(São Paulo, 14. August 2021, poonal).- Im größten Filmarchiv Südamerikas hat ein Großbrand Material der brasilianischen Filmindustrie vernichtet. Kulturschaffende machen das fehlende Interesse der brasilianischen Regierung für Kulturpolitik dafür verantwortlich.
Die Kultur- und Filmszene Brasiliens ist nicht überrascht über den verheerenden Brand im Stadtteil Vila Leopoldina in São Paulo. Die ehemaligen Angestellten des Filmarchivs bezeichneten den Brand in einer offiziellen Mitteilung als „angekündigtes Verbrechen“. Am Nachmittag des 29. Juli war im Lager der Cinemateca Brasileira ein Großfeuer ausgebrochen. Das Lager des größten Filmarchivs in Lateinamerika beherbergt circa 250.000 Filmrollen und über eine Million weitere Dokumente aus der Filmbranche. Am selben Abend gelang es der Feuerwehr, den Brand unter Kontrolle zu bringen. Den Behörden zufolge wurde dabei niemand verletzt. Das Filmarchiv ist eine der tragenden Institutionen der brasilianischen Filmindustrie und verantwortlich für die Erhaltung und Verbreitung von Bild- und Tonmaterial aus Brasilien.
Ende der Finanzierung, Beginn des Verfalls
Der Gouverneur von São Paulo und politische Gegner Bolsonaros João Doria kommentierte die kulturelle Tragödie auf Twitter: „Das Feuer im Filmarchiv in São Paulo ist ein Verbrechen gegen die Landeskultur. Das ist das Resultat der Missachtung der Kunst und des brasilianischen Gedächtnisses: der voranschreitende Tod der nationalen Kultur.“ Am 8. August jährte sich das abrupte Ende der Finanzierung des Archivs durch die brasilianische Regierung. Die gesamte Belegschaft sei zu dem Zeitpunkt entlassen worden, erinnern sich die ehemaligen Angestellten des Filmarchivs in ihrer Meldung. Lediglich Putzkräfte, Hausmeister und Feuerwehr seien damals für die grundlegende Instandhaltung des Gebäudes durch die Regierung eingestellt worden. Doch das deckte die spezielle Pflege der Filmrollen nicht ab. Seit einem Jahr weisen ehemalige Angestellte des Archivs auf die Brandgefahr hin, die ohne regelmäßige Durchsicht durch Fachpersonal von den selbstentflammbaren Filmrollen ausgeht. Dies sei insbesondere absehbar gewesen, da es bereits das fünfte Feuer im Filmarchiv war. Unter den Filmrollen und Materialien befanden sich international prämierte Titel sowie einzelne Exemplare, von denen es keine weiteren Kopien gibt. Bereits 2020 waren mehrere Gegenstände des Archivs durch Überflutungen beschädigt worden.
„Es fühlt sich nicht einmal an wie ein Unfall“
Die ehemaligen Mitarbeiter*innen des Filmarchivs bringen den Brand als politisches Versagen mit der Missregierung in der Coronakrise in Zusammenhang: „Neben den vermeidbaren Toden wird auch unsere Geschichte kontinuierlich ausgerottet – als wäre es ein Projekt. Leider haben wir nun einen weiteren Teil des historischen Kulturguts in Brasilien verloren.“
Regisseur Kleber Mendonça Filho machte über die sozialen Medien auf den Verlust der Kulturgüter aufmerksam. „Es fühlt sich nicht einmal an wie ein Unfall“, schreibt der Gewinner des Cannes-Jury-Filmpreises von 2019 auf Twitter. Die Gesellschaft der Bewegtbild-Archivist*innen in Hollywood sowie Filmfestivals in Europa bekundeten Trauer und Solidarität.
Rückschläge gegen die Kulturindustrie
Die Kunst- und Kulturszene Brasiliens musste in den letzten Jahren bereits viele Rückschläge verkraften. Noch während der Präsidentschaft von Michel Temer brannte 2018 das Nationalmuseum in Rio de Janeiro nieder, wobei fast alle historischen und wissenschaftlichen Exponate verloren gingen, die in 200 Jahren gesammelt worden waren.
Seit dem Amtsantritt von Jair Bolsonaro erlitten kulturelle Institutionen immer stärkere Kürzungen. Sein Desinteresse an brasilianischer Kultur zeigte sich kürzlich bei der Eröffnungsfeier des „Museum der Portugiesischen Sprache“ am 31. Juli. Während die Präsidenten von Portugal und den Kapverden angereist waren, um mit dem Gouverneur und dem Bürgermeister von São Paulo dem feierlichen Akt beizuwohnen, glänzte das brasilianische Staatsoberhaupt durch Abwesenheit.
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