von Juan Nicastro
(Lima, 01. März 2010, noticias aliadas).- Claudia Giaccone ist Agroökonomin und Beauftragte des Regionalbüros Süd des Sekretariats kleinbäuerliche Landwirtschaft der Provinz Santa Fe, einem der wichtigsten Landwirtschaftsgebiete in Argentinien. Seit 1996 haben die wechselnden Regierungen in Argentinien die transgene Sojaproduktion größtenteils unterstützt, jedoch wurde von staatlicher Seite auch immer wieder Kritik an dieser Anbaumethode laut.
Im Gespräch mit Juan Nicastro, Mitarbeiter von Noticias Aliadas, spricht Giaccone über Alternativen und die Form der Zusammenarbeit ihrer Organisation mit Kleinproduzenten. Sie erläutert die zu überwindenden Schwierigkeiten und erstellt eine Zukunftsprognose, die nicht durchgehend optimistisch ist, jedoch die Möglichkeit eines Wandels einschließt.
Welche Aufgaben hat das Büro, das Sie leiten?
Solche Büros sind erst ganz neu entstanden, wir haben zum Beispiel im April 2009 unsere Arbeit aufgenommen. Wir möchten die kleinbäuerliche Landwirtschaft wiederbeleben und den Mythos widerlegen, es gäbe keine Kleinbauern. Dabei gehen wir von Dorf zu Dorf, wo es Dutzende Kleinbauern gibt, die früher die Dörfer versorgt haben und inzwischen durch Großmärkte vertrieben worden sind, da diese die gleichen Lebensmittel von weither transportieren und billiger verkaufen. Wir suchen Kleinbauern, die früher Felder hatten und versuchen sie zu überzeugen, wieder ökologischen Landbau zu betreiben. So wollen wir alternative Märkte schaffen. Mir ist klar, dass das kein leichtes Unterfangen ist, denn immer wieder wird behauptet, „der Markt fresse alle auf“. Dennoch versuchen wir, den Menschen bewusst zu machen, dass sie direkt neben ihren Häusern gesunde Nahrungsmittel produzieren können; so können sie auf solche, die einen weiten Transportweg hinter sich haben und voller Konservierungsstoffe sind, verzichten. Wir unterstützen die Märkte der Kleinbauern, indem wir den Gärtner*innen und Tierzüchter*innen bei dem Verkauf ihrer Produkte wie Eiern, Ziegen, Hühnern, Schweinen usw. helfen.
Was wird derzeit in den erwähnten Gebieten angebaut?
Vor allem Soja. Der Sojaanbau ist ein weit verbreitetes Modell der Nahrungsmittelproduktion mit einem sehr ausgefeilten technischen System, das den Produzent*innen die Arbeit erheblich erleichtert. Der Verkauf ihrer Produkte ist nun rentabel geworden, was wiederum einen verstärkten Export und demzufolge höhere Einnahmen für das ganze Land zur Folge hat. Die Brisanz erhielt das Thema der Sojaproduktion erst seit der großen öffentlichen Debatte über größere Privilegien für Sojaproduzenten im März 2008 (Streik der Sojaproduzenten als Protest gegen erhöhte Exportsteuern auf Sojabohnen). In dieser Zeit ist man auf viele Schwächen dieses Produktionssystems aufmerksam geworden. Ich denke, dass es jetzt nach dieser Krise sehr wichtig ist, über die Bodennutzung zu diskutieren und Antworten auf die Frage zu finden, ob der Boden zu den natürlichen Ressourcen des Landes gehört oder ob er ein Gemeinschaftsgut ist, das Allen zugänglich sein sollte. Wir tragen dabei alle eine gewisse Verantwortung, denn Privateigentum ist eben nicht ein absolutes oder unantastbares Recht und steht hinter öffentlichen Zielen und Nutzen, die Priorität haben. Nach diesen teils heftigen Diskussionen und Spannungen werden langsam Entscheidungen getroffen und wir denken nun verstärkt darüber nach, wie wir die größten Schwachpunkte dieses Modells verändern können, ohne dass dabei negative Folgen für das Land entstehen. Kritikpunkte sind z.B. die Vergrößerung der Anbauflächen, für die weiter abgeholzt werden muss, oder die Verwendung von Pestiziden, die nachweislich giftig für Mensch und Tier sind. Die Diskussion darüber muss tiefgründig und mit allen Beteiligten weitergeführt werden, da dies für die ganze Bevölkerung Probleme sind, nicht nur für die direkt Betroffenen.
