Hi, ich bin Valentin. Vor einem Monat bin ich von meinem Freiwilligendienst in Ecuador zurückgekehrt. Ich habe dort in dem kleinem Dorf Caimito mit angepackt und durfte über Pflanzen und Menschen lernen. Caimito liegt an der nördlichen Pazifikküste Ecuadors, in der Provinz Esmeraldas. Das Zusammenspiel von Bergen, Küste, Strand und Regenwald ist für Ecuador einzigartig. Das ganze Jahr ist der Himmel bewölkt und die Sonne schaut nur zu Weihnachten einmal vorbei. Caimito und die umliegenden Dörfer sind vor allem landwirtschaftlich geprägt. Dabei werden vor allem Kakao, Yuca, Bananen und Orangen angebaut. Anders als auf den umliegenden Kakao-Monokulturen wird in Caimito auf den meisten Fincas immer noch auf chemische Pflanzenschutz- und Düngemittel verzichtet. Dafür wurde der Gedanke der sogenannten „Permakultur“ etabliert und in Form von vielseitigen, zum Teil auch traditionellen Waldgärten umgesetzt.
Permanentes Kultivieren?? Whaaat?
Nach meinem „Corona-Abitur“, bei dem ich vor allem viel von meinem Zimmer gesehen habe, zog es mich nach draußen. Weit weg. Ich wollte einen Kontrast zum Schulalltag, aber auch zur Anspannung, die in Deutschland zu spüren war. Deshalb reizte es mich sehr, draußen zu sein. Zu lernen, draußen zu leben und vielleicht auch, auf bestimmte Dinge zu verzichten.
„Klimagerechtigkeit“, „Ernteausfälle“ und „Naturkatastrophen“ waren Begriffe, die ich zwar zu verstehen glaubte, letztendliches aber nicht wirklich kannte. Der Begriff „Permakultur“ war mir sogar noch gänzlich unbekannt. Ehrlich gesagt hatte ich am Anfang, wie wahrscheinlich viele, die Vorstellung es ginge um „permanentes kultivieren“. Meine Erfahrungen in Ecuador jedoch haben mir gezeigt, wie vielseitig der Begriff ist. Und sie haben mir Hoffnung gegeben, leben zu können, ohne zu zerstören – oder auf Grund von Zerstörung. „Earth Care“, „People Care“ und „Fair Share“ sind die Hauptmotive der Permakultur. Oft frage ich mich: Wie wäre die Welt, wenn all diese Leitmotive stets bei jedem im Hinterkopf wären? Würde das vielleicht wirklich funktionieren und grundlegend etwas verändern?
Zur Geschichte der Permakultur – einer blühenden, vielblättrigen Blume
Doch was ist Permakultur eigentlich? Permakultur kommt nicht ursprünglich aus Ecuador und nicht einmal aus Südamerika. Zumindest der Begriff wurde in den 1970er Jahren von Bill Mollison und David Holmgrem in Australien entwickelt und konzipiert. Grob gesagt geht es bei Permakultur um das Gestalten menschlichen Lebens im Einklang mit der Natur. Die Permakultur vernetzt, integriert. Sie bezieht sich auf alle Bereiche des Lebens, wobei die Landwirtschaft nur einer von vielen ist: Gesundheit, Architektur, Bildung, Finanzielles ,Wirtschaft, Spiritualität, Glaube etc. All diese Bereiche sind die „Blütenblätter“ der sogenannten „Blume der Permakultur“.
Aber natürlich ist die Landwirtschaft wohl einer der zentralen Bereiche des Lebens, in dem die Permakultur Handlungsweisen empfiehlt. Dieses „Blütenblatt“ beschreibt ein Konzept über das Nutzen bzw. Schaffen gesunder, produktiver und komplexer Ökosysteme. In diesem Sinne stellt Permakultur einen Gegenpol zur konventionellen Landwirtschaft dar. Es werden verschiedenste Techniken und Vorgehen vorgeschlagen. Sei es ein Kompost, ein Hühnerstall oder ein Hügelbeet. Durch verschiedene Prinzipien und konkrete Techniken wird in einem Design ein möglichst autonomes und verflochtenes, aber auch geschlossenes Ökosystem als Gebilde kreiert, in dem jedes Objekt eigene Bedürfnisse, Eigenschaften und Produkte hat.
Natürliche Ökosysteme nachbauen, alte Techniken wieder nutzen
Während meiner Zeit in Ecuador konnte ich lernen, wie diese Konzepte konkret landwirtschaftlich umgesetzt werden. Zum Beispiel wurden beim Bebauen von Waldgärten analog zum natürlichen Wald die verschiedenen vegetativen Schichten imitiert. Diese wurden jedoch mit sorgfältig ausgewählten und vorwiegend produktiven Arten bestückt. So kann auf relativ engem Raum effektiv Nahrung produziert werden und noch dazu werden durch die Diversität der Kulturen verschiedenste Nischen für Tiere gebildet. So schafft man es von sogenannten „anthropogenischen Ökosystemen“ zu leben, ohne der Natur zur Last zu fallen bzw. diese sogar zu regenerieren. Kreisläufe werden gebildet und geschlossen. Das System funktioniert auch ohne Input von außen in Form von künstlich geschaffenem Dünger. Noch dazu hat man die größte Auswahl an leckeren Früchten, die man sich nur vorstellen kann und die Möglichkeit für eine dementsprechend vielfältige, gesunde und natürliche Ernährung. Solche Systeme brauchen ihre Zeit um Gewinn abzuwerfen, da sie relativ langsam entstehen. Aber auch dafür durfte ich Techniken kennen lernen.
