Teleférico: Schweben statt fahren

(La Paz/ El Alto, 28. August 2019, npl).- Es gibt sie in Medellin, in Caracas und in Australien schwebt sie über einem Regenwald. In Deutschland kennt man die Seilbahn vor allem aus Skigebieten. In der Metropolregion La Paz/ El Alto hat ein österreichisch-bolivianisches Konsortium in den vergangenen sieben Jahren zehn Seilbahnlinien gebaut. Anstatt der U-Bahn nehmen die Paceños und Alteños die Gondeln, die über der Stadt schweben. Vor allem die bergige Lage hat den Bau des Teleféricos, wie die Seilbahn hier genannt wird, begünstigt. Seit 2014 überwindet sie 1000 Meter Höhenunterschied innerhalb des Stadtgebiets. Die Seilbahn transportiert die Passagiere mit Energie aus Wasserkraft und ohne Stau durch die vollgestopfte Millionenmetropole.

Der Regierungssitz Boliviens ist in ein Hochtal gequetscht. Die Straßen sind eng und durch die geographische Lage oft an den Hang gebaut. Stau ist vorprogrammiert. Manuel, Fahrer eines Minibusses, der täglich Fahrgäste vom Zentrum in den Süden der Stadt transportiert, steht täglich zwei Stunden im Stau. „Besonders schlimm ist es, wenn es einen Demonstrationszug auf dem Prado gibt, dann geht nichts mehr!“ Der Prado ist die zentrale Avenida der Stadt; sowohl politisches Schaufenster, als auch Verkehrsader. Die Demonstrationen, die sich regelmäßig am Prado ereignen, führen ebenso regelmäßig zu einem Verkehrskollaps im Zentrum. Manuel der Minibuschauffeur weiß das und er nimmt es mit Gelassenheit. Er weiß, dass der Stau unvermeidbar ist, „Wenn es die nicht sind, demonstrieren andere“ meint der Fahrer lakonisch. Mal sind es Studierende, mal Textilarbeiter*innen, Ärzt*innen, Kokabauern und -bäuerinnen, Minenarbeiter*innen, Nachbarschaften, Bürgerrechtskomitees, Feminist*innen, Schülerinnen und Schüler … . Wer ein Anliegen hat, nimmt den Prado in Beschlag und verursacht Stau. Und wenn mal keiner demonstriert, gibt es auch Stau, denn die Stadt platzt aus allen Nähten, die Straßen sind eng und der Autoverkehr wächst stetig.

Entschleunigung und Energieeffizienz

Der Stress auf der Straße schwindet, wenn man in die Seilbahn steigt. Man schwebt über der Stadt und lässt den Verkehr unter sich. In der Kabine über der Stadt ist das Leben entschleunigt. Die erste Linie wurde innerhalb von 14 Monaten von dem österreichisch-bolivianischem Joint Venture Doppelmayr Bolivia fertiggestellt. „Es ging am Anfang so schnell, dass wir nicht einmal Möbel im Büro hatten“, meint Torsten Bäuerlen, der die Entwicklung des Seilbahnnetzes in der Doppelstadt La Paz und El Alto seit dem ersten Spatenstich begleitet hat. „Die größte Herausforderung“, meint der Kommunikationswissenschaftler, „war das Management der Großbaustellen für den Bau der Seilbahn.“ Kleine Straßen, der Verkehr und Sackgassen stellten das österreichische Unternehmen, das bis dahin vor allem Erfahrung im Bau von Seilbahnen in menschenleeren Bergregionen hatte, vor neue Herausforderungen. Das hat auch zu Innovationen geführt. Für die Hochhausschluchten im Zentrum durch die die Kabinen auch gondeln wurde extra eine Drohne entwickelt, um das Seil an denen die Kabinen hängen, aufspannen zu können.

Seit fast 50 Jahren gibt es am bolivianischen Regierungssitz Pläne, eine Seilbahn zu bauen. Der Boden der Stadt besteht aus unsicherem Gestein und schränkt die Möglichkeit, Straßenbahnen oder U-Bahnen zu bauen, ein. Aus diesem Grund hat La Paz/ El Alto inzwischen das größte Seilbahnnetzwerk der Welt. Zehn Linien mit einem Netz von insgesamt 33 Kilometern transportieren täglich etwa 300.000 Passagiere.

