Staatsanwaltschaft fordert 12 Jahre Haft für Cristina Kirchner

(Buenos Aires, 22. August 2022, la diaria/poonal).- Bereits ein Dutzend Anklagen wurden gegen die argentinische Vizepräsidentin Cristina Fernández de Kirchner erhoben, einige davon wurden von vornherein abgewiesen. Nun hat Bundesstaatsanwalt Diego Luciani 12 Jahre Haft und den lebenslangen Entzug der Amtsfähigkeit und Wählbarkeit für Fernández gefordert. Es geht um den Fall Vialidad: die angebliche Kartellbildung bei öffentlichen Bauvorhaben in der Provinz Santa Cruz zwischen 2003 und 2015. Zu Beginn der mündlichen Verhandlung wenige Tage vor Antritt der Vizepräsidentschaft im Dezember 2019 hatte Fernández in einer flammenden Rede erklärt, dass ein Komplott der konservativen Opposition, der Mainstream-Medien und verschiedener Bundesrichter und Staatsanwälte ihr mit einer Verurteilung drohe.

Die Klagebegründung

Die Staatsanwaltschaft wirft der früheren Präsidentin und aktuellen Vizepräsidentin vor, zwischen 2007 und 2015 eine illegale Vereinigung angeführt und den Staat betrogen zu haben. Hintergrund ist die Vergabe von Straßenbauarbeiten in Santa Cruz an Austral Construcciones. Eigentümer des Unternehmens ist Lázaro Báez, ein persönlicher Freund von Néstor Kirchner und Partner und Kunde im Immobiliengeschäft der Familie. Bis zur Wahl Néstor Kirchners im Jahr 2003 war Báez als Bankmanager tätig und wechselte dann in die Baubranche. Schon kurze Zeit später bekam der Business-Neuling den Zuschlag für eine Ausschreibung in der Provinz, die ihm ein Vermögen einbrachte. Nach dem Tod Néstor Kirchners im Jahr 2010 distanzierte sich Cristina Fernández von Báez und anderen geschäftlichen Beziehungen, die dieser aufgebaut und gepflegt hatte, aber die geschäftliche Beziehung wurde noch eine Zeitlang weitergeführt.

Haftstrafe unwahrscheinlich

Dass Fernández ins Gefängnis kommt, ist unwahrscheinlich. Es müssen noch 13 Angeklagte gehört werden, was bis zu 39 Verhandlungstage in Anspruch nehmen kann. Gegen das Urteil des Bundesgerichts gibt es zwei Berufungsinstanzen, eine davon ist der Oberste Gerichtshof, der keine Frist für seine Entscheidung festsetzt. Die heute 69-Jährige wäre bei einer rechtskräftigen Verurteilung definitiv über 70 Jahre, so dass ihre Haftstrafe in Hausarrest umgewandelt würde, und bis zum Urteilsspruch genießt Fernández aufgrund ihres Amtes ohnehin Immunität. Soweit zu den formalen Aspekten. Dazu kommen die Beteuerungen der Menschen im Umfeld der Vizepräsidentin, Fernández hätte ihr Amt niemals benutzt, um sich persönlich zu bereichern. Außerdem ist fraglich, welche Folgen die Verurteilung einer politische Führungspersönlichkeit hätte, die selbst in so schlechten Zeiten wie diesen von mindestens einem Viertel der Bevölkerung unterstützt wird. Unmittelbar nachdem Luciani sein Plädoyer beendet hatte, positionierten sich Präsident Alberto Fernández, zahlreiche Abgeordnete und Wirtschaftsminister Sergio Massa deutlich ablehnend und erklärten die Anschuldigungen als einen Fall von lawfare: einen Versuch der gerichtlichen Instanzen, unter dem Vorwand der Korruptionsbekämpfung ihre Instrumente zu missbrauchen, um gegen die politische Linke vorzugehen. Internationale Politiker*innen wie Dilma Rousseff, Pablo Iglesias, Ernesto Samper und Jean-Luc Mélenchon drückten ihre Solidarität mit Fernández aus.

Dünne Beweislage, Ausgang des Verfahrens trotzdem unklar

Es deutet einiges darauf hin, dass die Richter dem Antrag der Staatsanwaltschaft ganz oder teilweise folgen werden. Einer der drei Bundesrichter, Rodrigo Giménez Uriburu, und ein weiterer Bundesrichter, der mit den Anschuldigungen gegen die Vizepräsidenten befasst ist, sind mit Luciani in einer Fußballmannschaft. Richter Jorge Gorini wurde von der Verteidigung abgelehnt, nachdem seine Verbindung zu Patricia Bullrich, ehemalige Ministerin für Innere Sicherheit und Unterstützerin des rechten Flügels der Opposition, bekannt geworden war.

Nachdem das Verfahren wegen Hochverrats wegen des Memorandums mit dem Iran zur Untersuchung des AMIA-Bombenanschlags und das Hotesur-Verfahren wegen der Vermietung von Immobilien an einen nahestehenden Geschäftsmann eingestellt und die Spekulationsvorwürfe aus 2015 fallengelassen worden waren, birgt der Fall Vialidad nun die gravierendsten Vorwürfe, die gegen die Vizepräsidentin im Raum stehen. Die Lückenhaftigkeit der Beweislast, auf denen sich der Antrag auf 12 Jahre Gefängnisstrafe stützt, vesuchte Staatsanwalt Luciani mit einer ordentlichen Portion Polemik auszugleichen. Während seines langen Plädoyers erklärte der Staatsanwalt: „Báez ist Kirchner“, daran bestehe überhaupt kein Zweifel. Das Bauvorhaben, von dem Báez profitiert habe, sei „das größte Korruptionsmanöver in diesem Land“ seit der Wiedereinführung der Demokratie im Jahr 1983. Nicht immer wirkten die von ihm erläterten Verdachtsmomente überzeugend. Während Lucianis Beschreibung der Wettbewerbsvorteile von Báez‘ Unternehmen in Santa Cruz, der laxen Kontrollen und fiktiven Mitbewerber fundiert wirkten, ließen seine politischen Schlussfolgerungen es durch ihre Rhetorik an der gebotenen Nüchternheit mangeln. Außerdem hat die mehr als fünf Jahre dauernde Ermittlung kein Dokument, keinen Bankbeleg und schon gar kein Geständnis hervorgebracht, mit dem sich beweisen ließe, dass die Immobilien und die etlichen Millionen Dollar auf Báez‘ Offshore-Konten in Wirklichkeit der Familie Kirchner gehören. Auch einen Beweis für die Zahlung von Schmiergeldern konnte Luciani nicht vorlegen. Was sich tatsächlich nachteilig auf das Ansehen der Kirchners auswirkt, ist die Tatsache, dass sie eine Geschäftsbeziehung mit einem Unternehmer unterhalten haben, der sich während seiner 12-jährigen Amtszeit bereichert hat. Um von einer Straftat sprechen zu können und eine Verurteilung zu erwirken, braucht man entsprechende Beweise. Bleibt abzuwarten, wie die argentinischen Bundesgerichte weiter verfahren.

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