von Andreas Behn
(Rio de Janeiro, 17. Juni 2014, taz).- Groß waren die Demonstrationen am 15.6. (Ortszeit) nicht, aber in Rio de Janeiro gings zur Sache. Unweit des Maracanã-Stadions sammelten sich mehre Hundert Demonstrant*innen, die Forderungen sind bekannt: „Fifa go home“ stand auf einem Transparent, andere machten Bürgermeister, Gouverneur und Präsidentin für die hohen Kosten der WM und verfehlte Stadtplanung verantwortlich.
Dass sie nicht bis zum Stadion gelangen würden, in dem wenig später das Spiel Argentinien gegen Bosnien-Herzegowina angepfiffen wurde, war ihnen klar. Unzählige Polizisten und Soldaten in schwerer Montur und panzerartige Einsatzfahrzeuge standen im Weg. Sie versuchten es trotzdem, einige vermummt und mit Gasmasken ausgestattet.
Nach wenigen Hundert Metern kam es bereist zur Konfrontation. Tränengasgranaten flogen durch die Luft, Gummigeschosse und Pfefferspray hielten die Protestler*innen auf. Einige Polizisten sollen sogar mit scharfer Munition in die Luft geschossen haben. Vermummte warfen Steine und auch einige Brandbomben. Später wurden einige Banken entglast. Noch Stunden später machten Uniformierte Jagd auf die Demonstrant*innen, festgenommen wurden nur wenige. Die 75.000 im Stadion bekamen von all dem nichts mit, anders als beim Confed-Cup-Endspiel wehte das Tränengas nicht bis aufs Spielfeld.
Friedliche Demos in der Hauptstadt
Auch in der Hauptstadt Brasilia und in Porto Alegre, den beiden anderen Spielorten des vierten WM-Tages, gab es Demonstrationen. Die Stimmung war gespannt, aber Zusammenstöße blieben aus. In Brasilia wurde der Marsch gut einen Kilometer vor dem Stadion gestoppt. Dort wurde die breite Durchgangsstraße kurzweilig in ein Fußball-Feld verwandelt, aber das Spiel kam nicht richtig in Gang. Mehrsprachig kündigte ein Transparent die „WM der Demonstrationen“ an. Ein Demonstrant sagte, auch „aus dem Ausland und von der internationalen Presse bekommen wir Unterstützung,“ sie seien schockiert von dem, was hier in Brasilien passiert. Mit dabei waren Lehrkräfte der technischen Schulen, die sich seit bald einem Monat im Streik befinden.
In Porto Alegre nutzten einige Hundert den Schutz von zahlreichen Tourist*innen im Stadtzentrum, um zu protestieren. Wegen des Rummels konnte die gefürchtete lokale Brigada Militar nicht wie gewohnt eingreifen. „Es wird keine WM geben“ verkündete das Leittransparent. Auch dort spielten einige Straßenfußball auf Kreuzungen, umringt von schwarzen Robotern mit Schutzschildern.
Später feierte der Black Bloc Rio, bis zu einem Ausgang des Maracanã vorgedrungen zu sein. Dort hätten die „Touristen“ wenigstens mitbekommen, wie es jenseits der Stadien und Fanmeilen zugeht. Bald darauf waren die vor allem argentinischen Tourist*innen wieder an der Copacabana versammelt, die sie seit Tagen in Besitz genommen haben. Tausende wohnen und kampieren dort, einige Tankstellen stehen voll mit alten Bussen und Lastwagen, in denen die Fans aus dem Nachbarland gekommen sind und jetzt drin schlafen. Auch da gabs am Samstag schon Randale. Über Tausend von ihnen blockierten feiernd die Strandpromenade, was ihnen einen rüden Polizeieinsatz und Pfeffergas einbrachte.
Die erwartete Verbrüderung von brasilianischen und argentinischen Fans im Maracanã fand indes noch nicht statt. Die meisten Brasilianer*innen hielten stur zu Bosnien, am Ende kam es gar zu Handgreiflichkeiten auf den Rängen. Das Gerücht über die Verbrüderung entstand in den sozialen Netzwerken: Dort erinnern zahlreiche Aufrufe daran, dass Rios Bürgermeister Eduardo Paes angekündigt hatte, er würde Selbstmord begehen, wenn Argentinien im Endspiel gegen Brasilien gewinnt.
Ausschreitungen in Rio, Straßenfußball in Brasilia von Nachrichtenpool Lateinamerika ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.
Schreibe einen Kommentar