Auf der Suche nach einem besseren Leben in Buenos Aires

Laura ist jung, lustig und lebensfroh, und man merkt ihr nicht an, dass sie sich ganz schön durchbeißen musste, um nun dort zu stehen, wo sie ist. In Buenos Aires wohnen wir während meines Freiwilligendienstes zusammen in einer WG. In dem folgendem Interview erzählt sie mir ihre Geschichte als venezolanische Migrantin.

Wie bist du darauf gekommen, ausgerechnet nach Argentinien zu wollen, wo es doch keine Grenze mit Venezuela hat?

Mein Bruder war schon seit zwei Jahren in Argentinien und er hat mich gefragt, was ich nach der Uni mache. Ich wusste es nicht, aber natürlich würde ich das Land verlassen. Er lud mich zu sich nach Argentinien ein. Das Angebot nahm ich an, weil ich dachte, dass er mich begleiten und unterstützen würde, was dann nicht der Fall war. Alle Fragen über Argentinien hat mir ein Freund über Instagram beantwortet, den ich bis heute nicht persönlich kenne. Es war nicht meine erste Wahl, vielmehr meine einzig.

Wie fühlst du dich heute in Argentinien?

Wirklich gut, denn hier hat man Chancen. Die Argentinier sagen immer, hier hätte man keine Perspektive und hier würde nichts funktionieren. Aber aus venezolanischer Sicht stimmt das nicht. Hier gibt es Arbeit, Zugang zu Bildung und Essen. Es ist traurig, das zu sagen, aber hier kann man seine drei Mahlzeiten am Tag zu sich nehmen und sogar noch ein bisschen mehr. In Venezuela geht das nicht, viele Menschen leiden durch die Unterernährung schon psychisch. Es hat alles mit dem Antritt des Präsidenten Maduro zum Jahreswechsel 2006/2007 angefangen.

Wie hast du bisher deinen Lebensunterhalt in Argentinien finanziert?

Ich arbeitete in einem peruanischen Restaurant, wo einer meiner älteren Kollegen mir gegenüber anzüglich wurde. Ich verdiente 12.000 Pesos, das Geld, was ich brauchte, um die Miete zu bezahlen. In Argentinien gibt es viel Arbeit unter der Hand, womit die Arbeitgeber Steuern umgehen. So habe auch ich eine Arbeit unter der Hand annehmen müssen, was zur Folge hatte, dass ich keine Abfindung bekommen habe, als ich aufgrund meines Mitarbeiters gekündigt habe. Danach fing ich an, nachts in einem Kiosk zu arbeiten und Hunde auszuführen. Mittlerweile jobbe ich in einem bekannten Modegeschäft, was ausgezeichnet ist, da große Ketten öfters von Inspektoren kontrolliert werden und ich deswegen dort legal arbeite. Das sichert mir einen festen Arbeitsplatz, geregelte Arbeitszeiten und eine Abfindung im Kündigungsfall. Mein Plan ab jetzt ist: Arbeiten, um Geld zu sparen und mich zu spezialisieren, und meine juristische Karriere fortzusetzen.

Kannst du hier mit deinem abgeschlossenen Jurastudium keine Arbeit finden?

Dafür fehlt mir die Spezialisierung, ich habe in Venezuela nur das Grundstudium beendet. Aber um hier arbeiten zu können, muss ich mich spezialisieren und eine Prüfung machen, damit mein venezolanischer Abschluss anerkannt wird. Als erstes werde ich meinen Titel registrieren, mit dem ich mein Studium fortsetzen kann. Wie hast du dich in dem Moment gefühlt, als du dein Land verlassen hast? Ich weinte, auf der ganzen Reise habe ich nur geweint. Als ich mich von meinen Eltern verabschiedete, war es drei Uhr nachts an einem Freitag. Sie haben mich mit dem Auto bis nach Kolumbien gefahren. Die ganze Autofahrt lang habe ich geschluchzt. Ich hatte einen eintägigen Zwischenstopp in Bogotá (Kolumbien) und wusste nicht, was ich dort machen sollte. Also habe ich mich einfach auf mein Bett gelegt und geweint. Ich habe an meine Mutter gedacht und daran, dass ich nie wieder kommen und meine Eltern nie wieder sehen würde. Aber ich habe es nie bereut, gekommen zu sein.

Wie hast du dich gefühlt, als du hier angekommen bist? Wurdest du gut aufgenommen?

