Muxhes: Sichtbarkeit und Realität des „dritten Geschlechts“

Lukas Avendaño, Muxhe Performance Künstler*in. Foto: Marío Patinho via wikimedia commons, CC BY-SA 4.0.

(Oaxaca de Juárez, 16. November, El Salto).- In den zapotekischen Gemeinden am Isthmus von Tehuantepec durchbricht das Kollektiv die Geschlechterdichotomie, indem es sich auf die kulturelle Tradition seines ursprünglichen Volkes beruft.

Die Infragestellung traditioneller Geschlechterkategorien markiert einen tiefgreifenden kulturellen Wandel, der etablierte Vorstellungen von Identität herausfordert. In den letzten zehn Jahren wurden große gesellschaftliche Fortschritte erzielt, um die binäre Sichtweise von Mann und Frau zu überwinden. Immer mehr Menschen erkennen sich im Spektrum nicht-binärer Identitäten wieder.

Während Begriffe wie queer oder genderfluid relativ neu sind, sind die dahinterstehenden Identitäten keineswegs eine moderne Erscheinung. Beispiele dafür finden sich in den zapotekischen Gemeinden am Isthmus von Tehuantepec im mexikanischen Bundesstaat Oaxaca, wo Muxhes leben. Sie integrieren sich in ihre Gemeinschaften, indem sie eine alternative Geschlechtsidentität annehmen, die weder männlich noch weiblich ist.

Muxhes in Juchitán de Zaragoza

Obwohl Muxhes in der gesamten Isthmus-Region präsent sind, ist ihre Sichtbarkeit in der Stadt Juchitán de Zaragoza besonders hoch. Dort kämpfen sie aktiv um die Anerkennung ihrer Identität, die, wie Felina Santiago erklärt, „eine zutiefst kulturelle Angelegenheit ist“.

Von außen betrachtet könnte man versuchen, die Muxheidad als eine rein kulturelle Ausdrucksform zu erklären: Zapoteken, die bei der Geburt als männlich gelten, übernehmen später weibliche Rollen und Ausdrucksformen. Doch diese Sichtweise greift zu kurz. „Es gibt keine einheitliche Art, muxhe zu sein. Nicht alle Muxhes handeln oder kleiden sich gleich“, erklärt Felina Santiago, Aktivistin und eine wichtige Stimme innerhalb des Kollektivs.

„In vielen Fällen war von Anfang an klar, dass wir Muxhes sind. Bei mir war es ähnlich, obwohl ich erst in der Grundschule begriffen habe, dass ich weder ein Mädchen noch ein Junge bin, sondern irgendwo dazwischen“, erinnert sich Felina. Sie erzählt, dass es ihre älteren Mitschüler waren, die sie erstmals als Muxhe bezeichneten.

Muxhes und andere nicht-binäre Identitäten

Das binäre Geschlecht hat jenseits der sozialen Besteuerung nie wirklich existiert. Selbst wenn nur das biologische Geschlecht betrachten und die Frage nach Genderidentität für einen Moment außer acht gelassen wird, sind etwa 2 % der Weltbevölkerung intersexuell. Das bedeutet, dass ihre Körper weder anatomisch noch chromosomal dem männlichen oder weiblichen Geschlecht zugeordnet werden können.

Die zapotekischen Muxhes sind kein isoliertes Phänomen. Auch andere Kulturen weltweit haben Traditionen, die die binäre Geschlechterordnung in Frage stellen.

  • In vielen indigenen Kulturen Nordamerikas gibt es die sogenannten Zwei-Geister (Two-Spirit), die geschlechtliche und sexuelle Identitäten jenseits von Mann und Frau umfassen.
  • In Indien, Bangladesch und Pakistan nehmen die Hijras eine wichtige soziale und religiöse Rolle ein.
  • In Samoa und anderen polynesischen Kulturen sind die fa’afafine bekannt.
  • Ähnliche Konzepte existieren in Madagaskar (Sekrata) und in Thailand (Kathoey), die wie die Muxhes bei der Geburt im Allgemeinen als männlich gelten, aber in ihrem Leben gesellschaftlich angenommene weibliche Ausdrucksformen und Rollen annehmen. In einigen ländlichen Regionen der Balkanhalbinsel (geschworene Jungfrauen) ist es genau andersherum.

Kulturelle Wurzeln der Muxhe-Identität

Der Begriff muxhe leitet sich vermutlich vom spanischen Wort mujer (Frau) ab, angepasst an die zapotekische Sprache. Der genaue Ursprung dieses „dritten Geschlechts“ in der zapotekischen Kultur ist unklar. Nach zapotekischem Glauben schufen die Götter drei Geschlechter – im Gegensatz zum dualistischen Ansatz des Katholizismus, der mit den spanischen Eroberern in die Region kam.

„Wir haben in unserer Gemeinschaft einen festen Platz, erfüllen bestimmte Aufgaben und nehmen am sozialen, kulturellen und religiösen Leben teil. Deshalb werden wir akzeptiert“, erklärt Felina Santiago. Diese tiefe Verbindung zur eigenen Kultur unterscheidet die Muxhes von anderen nicht-binären Identitäten.

Interessanterweise ist die Verwendung traditioneller weiblicher Kleidung – insbesondere der typischen Trachten des Isthmus von Tehuantepec – eine relativ neue Erscheinung. „Natürlich gibt es auch Muxhes, die keine Frauenkleidung tragen und ein eher männliches Erscheinungsbild haben“, betont Santiago. Doch gerade die farbenfrohen Trachten machten ihre Präsenz in den 1960er- und 1970er-Jahren für die Außenwelt sichtbar.

