Nagoya, 26. Oktober 2010, npl).- „Die erste Verhandlungswoche in Nagoya hat keinerlei konkrete Fortschritte gebracht,“ beklagt Theo Oberhuber von der spanischen Umweltorganisation „Ökologen in Aktion“.

 

Oberhuber betonte, dass laut des jüngsten UN-Berichts zur Biodiversität der Verlust an Artenvielfalt derart schnell voranschreitet, dass die ökologische Krise bald nicht mehr umkehrbar sei. Die Verhandlungen auf Ministerebene ab kommendem Mittwoch müssten zu konkreten Entscheidungen führen, die auch die ökologische Verantwortung der reichen Länder gegenüber Afrika, Asien und Lateinamerika widerspiegeln sollten, fordern Umweltorganisationen und soziale Bewegungen in Nagoya.

Gipfelkonferenz ohne die USA

Die japanische Metropole ist Gastgeber der 10. Gipfelkonferenz der UN-Konvention zur Biologischen Vielfalt (CBD). Bis zum 29. Oktober diskutieren die 193 Unterzeichnerstaaten Maßnahmen, wie der rapide Verlust von Tier- und Pflanzenarten auf der Erde gebremst werden kann. Mit dabei sind Vertreter*innen von NGOs, Wissenschaftler*innen und eine große Unternehmerlobby, die sich dafür einsetzt, dass der Verwertbarkeit dieser wertvollen biologischen Rohstoffe keine ökologischen, territorialen oder sozialpolitischen Grenzen gesetzt werden. Als einziger wichtiger Staat fehlen die USA, die das Vertragswerk, das auf dem Umweltgipfel in Rio de Janeiro 1992 erarbeitet wurde, gar nicht erst unterzeichneten.

Der Sitzungsmarathon in Nagoya begann bereits am 4. Oktober mit den Gesprächen über das Cartagena-Protokoll zur biologischen Sicherheit. Es ist das einzige international verbindliche Gesetzeswerk, dass im Fall von Schäden oder Unfällen beim grenzüberschreitenden Handel mit genetisch veränderten Organismen (GVOs) zur Anwendung kommt.

Verursacher sollen haften

In mühsamen Vorverhandlungen war ein Zusatzprotokoll formuliert worden, demzufolge jeder Staat das Recht hat, seiner jeweiligen Gesetzgebung zufolge die Verursacher von Schäden — unter anderem Gentech-Konzerne wie Monsanto — zur Rechenschaft zu ziehen. Darüber hinaus können die Staaten Vorsorgemaßnahmen verlangen, ohne dass dies von Unternehmen oder anderen Exportländern als Handelshemmnis beanstandet wird. Nach langem Hin und Her endete die erste Woche, die sogenannte MOP-5, mit der Unterzeichnung dieses Nagoya-Kuala Lumpur-Zusatzprotokolls.

Allerdings haben Länder wie Brasilien, das als großer Agrarexporteur von beispielsweise gentechnisch verändertem Soja Wettbewerbsnachteile befürchtet, Bedingungen durchgesetzt, die die Umsetzung dieses Zusatzprotokolls verzögern oder verwässern. So sollen bis zur rechtlichen Gültigkeit noch eine Reihe von wissenschaftlichen Studien durchgeführt werden. Und die insbesondere von Ökologen geforderte obligatorische Versicherung von GVO-Frachten ist zwar vorgesehen, aber letztlich doch nur eine Option, die die Länder der Gentech-Wirtschaft nicht zwingend auferlegen müssen.

UN-Konvention zur Biologischen Vielfalt (CBD)

Unmittelbar danach begann die zweiwöchige COP-10, in der die Grundsätze der CDB diskutiert werden, die zölkerrechtlich verbindlich, aber mangels Sanktionsmöglichkeiten nicht als internationales Rechtswerk dienen. Eines von drei zentralen Themen ist ein strategischer Plan, mit dem bis zum Jahr 2020 dem Verlust biologischer Vielfalt Einhalt geboten werden soll. Bereits im Jahr 2000 war ein solchen Zehnjahresplan verabschiedet worden. Allerdings mussten die Staaten eingestehen, dass die formulierten Ziele weder gemeinsam noch individuell auch nur im Ansatz erreicht worden sind.