Stirbt in einem Wald ein Baum und fällt um, so hinterlässt dieser eine freie Fläche im Wald. Mit der Zeit erholt sich der Wald jedoch und schließt dieses Loch. Dieser Prozess wird Sukzession genannt. Dabei lösen sich verschiedene Pflanzen- und Tiergemeinschaften hintereinander ab und regenerieren so das Ökosystem Wald. Zunächst beginnen die Pionierarten. Sie wachsen schnell und dicht, werden allerdings auch nicht so groß und auch nicht so alt. Mit dem Wachstum der ersten Arten, verändern sich die Bedingungen. So haben andere Pflanzen und Tiere wieder einen Vorteil und können sich durchsetzten. Insgesamt sieht man über die Jahre wie der Sekundärwald entsteht und dabei verschiedene Arten kommen und gehen.
Genug Nahrung produzieren und dabei Ressourcen schonen
Genau diesen Ablauf haben wir uns als Vorbild zum Aufbau eines Waldgartens genommen. So ersetzt man auch hier die verschiedenen Pflanzengemeinschaften: Während am Anfang Mais, Bohnen und weiteres Gemüse glücklich über die Sonne ist, brauchen Bananenstauden oder Kakaobäume noch mehr Zeit. Nach der Ernte des Gemüses nach meist schon wenigen Monaten, schließt sich das Blätterdach mit den Bananenstauden. Diese produzieren innerhalb eines knappen Jahres. Solange haben die Baumsetzlinge Zeit im behüteten Halbschatten zu wachsen. Durch diese „produktive Sukzession“ kann man sogar im Aufbau Ertrag ernten.
Schaut man einmal genauer hin fällt auf, dass diese Arten des Anbauens gar nicht neu sind. Ich persönlich sehe Permakultur als ein Konzept, welches neues und altes Wissen vereint. Das fasziniert mich besonders, denn ich bemerke, dass ich oft die Lebensweise von früherer, vormoderner Zeit bewundere: Die in den alten Techniken verankerte Naturverbundenheit, die es ermöglichte, genug Nahrung zu produzieren ohne dabei die natürlichen Ressourcen langfristig zu zerstören. Ein Leben „wie früher“ wäre in gewisser Weise natürlich auch ein Schritt zurück. Es war sicher vor allem hinsichtlich der Gesundheit deutlich härter. Aber ich glaube, dass die Permakultur uns alternative Wege aufzeigt. So können dem heutigen Lebensstil im hochentwickelten Kapitalismus, der die Natur zerstört, einige alte, nachhaltige Techniken entgegengesetzt werden. So könnte die Welt nicht noch weiter zerstört, sondern vielleicht sogar geheilt werden.
Natürliches Bauen und Anbauen als Wege aus der Krise?
Besonders deutlich wurde mir dieses alte Naturbewusstsein, als ich mir die baulichen Konstruktionen anschaute. Der Begriff „Natürliches Bauen“ ist mir in meinem Freiwilligendienst in Ecuador oft über den Weg gelaufen. Er bezeichnet das Bauen mit nachhaltigen, natürlichen Materialien, wie Lehm, Stein und Holz. Materialien die im Umkreis, in der Natur, zu finden sind. Aber sind nicht alle alten Gebäude genau so erbaut worden? Auf der ganzen Welt wurden alte Bauten aus Lehm gefunden. Ich durfte zum Beisiel die Wüstenstadt Chan-Chan kennenlernen, die von der Chimú-Kulutur an der peruanischen Pazifikküste vor über 700 Jahren aus reinem Lehmbau errichtet wurde. Durch den Sand, der die Lehmbauten überdeckte, waren sie vor Witterung geschützt und sind zum Teil heute als UNESCO-Weltkulturerbe offen für Besichtigungen.
Neu ist die Idee mit Erde zu bauen also nicht. Genau so ist es beim Bewirtschaften eines Waldes. So soll der Amazonas einst stark besiedelt gewesen sein, bevor die spanischen Kolonialisten kamen. Von Zivilisationen mit Tausenden von Einwohner*innen ist die Rede. Sie konnten dort leben, weil sie verstanden hatten, von dem Regenwald zu leben, ohne ihn langfristig zu schädigen. Vielleicht ist es also an der Zeit, im Angesicht von Regenwaldabholzung, Klimawandel, Saatgutlizenzen, Dürren und kilometerlangen Monokulturen, zurück zu schauen. Ich glaube die Permakultur stellt einen der Wege dar, wie eine nachhaltige Lebensmittelproduktion umgesetzt werden kann.
Ich bin sehr dankbar, so viel gelernt haben zu können während meiner Zeit in Ecuador. Natürlich hätte ich dafür nicht einmal um die Welt reisen müssen. Aber das Ausbrechen aus Deutschland und der deutschen Lebensweise war auf jeden Fall auch eine wichtige Erfahrung, um die Welt ein bisschen mehr zu verstehen.
Die Blätter der „Permakultur-Blume“ von Nachrichtenpool Lateinamerika ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.
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