40 Jahre Transgene

von Ignacio Chapela*

(Mexiko-Stadt, 21. Februar 2013, la jornada-poonal).- In diesem Jahr werden die genveränderten Organismen 40 Jahre alt. Wenige Jahre sind das, wenn man bedenkt, dass die transgene Manipulation (die erzwungene Einbringung genetischen Materials mehrerer unterschiedlicher Organismen in einen anderen Organismus, der es aufnimmt und reproduziert) in den Milliarden von Jahren, die das Leben auf diesem Planeten – in unserer kleinen Nische im Kosmos – existiert, eine bisher beispiellose Intervention in die Biologie des Planeten darstellt.

Noch nicht einmal ein „Experiment“

Aber 40 Jahre sind viel, wenn berücksichtigt wird, dass diese Intervention inzwischen über einen signifikanten Teil der Erde verteilt ist. Wir Menschen haben seit dem ersten offiziellen kommerziellen Anbau 1996 jedes Jahr durchschnittlich auf etwa 100 Millionen Hektar genveränderte Pflanzen angebaut, wobei sich diese Fläche auf fünf Länder konzentriert. Die unbeabsichtigten Freisetzungen sind dabei nicht mitgezählt. Das Interessante ist: Heute verfügen wir über Daten dieser vierzigjährigen Erfahrung, um die transgene Manipulation zu bewerten.

Einige denken, dieses „Experiment“ mit dem Planeten zeige in gewisser Weise die Unschädlichkeit der Transgene. Sie argumentieren, es habe keinen Hinweis auf irgendeine Schädigung gegeben, die mit der Freisetzung oder Nutzung dieser Organismen assoziiert sei. Nach Überzeugung anderer, zu denen auch ich gehöre, hat es sich nie um ein Experiment gehandelt, denn wir haben nicht einmal das minimal Notwendige unternommen, damit es ein solches wäre. Dies hätte bedeutet, Kontrollen zu etablieren und die Ergebnisse systematisch zu beobachten. Doch die Transgene werden freigesetzt ohne Kontrolltests und ohne Etikettierung. Kein Mittelstufenschüler würde sein Fach bestehen, beginge er den Fehler, keine Kontrollen zu berücksichtigen oder Reagenzgläser beim Experiment nicht zu beschriften! So haben wir vielleicht kein Experiment, aber sehr wohl eine Geschichte.

Alptraum von Dr. Berg ist mittlerweile ökologische Realität

Nach der ersten Herstellung von Transgenen im Jahr 1973 berief Dr. Paul Berg zusammen mit anderen Vorreiter*innen der Genmanipulation eine Dringlichkeitssitzung im Urlaubsort Asilomar im Süden San Franciscos ein. Er bat alle Wissenschaftler*innen, eine Weile über die möglichen Risiken der Genmanipulation nachzudenken. Das bedeutendste Risiko, das die Wissenschaftler*innen damals ausmachten, war das mögliche Entweichen in die freie Natur irgendeiner Bakterie mit erhöhten krankheitserregenden Eigenschaften, z.B. einer Resistenz gegen Antibiotika.

Heute wissen wir, dass dieses Risiko Realität geworden ist: Bei Probeentnahmen aus sechs der wichtigsten Flüsse Chinas wies eine Forschergruppe nach, dass die flusseigenen Bakterienpopulationen allesamt DNA aufgenommen hatten, dessen Ursprung in flussaufwärts gelegenen Laboren oder Anpflanzungen zu finden war. Zudem sind die gefundenen transgenen DNA-Sequenzen alles andere als irrelevant: ihre Trägerbakterien werden resistent gegen Antibiotika.

Antibiotika-resistente Bakterien durch Transgene

Anders ausgedrückt: Dies ist der Beweis, dass der schlimmste Alptraum von Dr. Berg inzwischen eine unleugbare ökologische Realität geworden ist. Falls es nötig sein sollte, die Bedeutung dieser Entdeckung noch mehr herauszustellen: Wir haben nun die Gewissheit, dass die Transgene nicht unbeweglich an dem Ort verbleiben, an dem sie freigesetzt werden.

Stattdessen werden sie über „horizontale“ Übertragungsmechanismen des genetischen Materials von transgenen Pflanzen zu in der Umwelt frei lebenden Bakterien weitergeleitet, von denen aus sie sich – nun unsichtbar – weiter streuen können. Die Tatsache, dass die frei lebenden Bakterien das spezielle Erscheinungsbild einer Resistenz gegen Antibiotika entwickeln, bedeutet außerdem dass wir über die Transgene die nächste Generation krankheitserregender Bakterien „bewaffnen“. Wir, unsere Tiere und unsere Pflanzungen, werden auf diese Bakterien ohne das Rüstzeug treffen, das uns das 20. Jahrhundert zum Schutz vor ihren Infektionen gegeben hat. Dazu muss angemerkt werden, dass das Auftauchen antibiotika-resistenter Bakterien das Thema ist, das heute die öffentlichen Gesundheitseinrichtungen in aller Welt am meisten besorgt.

