Angriff auf Neonazis: sieben Jahre Gefängnis für Migranten

(Madrid, 21. Juli 2021, El Salto).- Drei junge Migranten sind von einem Gericht in Madrid zu sieben Jahren Haft und der Zahlung von 4.100 Euro Schadensersatz verurteilt worden, weil sie zwei Neonazis angegriffen hatten. Das Urteil fiel damit um einiges höher aus als die von der Staatsanwaltschaft geforderten fünfeinhalb Jahre. Was das Gericht bei seiner Entscheidung unberücksichtigt ließ: Kurz vor dem Angriff waren bei den beiden Neonazis Waffen beschlagnahmt worden. Die Rechtsextremen waren losgezogen, um „Jagd“ auf minderjährige Migranten zu machen.

Aus Jägern werden Gejagte

14. Oktober 2020 im Madrider Stadtteil San Blas: In der Nähe der U-Bahn-Haltestelle Las Rosas treffen vier Jugendliche marokkanischer Herkunft auf zwei Neonazis. Wie die Rechtsextremen später aussagten, hatten sie von der Vergewaltigung eines junges Mädchens gehört und befanden sich nun gezielt auf der Suche nach so genannten Menas, das spanische Akronym für unbegleitete jugendliche Migranten (menores extranjeros no acompañados), die sie zu verprügeln gedachten. (Wenige Tage später gab die Polizei bekannt, dass kein Migrant die Tat begangen hatte, sondern ein junger spanischer Staatsbürger). Als sie auf die Gruppe jugendlicher Migranten trafen, fragten sie erst nach, ob sie Migranten seien, und begannen anschließend, sie zu schubsten und mit einem Motorradhelm zu schlagen. Die vier Minderjährigen seien geflohen, doch dann habe sich das Blatt gewendet, und plötzlich hätten sie, die Neonazis, vor den Migranten weglaufen müssen, bis die marokkanischen Jugendlichen die Verfolgungsjagd irgendwann beendeten. Kurz darauf wurden die beiden Neonazis von einer Polizeistreife abgefangen. Laut Polizeibericht stellten die Beamten ein Messer und einen Teleskopschlagstock sicher und ließen die beiden laufen. Damit war die Pechsträhne der Neonazis jedoch noch nicht vorbei: Auf dem Heimweg trafen sie auf eine weitere Gruppe minderjähriger Migranten, die sie mit Stöcken und Pflastersteinen angriff. Wie der Anwalt der beiden Neonazis später twitterte, erlitt einer von ihnen Prellungen, einen Nasenbeinbruch und eingedrückte Schneidezähne. Er musste sieben Tage ins Krankenhaus und wurde für einen Monat krankgeschrieben. Der zweite erlitt ebenfalls Prellungen und eine Platzwunde, die genäht werden musste, und blieb zwei Wochen lang in ärztlicher Behandlung. Der Anwalt gab außerdem bekannt, dass beide der rechtsextremen Organisation Bastión Frontal angehören.

„Entweder du rennst weg, oder du verteidigst dich“

„Die beiden Nazis, die sich da zu Opfern stilisieren, sind in unserem Viertel bekannt. Aus den sozialen Netzwerken wissen wir sogar ihre Namen und ihr Alter. Sie heißen Pepe und Luis und sind zwischen 19 und 23 Jahre alt. Die beiden waren losgezogen, um die Jugendlichen zu verprügeln, einfach nur, weil sie Migranten sind. Wenn die auf dich zukommen, um dich zu schlagen, rennst du entweder weg oder du verteidigst dich. Und da die andern zu viert waren, haben sie sich eben verteidigt“, erklärt Shay gegenüber El Salto. Der junge Aktivist ist Mitglied der Gruppe San Blas-Canillejas en Lucha, die schon mehrere rechte Überfälle hinter sich hat. Nach dem Angriff zogen von Bastión Frontal und Defend San Blas organisierte rechtsextreme Aufmärsche durch das Viertel. Mit Sprüchen wie „San Blas – ein Massengrab für Menas“ und „Kein einziger verfickter Mena mehr in San Blas“ gelangten sie bis vor den Eingang eines Gebäudes, in dem mehrere minderjährige Migranten leben. Verbände wie SOS Racismo bezeichneten die Demonstrationen als Hassverbrechen.

Jagd auf Migranten: “Keine strafrechtliche Relevanz”

Noch in derselben Nacht des Angriffs und am folgenden Tag wurden insgesamt vier Jugendliche nordafrikanischer Herkunft verhaftet, darunter ein Minderjähriger. Zwei 18-Jährige und ein 19-Jähriger kamen in Untersuchungshaft. Bei dem Prozess Anfang Juli bestritten die Rechtsextremen ihre zuvor gegenüber der Polizei zugegebenen Äußerungen, gezielt Jagd auf Migranten gemacht zu haben, um diese zusammenzuschlagen. „Zwar haben die Geschädigten keine schlüssige Erklärung angeboten, was sie in dem Park, in dem die Ereignisse begannen, zu tun hatten und warum sie die Waffen, die von der Polizei beschlagnahmt wurden, mit sich führten. Diese Fragen sind aber auch nicht Gegenstand dieses Verfahrens und haben daher keine strafrechtliche Relevanz“, befand dazu der Richter. Die „politische Gesinnung der Geschädigten und der von ihnen provozierte vorangegangene Vorfall spielen für die Urteilsfindung keine Rolle“, lautete die Schlussfolgerung des Gerichts.

Die jungen Marokkaner werden des Landes verwiesen, sobald sie zwei Drittel ihrer Strafe verbüßt haben, und dürfen für einen Zeitraum von zehn Jahren nicht mehr nach Spanien zurückkehren.

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