Von Markus Plate
(Mexiko-Stadt, 12. März 2018, npla).- Costa Rica könnte am Ostersonntag einen erzkonservativen, evangelikalen Präsidenten bekommen. Das Land, das sich Jahrzehnte lang rühmte, mit das politisch liberalste Land auf dem Subkontinent zu sein. Doch so liberal ist Costa Rica nicht: Laut Verfassung nicht laizistisch, sondern katholisch. Abtreibungen sind komplett verboten. Innerfamiliäre Gewalt gegen Kinder, zahllose Vergewaltigungen von Frauen, die – auch wegen der Gerichte – meist ungestraft bleiben. Weit über 10.000 minderjährige Schwangere, längst nicht nur in der Provinz. Auch weil gegen Sexualkundeunterricht seit Jahren Tausende Eltern entrüstet Sturm gelaufen sind – und laufen. Das Recht auf künstliche Befruchtung mussten sich kinderlose Eltern vor dem Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte erkämpfen.
Fabricio Alvarado, der evangelikale Kandidat, will auch das wenige Erreichte zurücknehmen. Dafür ist er sogar bereit, internationale Institutionen wie den Menschenrechtshof zu verlassen. Der ist pikanterweise in San José, Costa Rica. Internationaler Ansehensverlust und wirtschaftliche Verwerfungen scheinen garantiert. Und das nur, weil eben dieser Gerichtshof im Januar Costa Rica dazu aufforderte, homosexuelle Partnerschaften den heterosexuellen gleichzustellen. Homos verdienen den Tod, kreischen evangelikale Mütter vor öffentlichen Schulen, und das meinen sie wohl fast wörtlich: Hunderte schwule Jugendliche werden jedes Jahr von ihren Eltern auf die Straße gesetzt und sogar aus Dörfern vertrieben, Frauen mit alternativem Erscheinungsbild inzwischen in aller Öffentlichkeit von rechtgläubigen Rentnerinnen beschimpft.
Sehnsucht nach den alten Zeiten
Ist das kleine Tropenparadies, das Jahr für Jahr Hunderttausende, auch schwul-lesbische Touristen anlockt, denn wirklich so reaktionär? Zum Teil: Ja! Aber das evangelikale Votum entspringt oft der Sehnsucht nach dem alten, sicheren Costa Rica und dem Gefühl des Verlassenseins. Viele fühlen sich durch Freihandel und Globalisierung an die Wand gedrückt. Das ländliche Costa Rica sieht sich von der alles dominierenden Hauptstadtregion abgehängt, ignoriert. Evangelikale Gemeinden sind überall präsent und ihre Mitglieder fühlen sich dort wahrgenommen, zugehörig und begleitet. Gerade weil die Evangelikalen und ihr Kandidat mit Klauen und Zähnen die Familie verteidigt. Aber es ist ein Familienbild aus dem 19. Jahrhundert. Elternfreizeit, Verbesserung der immer mieseren Arbeitsbedingungen, staatlich finanzierte Kindertagesstätten, bezahlbare und gute Schulen, alles das ist in Fabricio Alvarados Wahlkampf kein Thema.
Natürlich gibt es Schwule, Lesben, Trans*personen, alleinerziehende Mütter, nicht-prügelnde Männer, an anderen Ländern interessierte und aufgeschlossene Menschen, liberale katholische wie evangelikale Kirchenmitglieder. Aber sie laufen Gefahr, ihr Land, ihr Leben, so wie sie es leben wollen, an einen radikalreligiösen und erzkonservativen Eiferer zu verlieren. Ticos und Ticos werden sich, ihr Recht und ihr Leben zu verteidigen wissen. Damit würde Costa Rica ein Ende des so friedlichen Miteinanders drohen; auch so ein Image, dass Costa Rica so gerne pflegt. Noch bleiben knapp zwei Wochen, Unentschlossene und Fabricio-Sympathisant*innen von den Gefahren eines evangelikalen Hardliners als Präsidenten zu überzeugen.
Costa Rica vor der Stichwahl am 1. April von Nachrichtenpool Lateinamerika ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.
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