Die Seilbahntechnik hilft jedoch nicht nur große Höhenunterschiede zu überwinden, sondern das System hat auch Vorteile im Energieverbrauch, wie Thorsten Bäuerlen darlegt: „Die Seilbahn wird einmal am Morgen angefahren und fährt dann konstant den Rest des Tages auf derselben Geschwindigkeit“. Damit erreicht das System die höchstmögliche Energieeffizienz, die man in einem Betrieb bekommen kann. Bäuerlen nimmt das Auto als Vergleich, „auch dort ist der Energieverbrauch am geringsten, wenn man auf der Autobahn bei konstant 110 Km/h fährt und hat dagegen einen hohen Spritverbrauch, wenn man an jeder Ampel anhält und abfährt.“ Dazu kommt, dass in Hanglagen die Seilbahn immer von einem Gegengewicht gezogen wird, eine Gondel die den Berg hinaufschwebt, wird von einer Kabine energetisch unterstützt, die hinabschwebt. Außerdem wird der Teleférico zum Großteil mit Strom aus Wasserkraft betrieben und verursacht daher keine Emissionen im Ballungsgebiet von La Paz und El Alto.

Doppelt so schnell nach La Paz

Etwa 15 Prozent des Verkehrsaufkommens in der Metropolregion wird bisher durch den Teleférico bewältigt. Gabriela Carazco vom Entwicklungsfond der Vereinten Nationen geht von einer weiteren Zunahme aus: „Die Seilbahn hat gleich mehrere positive Seiten. Es ist ein Massenverkehrsmittel, das von der Bevölkerung angenommen wird und es hat die beiden Städte El Alto und La Paz gut verbunden und die Fahrtzeiten wesentlich verkürzt. Das hat zu einer direkten Verbesserung der Lebensqualität geführt.“ Es ist nicht zu überhören, dass ein gewisser Stolz in ihren Worten mit schwingt. Mit knapp 40 Cent pro Fahrt ist die Fahrt in der Gondel zwar etwas teuer, als zum Beispiel eine Fahrt im Minibus, aber immer noch für normale Geldbeutel erschwinglich.

In der Tat verbindet die Seilbahn zum ersten Mal die beiden Städte La Paz und El Alto mit einem öffentlichen Verkehrsmittel. Die Fahrtzeiten vom Stadtzentrum El Alto, das auf dem Hochplateau oberhalb des Regierungssitzes liegt, ins Zentrum von La Paz hat sich um mehr als die Hälfte verkürzt. Vor allem für die Alteños hat sich die Situation verbessert, meint Rocio Chaín, Verkehrsexpertin beim Fond der Vereinten Nationen, „von zehn Passagieren pendeln sieben von El Alto nach La Paz, diese Gruppe profitiert enorm von den drei Linien, die El Alto mit dem Regierungssitz verbinden.“ Bis zu einer halbe Million Fahrgäste pendeln täglich zwischen den beiden Städten. Jetzt ginge es darum, dieses System mit anderen Komponenten in La Paz und El Alto zu verbinden. Insbesondere die beiden lokalen Bussysteme, Waynabus in El Alto und der Pumakatari in La Paz, sollten mit der Seilbahn synchronisiert werden, meint Carazco, „damit kann die Abdeckung und die Reichweite verbessert werden und so nicht nur der Service, sondern auch die Identifikation der Bevölkerung mit dem System erhöht werden.“

Nächste Station: Gesamtverkehrskonzept

Torsten Bäuerlen pflichtet der Expertin bei. Denn bisher ist das System noch nicht an seine Auslastungsgrenze angelangt. Das Seilbahnnetz könnte mehr Passagiere transportieren, wenn es ein Gesamtverkehrskonzept für die Metropolregion gibt. Hier liegt auch ein Schwerpunkt der Arbeit von Doppelmayr Bolivia. „Mit den zehn Linien ist die erste Phase des Netzes abgeschlossen. Noch ist nicht klar, wann und ob weitere Linien gebaut werden.“ Bis jetzt ist der Projektleiter von Doppelmayr Bolivia zufrieden mit der Arbeit und begeistert von der Seilbahn. Denn die Seilbahn ist nicht nur ein emissionsfreies Verkehrsmittel, sondern für ihn immer noch „spektakulär“, wie er meint. Er nutzt die Seilbahn fast täglich und für ihn hat auch nach sieben Jahren das Schweben über den Wolken nichts von seiner Faszination verloren. „Meine persönlichen Lieblingslinien sind die Orange und die Lila Linie“, meint er und fährt fort, „Es ist das Fahrgefühl, die Ruhe mit der man sich in der Kabine durch diese chaotische und laute Stadt bewegt und alles von oben betrachten kann. Es ist einfach was anderes als in einer U-Bahn zu sitzen und auf eine Betonwand zu starren. Für mich ist eine Fahrt in der Seilbahn zugleich entspannend und belebend.“

 

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