Es geht um Maßnahmen wie die Schaffung von Naturschutzgebieten, Einschränkung der weltweiten Abholzung oder ein nachhaltiger Umgang bei der Verwertung biologischer Ressourcen. Vertreter von Umweltverbänden, die die Gespräche in Nagoya begleiten, beklagen nicht nur die traditionelle „Bremserfunktion“ von Staaten wie Kanada, Japan und Australien, die stets Vorschläge zur Formulierung konkreter Schutzmaßnahmen aus Angst vor ökonomischen Einbußen blockieren. Auch die Europäische Union sei nicht zu Zugeständnissen bereit und suche bei vielen Themen den Schulterschluss mit den Bremsern, beklagen die „Ökologen in Aktion“.

Regelung gegen Biopiraterie

Das zweite zentrale Thema ist das sogenannte ABS-Protokoll, das den Zugang zu sowie eine gerechte Aufteilung der Gewinne beziehungsweise Vorteile aus der Nutzung der biologischen Ressourcen regeln soll. Es ist im wesentlichen ein Ausgleichsmechanismus zwischen den Ländern des Südens, in denen der größte Teil der heute noch vorhandenen Biodiversität zu finden ist, und den reichen Ländern des Nordens, die nach der Zerstörung dieser Vielfalt im Zuge von Industrialisierung und landwirtschaftlicher Expansion auf diese Rohstoffe im Ausland zurückgreifen.

Insbesondere die Pharma- und Kosmetikbranchen basieren zu weit über 50 Prozent auf diesen Ressourcen, die sie in vielen Fallen mittels der sogenannten Biopiraterie illegal beschaffen. Die CDB legt fest, dass biologische Ressourcen nicht ohne Zustimmung der Ursprungsländer verwertet werden dürfen. Zwar gelang es den Ländern des Süden – insbesondere der Gruppe der 17, deren Mitgliedstaaten über rund 70 Prozent der weltweiten Biodiversität verfügen — in den vergangenen Jahren, die Verhandlungen über rechtlich verbindliche Regeln auf den Weg zu bringen und auch die Interesses von Indígenas und lokalen Gemeinden einzubeziehen. Doch auch in Nagoya stellen sich Konzerne und Länder wie Kanada, Japan, Australien und ebenfalls die EU quer: Mit allen Mitteln verzögern sie die Verhandlungen, um den Status Quo zu erhalten — also keine klaren Regeln, die es Ländern und Menschen im Süden ermöglichen würden, vom Nutzen der biologischen Vielfalt auch zu profitieren.

Gipfel droht zu scheitern

Ähnlich umstritten ist der dritte zentrale Diskussionspunkt, in dem es um die Frage der Finanzierung der debattierten Vorschläge geht. Auch hierbei geht es um Zugeständnisse seitens der entwickelten Länder, die aus Sicht des Südens die Mittel und die ökologische Verantwortung haben, die notwendigen Maßnahmen zum Schutz von Umwelt und biologischer Vielfalt zu finanzieren.

Wie festgefahren die Lage ist, zeigt ein Statement des brasilianischen Verhandlungsführers Paulhino Carvalho Neto: „In Nagoya muss ein komplettes Paket geschnürt werden, dass alle drei Komponenten umfasst.“ Ohne ein ABS-Protokoll werde es keinen strategischen Plan und auch keinen Finanzierungsplan geben, so der Brasilianer, der zugleich davor warnte, die Nagoya-Konferenz könnte ähnlich wie die Klimakonferenz in Kopenhagen ohne Ergebnisse zu Ende gehen.

 

Tipp: Radioreportage (Von Andreas Behn)

UN-Konferenz streitet über Biopiraterie

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