Stellen ökologisch angebaute Lebensmittel eine Alternative dar?
Ja. Seit kurzem erarbeiten wir neue Gesetze für die Provinz. Ein Vorschlag sieht zum Beispiel vor, das Produktionssystem in der Landwirtschaft von Grund auf zu ändern, was natürlich keine einfache Aufgabe ist. Uns ist klar, dass dieser Prozess nur etappenweise vollzogen werden kann, denn das technologische System des Sojaanbaus muss auch aus kultureller Sicht betrachtet werden. Ersetzt man Soja durch ein anderes Anbauprodukt, muss man dieses auch problemlos in den bestehenden Markt und das gesamte Handelssystem integrieren können. Das wird sehr schwer, aber um das zu diskutieren nützt uns ein weiteres Gesetz – das der sogenannten „ökologischen Gürtel“. Das heißt, dass um jede Siedlung ein 500 Meter breiter „Gürtel“ geschaffen wird, innerhalb dessen jeder Anbau ökologisch betrieben werden soll. Das gilt aber vor allem für den Anbau von Nahrungsmitteln, denn das Ziel ist eine gewisse Souveränität bei der Ernährung, eine Diversität, Qualität und Quantität der Lebensmittel. Ich glaube daran, dass wir dieses Ziel erreichen können – auch wenn dabei mehr Arbeitskräfte gebraucht werden und somit die Rentabilität beim Verkauf der Produkte geringer ist. Die Menschen müssen verstehen, dass andere Systeme neben ihrer Rentabilität leider auch negative Folgen mit sich bringen. Man muss zudem vom Klimawandel lernen, von dem inzwischen alle etwas mitbekommen haben, nicht nur ökologische Gruppen. Wir müssen uns fragen, wie wir in Zukunft mit unserem Planeten umgehen. Diese „ökologischen Gürtel“ werden uns verstehen helfen, dass die Nahrungsmittelproduktion wieder vor unserer Haustür stattfinden muss. Denn wenn die Nahrungsmittel wieder direkt greifbar, d.h. einfach zugänglich sind, werden gleichzeitig neue Arbeitsplätze für die heimischen Bauern geschaffen. Damit wird unterstützt, dass die jeweiligen Gemeinden ihre eigene Entwicklung selbst vorantreiben.
Wie sollen diese Veränderungen umgesetzt werden?
Die Änderungen werden nicht von heute auf morgen stattfinden und dürfen natürlich keine Auslöser für Konflikte sein. Das kann nur Stück für Stück passieren. Es gibt bereits zwei Gemeinden in unserer Provinz, in denen die „ökologischen Gürtel“ umgesetzt werden – San Genaro y San Jorge. Das bedeutet wie erwähnt, dass dort rein ökologische Landwirtschaft – ohne jeglichen Einsatz von Pestiziden – betrieben wird. Solche Ansätze sollten wir ausbauen. Wir müssen umfassende und ernsthafte Gespräche führen und Studien sowie Vergleichsdaten erstellen, die nicht unbedingt sehr medienwirksam sind, uns jedoch bekannt sein sollten. Es gibt leider traurige Bilder, die wir bei unseren Rundgängen in den Dörfern zu sehen bekommen: Menschen, die neben einem Sojafeld leben, aber in ihren eigenen Gärten keine einzige dieser Sojapflanzen anpflanzen können, da diese nicht gedeihen würde; ganz zu Schweigen von den Kleinbauern, deren Kinder durch die Pestizide Fehlbildungen aufweisen und deren Kühe Fehlgeburten haben. Die Schäden sind nicht zu übersehen. Wir alle müssen für diese Veränderungen sorgen. Es richtet sich nicht gegen die Sojaproduzenten, sondern es ist auch für sie; denn auch sie müssen mit den chemischen Stoffen leben und auch ihre Kinder leiden an den Folgen. Wir müssen also voran kommen, ohne Themen wie Produktivität, den externen Markt und die Vermarktung unserer Agrarprodukte auszublenden. Wir müssen darüber hinaus analysieren, in welcher Form und mit welchen Substanzen wir weiterarbeiten. Auch die Landlosen dürfen wir nicht vergessen. Wenn dabei alle Akteure einbezogen werden, können wir durchaus optimistisch sein.
“Die Lebensmittelproduktion muss wieder vor der Haustür stattfinden ” von Nachrichtenpool Lateinamerika ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.
Schreibe einen Kommentar