Gesundheitliche Schäden möglich

Das Entweichen von Transgenen durch horizontale Genübertragung gesellt sich zu den dokumentierten Beispielen bekannterer Mechanismen, wie Bestäubung und Bewegung oder den Austausch von Saatgut. Wir wissen, dass die beabsichtigte oder unbemerkte Freisetzung von genveränderten Organismen in der Natur Konsequenzen hat, die weit über das Anbaufeld hinausreichen, auf dem sie eingeführt werden. Diese Konsequenzen werden viel, viel länger überdauern, als wir noch vor 40 Jahren dachten.

Wir wissen noch mehr: In den vergangenen zwei Jahren haben wir deutliche Hinweise auf die Folgen des Konsums von Transgenen erhalten. Wir wissen, dass das genetische Material der genveränderten Organismen (vor allem die Ribonukleinsäuren, RNA) den Verdauungsvorgang im menschlichen Körper in ausreichenden Mengen überlebt, um eine bedeutende Auswirkung auf die Gesundheit von Konsument*innen zu haben. Dank der Arbeit der von Dr. Pusztai in Schottland und jüngst von Dr. Séralini in Frankreich geleiteten Teams haben wir die Ergebnisse der Ernährungsstudien im Rahmen von Tierversuchen wie beispielsweise bei Ratten gesehen. Trotz der Diskreditierungskampagnen gegen diese beiden Wissenschaflter sind die Studien nach wie vor wissenschaftlich unwiderlegt. Sie legen nahe, dass der Konsum von genveränderten Organismen mittel- und langfristig ernste gesundheitliche Schäden provozieren kann.

RNA-Interferenzen blockieren die Abwehr von Viren

Wir wissen ebenfalls, dass transgene Materialien ein unerwartetes Verhalten aufweisen können. Dies zeigen zwei Studien jüngeren Datums. Zum einen trägt die ungewöhnliche, in der Mehrzahl in transgenen Pflanzen gefundene und „Gen VI“ genannte Sequenz nicht nur zu einer unverhältnismäßigen Aktivierung jener genomischen Regionen bei, in denen sie auftritt. Überraschenderweise scheint sie auch die Abwehrfähigkeit der Pflanze – und jedes anderen Organismus – bei einem Virenangriff zu blockieren. Bei einer anderen Untersuchung haben wir gelernt, dass bei Einbringung transgener RNA in solche Pflanzen, die Teil der menschlichen Ernährung sind, diese RNA auf mehreren Ebenen direkten Einfluss auf das menschliche Gewebe haben kann und dessen Physiologie auf komplexe Weise verändert. Es muss angemerkt werden, dass durch die so genannte RNA-Interferenz mit einer „neuen Generation“ von Transgenen die Verwendung genau dieser Art RNA vorgeschlagen wird.

Aus einer strikt biologischen Perspektive manifestieren sich in der Natur heute die sich vor 40 Jahren bereits abzeichnenden Freisetzungsrisiken von genveränderten Organismen als reale Schädigungen der Ökologie des Planeten: genetische Kontamination, Erzeugung von Resistenzen bei Unkräutern, Plagen und Krankheitserregern, Schäden durch den Missbrauch der damit in Verbindung stehenden Pestizide, und vieles mehr.

Schäden versus unerfüllte Versprechen

Die Geschichte fügt dieser Auflistung ungewöhnliche Überraschungen hinzu: die überspringende horizontale Transferenz, die subtilen, aber äußerst wichtigen, dem direkten Konsum von Transgenen geschuldeten physiologischen Veränderungen, das Auftauchen neuer resistenter Bakterienstämme und von Kulturen mit neuen Suszeptibilitäten.

Wir haben zweifelsohne Evidenzen prima facie um zu schlussfolgern, dass die Transgene 40 Jahre nach ihrer Geburtsstunde eine Neubewertung nötig haben. Es geht nicht mehr darum, hypothetische Risiken dem zukünftigen Nutzen entgegenzustellen, sondern darum, die nachgewiesenen Schäden mit den unerfüllten Versprechen über Erträge und Sicherheit zu konfrontieren.

* Professor an der US-amerikanischen Universität Berkeley.

Im November 2001 fanden die beiden Wissenschaftler Ignacio Chapela und David Quist (Universität Berekeley) in den Gemeinden der Sierra Norte im südmexikanischen Bundesstaat Oaxaca einheimischen Mais, der gentechnisch kontaminiert war.

Trotz der Rufmordkampagne, die daraufhin von Saatgutfirmen initiiert und mit der erreicht wurde, dass die Zeitschrift Nature die Veröffentlichung des Artikels von Chapela und Quist zurücknahm, bestätigten das Nationale Institut für Ökologie INE (Instituto Nacional de Ecología) und die Nationale Kommission zur Biologischen Vielfalt Conabio (Comisión Nacional de Biodiversidad) schließlich die Kontaminierung.

Im entsprechenden Bericht wird dokumentiert, dass im Lager der Diconsa in der Ortschaft Ixtlán gentechnisch veränderter Mais gefunden wurde, der für den menschlichen Verzehr vorgesehen war.

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