Das erste, was mir immer passiert ist, dass ich durch meinen Akzent als Ausländerin identifiziert werde. Und dadurch, dass wir Venezolaner die neueste große Migrationsgruppe hier sind, ist dann auch schnell klar, woher ich komme. Das erste Mal, dass mir das passiert ist hat mich eine Frau angesprochen und direkt gefragt, woher ich komme. Aus Venezuela. Die Frau neben mir ist aufgesprungen, hat mich umarmt, geküsst, und sagte: Ich liebe Venezolaner!! Die beste Migration, die Argentinien je erlebt hat. Ihr seid so gebildet und höflich, macht keine Probleme, seid sehr ordentlich und strebsam. Das hörte ich ab dann auch wirklich oft, das ist der Ruf, den wir Venezolaner hier in Argentinien haben!  Für mich ist es witzig, dass du auch am Akzent als Ausländerin erkannt wirst, bei mir als Deutsche ist das nachvollziehbar, aber mich überrascht es, dass es dir genauso geht.
Ich komme aus einer Region Venezuelas, die unter den Venezolanern schlecht angesehen ist, da man sich dort informeller ausdrückt. Dadurch muss ich noch stärker darauf achten, wie ich mich in Argentinien ausdrücke.

Möchtest du dich an die argentinische Kultur anpassen?

Ich möchte mich nicht anpassen, denn für mich ist das eine Art Selbstentfremdung. Ich bin stolze Venezolanerin und das ist auch gut so! Wenn mir etwas nicht gefällt, mache ich das auch nicht, aber gegen einen Mate spricht doch nichts. Oft werde ich gefragt, warum ich nach Argentinien wollte, wenn es doch mit diesem Land wirtschaftlich bergab geht. Das Land geht für die Argentinier den Bach runter, aber für uns ist es ein Paradies. Hier kann man nachts auf den Straßen spazieren und Bus fahren. In Venezuela kann man zu keiner Tageszeit mit dem Handy in der Hand das Haus verlassen. Die Kriminalitätsrate ist so hoch, dass einem alles weggenommen wird, was man hat. Wenn du kein Geld, kein Handy dabei hast, wirst du überfallen und sie bringen dich um, aus Frustration, dass du nichts dabei hast.

Wie hast du so lange in dem Land unter solchen Bedingungen durchgehalten, du sagtest vorher, dass alles hätte schon 2006 begonnen?

Stück für Stück akzeptiert man, dass das eigene Land so ist. Das ist sehr traurig, aber der Mensch ist ein Gewohnheitstier. Man findet schon irgendwie seinen Weg und seine Tricks, um den Alltag durchzustehen. Wenn ich zur Uni gefahren bin, habe ich mein Handy unter den Pullover versteckt, und mir drei weitere drüber gezogen. In der Uni holte ich es wieder raus, so machen das alle. In meinem Freundeskreis sind viele frustriert zu Uni gekommen, weinend, weil sie die Situation nicht mehr ausgehalten haben. Noch schlimmer wurde es, als es nicht mehr genügend Medikamente gab, und Familienangehörigen erkrankten. Wie soll man denn auch stark bleiben, wenn man seiner kranken Tante nicht helfen kann und ständig in Angst lebt?

Was ich jetzt schon öfter von Venezolanern gehört habe, ist: „Wenn ich die Chance habe, gehe ich nach Europa“. Wie stehst du dazu?

In Argentinien gibt es eine Aufenthaltsgenehmigung für zwei Jahre. Das ist genug Zeit, um Dokumente zu beantragen, zu arbeiten und ein wenig Geld anzusparen. Danach dürfen wir die argentinische Staatsangehörigkeit beantragen, mit der man in die Vereinigten Staaten einreisen kann. Viele Leute machen das so. Das gleiche Prinzip gilt für Deutschland, Holland, Frankreich und andere Erste-Welt-Länder. Dort gibt es mehr Chancen. Ich persönlich denke: Hier kostet eine Miete zum Beispiel 10.000 Pesos und man verdient 20.000, das ist doch großartig! Man hat vielleicht nicht viel, aber es bleibe etwas für einen selbst.

Wie machst du jetzt weiter, Laura?

Ich möchte mir hier ein Leben aufbauen. Ich möchte mich mit diesem Land bis ins letzte Detail auseinandersetzen, damit ich mich selbstsicher in Argentinien zurechtfinde, Sprachgewohnheiten, Bräuche, Feiertage kennen lernen.

 

Sarah Schorfheide war mit ICJA -Freiwilligenaustausch weltweit in Argentinien.

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