Campo Bahia: Deutsche Extrawurst in Brasilien

von Andreas Behn

(Berlin, 02. März 2014, npl).- „Wir werden erst in der 45sten Minute der zweiten Halbzeit fertig werden,“ sagt Bauleiter Eduardo Farias voraus. Gearbeitet werde fast rund um die Uhr, in zwei Schichten. Spätestens Anfang Mai soll alles fertig sein: 14 Wohnhäuser mit jeweils fünf Zimmern auf zwei Etagen, das Schwimmbad und eine großzügige Rasenfläche. Erstbewohner der nagelneuen Ferienanlage werden die deutschen Nationalspieler samt den engsten Mitarbeitern sein, die in Juni zur WM nach Brasilien aufbrechen.

Es ist nicht einfach, bis zu Farias vorzudringen. Rund um die Baustelle „der Deutschen“ herrschen strenge Sicherheitsvorkehrungen, das ganze Gelände von vielleicht 15.000 Quadratmetern ist durch einem Bauzaun und schwarzen Plastikplanen abgeschirmt. Drinnen herrscht hektischer Betrieb: Es wird gemauert, gesägt, gepinselt, Dachplatten werden verlegt und Baumaterialien über den sandigen Boden gekarrt. Über 200 Bauarbeiter sind hier beschäftigt, trotz sengender Hitze wird wie im Akkord gearbeitet.

Der Bauleiter residiert in einem der beiden Gebäude, die schon fast fertiggestellt sind. Stolz zeigt er auf das Schatten spendende Vordach aus glänzendem Eukalyptusholz. „Hier ist alles Qualitätsarbeit, die deutschen Fußballer sollen sich bei uns wohlfühlen.“ Und wichtig: Alles auf der Baustelle laufe trotz der geboten Eile entsprechend den Regeln und Vorschriften. „Außer einigen Büschen wurde nichts abgeholzt, alle Umweltauflagen werden eingehalten.“ Auch der Draht zu den Anwohner*innen sei gut. „Wir stehen in engem Kontakt, über Probleme wird gesprochen. Natürlich macht eine solche Baustelle Lärm, aber wir versuchen, die Belastung so gering wie möglich zu halten,“ sagt Ingenieur Farias.

Luxus für die Deutschen, Staub für die Anwohner

Vom Fenster aus ist hinter Palmen der nächste Bauzaun zu sehen. Danach kommt der Strand. Die Wellen plätschern sanft, die Küste ist von einem Riff geschützt. Ideale Erholungsbedingungen für anspruchsvolle Fußballer während der Fußball-WM: Ein abgeschiedenes Tropenparadies, ohne Trubel und lärmende Straßen, das den schlichten Namen Campo Bahia trägt.

Vor dem zukünftigen Hauptquartier des DFB ist die Stimmung eher angespannt. Über der Sandstraße weht feiner Staub der chemisch behandelten Eukalyptusstämme direkt in die Fenster der einfachen Behausungen gegenüber. „Die Kinder leiden unter dem Holzstaub, sie haben durchgehend schnupfen. Nachts können sie nicht schlafen, auch wegen des Lärms,“ beklagt Mariane Ferreira.

Ihre ganze Familie wohnt dort. Sie wissen nicht genau, wie es ihnen in Zukunft ergehen wird. „Alles hat seine guten und schlechten Seiten,“ sinniert Mariane. Gut sei, dass die Gegend aufgewertet wird, vielleicht werde es dann eine bessere Wasserversorgung geben, oder eine Müllabfuhr. Auch gebe es jetzt viele neue Arbeitsplätze, das Geld sei wichtig für die Leute. „Andererseits wird Druck ausgeübt, dass wir unsere Häuser verkaufen. Dabei haben die Deutschen doch schon alles am Strand aufgekauft. Wir bangen darum, dass wir bald keinen Zugang mehr zum Strand haben,“ berichtet Mariane.

Deutsche Investoren seit Jahren im Geschäft

Deutsche Investoren um den Münchner Modezar Christian Hirmer haben das Strandgrundstück bereits vor über fünf Jahren erstanden. Erste Bauarbeiten wurden nach kurzer Zeit eingestellt, offenbar gab es Schwierigkeiten bei der Genehmigung oder der Rentabilität einer Tourismusanlage. Dann kamen seit knapp einem Jahr Löw, Bierhoff und andere Größen des deutschen Profifußballs immer wieder zu Besuch nach Santo André, dem kleinen Dorf im Süden des Bundesstaates Bahia.

„Seit April vergangenen Jahres gab es Gerüchte, dass sich die Nationalelf hier niederlassen wird,“ erzählt Günter Keseberg, ein deutscher Unternehmer, der sich vor Jahren in Santo André zur Ruhe gesetzt hat. Die ersten Arbeiten seien dann im August begonnen worden, Monate vor offiziellen Bekanntgabe der Entscheidung.

Hirmer und Co. haben angesichts der neuen Sachlage ihre Pläne überdacht, jetzt wird geklotzt. Rechts vom Campo Bahia wurde das Hotel eines Italieners aufgekauft und bereits abgerissen. Links davon wurde ein weiteres Strandhotel erworben. Gebaut wird dort noch nicht – Anwohner*innen vermuten, die Ausbreitung der Deutschen könne mit Umweltauflagen zusammen hängen: Das Campo Bahia liegt in einer sogenannte APA, einer Art Naturschutzgebiet, in dem enge Nutzungsrichtlinien herrschen. Da die 14 Häuser sehr eng beieinander stehen und üblicherweise nur ein Drittel der Fläche eines APA-Grundstücks bebaut werden darf, könnten die zugekauften Grundstücke – vorerst – als Ausgleich dienen.

Umweltgenehmigungen „unbürokratisch beschleunigt“

Für den Tourismussekretär von Santa Cruz de Cabrália, Fernando Oliveira, ist der hohe Besuch aus Europa schon jetzt ein voller Erfolg. Der Strandort mit einem historischen Stadtkern – nahe der Stelle, wo vor gut 500 Jahren die ersten Portugiesen amerikanischen Boden betraten – ist das Verwaltungszentrum, zu dem auch die 800-Seelengemeinde Santo André gehört. „Hunderte Familien profitieren von den neuen Arbeitsplätzen, brachliegende Bauarbeiten sind wieder aufgenommen worden, Cabrália wird endlich auf der Weltkarte erscheinen“, zählt Oliveira auf. Mit etwas Glück werde er sogar zur ITB nach Berlin eingeladen.

Dafür zeigen sich die lokalen Behörden gerne erkenntlich: Das Pressezentrum, das in einem Luxushotel nahe des Campo Bahia errichtet wird, werde vom Bundesstaat Bahia finanziert, verrät Oliveira. „Und die notwendigen Bau- und Umweltgenehmigungen haben wir unbürokratisch beschleunigt.“ Jeder in Brasilien weiß, was das bedeutet.

Wenn es nicht plötzlich anfängt zu regnen, wird das deutsche Hauptquartier rechtzeitig fertig werden. 70 Prozent des Baus ist bereits vollendet. Doch es bleibt die Frage, warum die sonst so auf Sicherheit bedachten Deutschen sich auf ein solch riskantes Unterfangen eingelassen haben. Der DFB missachtet sogar die dringende Empfehlung der Fifa, auf dem Weg zum nächsten Flughafen keine Schiffsverbindung nutzen zu müssen. Doch um die gut 30 Kilometer zur Touristenmetropole Porto Seguro zurückzulegen, muss per Fähre ein Fluss überquert werden. Im Gegensatz dazu wird die Schweizer Auswahl auf der anderen Seite des Flusses in einem ganz normalen Ressort unterkommen, ohne Bauarbeiten und Extrawürste.

Nicht auszuschließen, dass der Plan schon vor langer Zeit in München zwischen der Finanzelite und den Bayern ausgeheckt wurde. Für die Investoren ist der Deal fraglos ein sicheres und hoch profitables Geschäft. Weniger eindeutig ist, wie der DFB zu diesem Abenteuer ermuntert wurde. Zumindest soll Spielern wie Funktionären ein Vorkaufsrecht eingeräumt worden sein, wenn die 14 Villen des Campo Bahia nach Ende der WM verkauft werden.

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