Der Kampf um Sichtbarkeit

Die Gruppe Las Auténticas Intrépidas Buscadoras del Peligro, deren Präsidentin Felina Santiago ist, hat wesentlich dazu beigetragen, die Muxhe-Gemeinschaft sichtbarer zu machen. „Ich gehöre zur zweiten Generation. Fast alle, die das Projekt ins Leben gerufen haben, sind inzwischen verstorben“, erzählt Santiago. Die Gruppe, die bald ihr 50-jähriges Bestehen feiert, entstand als Reaktion auf Diskriminierung und Verfolgung.

„Früher konnte es zu Gefängnisstrafen führen, wenn wir uns in bestimmten Kleidern auf der Straße zeigten. Aber wir organisierten uns und setzten uns durch. Bald waren wir wieder da draußen – so, wie wir wirklich sind“, sagt Santiago.

Diskriminierung und Akzeptanz

„Wir sind Teil der Fiesta, des Festes, der Tradition und des Gemeinschaftslebens“, betont Santiago. Dennoch begrüßen nicht alle Familien die Ankunft einer muxhe-Person. Obwohl Muxhes heute in vielen Gemeinden respektiert werden, gibt es immer noch Familien, die die Identität eines Muxhes ablehnen. „Eltern versuchen oft, dich zu ändern. Sie wollen dir einreden, dass es falsch ist, wenn du dich zu weiblichen Dingen hingezogen fühlst oder mit Puppen spielst“, erzählt Santiago.

Cess Enríquez, Schauspielerin und Regisseurin des Theaterstücks Benda Muxhe (Meine Muxhe-Schwester), einem Theaterstück, das aus einem kollektiven Schaffensprozess mit einer Gruppe von zapotekischen Muxhes entstanden ist beschreibt die Komplexität der Muxhe-Identität: „Es gibt nicht nur ein einziges Muxhe-Universum, sondern viele.“ Gleichzeitig weist sie darauf hin, dass viele Muxhes Diskriminierung erleben und oft schweigen, um sich selbst zu schützen. Ein Beispiel dafür ist eine Muxhe, die in einem Interview berichtete, sie sei einmal von einem Mann vergewaltigt worden, habe jedoch direkt danach erklärt, dass dies ein Einzelfall gewesen sei und dass sie jetzt respektiert werde.

Enríquez berichtet, dass sie nach einer längeren Kennenlernphase – nach vielen Gesprächen und der Beobachtung zahlreicher Missverständnisse darüber, wie die verschiedenen Teilnehmer die Muxheidad und das Leben als Muxhe wahrnahmen – eine besondere Aufgabe stellte: „Ich habe ihnen gesagt, sie sollten eine Geschichte über eine Muxhe schreiben, die sie kannten, aber nicht über sich selbst, um die Wunden nicht wieder aufzureißen, die während der manchmal sehr intensiven Treffen entstanden waren. Stattdessen sollten sie Geschichten erzählen, die sie erlebt oder gehört hatten.“

Enríquez fügt hinzu: „Es war sehr interessant, denn letztlich sprachen sie alle über sich selbst. Da ich sie bereits kannte, konnte ich erkennen, dass einige Geschichten von ihnen selbst handelten oder eine Mischung aus ihren eigenen Erlebnissen und denen von Menschen waren, die ihnen nahe standen.“

Die Regisseurin betont die unterschiedlichen Lebensrealitäten innerhalb der Region. Auch Felina Santiago bestätigt diesen Unterschied: „In Juchitán leben wir Muxhes frei und sichtbar, wir können spazieren gehen und unser Leben führen. In Tehuantepec zum Beispiel gibt es viel weniger Freiheit“, erklärt sie und vergleicht die beiden größten Städte der Region.

Während Santiago diesen Unterschied vor allem auf die kulturelle Durchmischung zurückführt – viele Gemeinden sind heute nicht mehr rein zapotekisch, sondern von ethnischen Gruppen wie den Zoque, den Ikoot oder Nicht-Indigenen geprägt – sieht Enríquez den Grund eher in sozialen Klassenunterschieden. Sie glaubt, dass die Muxhes von Juchitán und den umliegenden Orten durch die Vela Muxhe ein geschütztes Universum geschaffen haben, das jedoch nicht die gesamte Gemeinschaft repräsentiert.

„Es ist schwer zu verstehen, warum einige Muxhes einen Diskurs verteidigen, der ihrer eigenen Erfahrung widerspricht“, erklärt Enríquez. „Vielleicht tun sie es, um sich selbst zu schützen oder um den Mythos dessen aufrechtzuerhalten, was eine Muxhe ist und sein sollte.“

Der Muxhe-Mythos

Seit 1999 organisieren die Authentischen Furchtlosen Gefahrensucherinnen (Las Auténticas Intrépidas Buscadoras del Peligro) jedes Jahr am 18. November die Vela Muxe in Juchitán de Zaragoza. Dieses Fest hat die Muxhes weit über die Grenzen ihrer Region hinaus bekannt gemacht.

„Anfangs war es eine kleine Feier. Heute kommen bis zu 10.000 Menschen“, erzählt Felina Santiago, die gerade in die Vorbereitungen für das diesjährige Fest vertieft ist.

Doch die öffentliche Wahrnehmung konzentriert sich oft nur auf ein bestimmtes Bild: Muxhes in prächtigen Kostümen, mit Schmuck und Stickereien. „Ein Muxhe kann bei diesen Festen eine Menge Geld bei sich tragen. Dieses Bild wird der Außenwelt vermittelt“, erklärt Enríquez.

„Was man damit zeigen will, ist: Wir haben Macht, wir sind bewundernswert, und andere sollten so sein wie wir. Aber die Realität ist, dass nicht alle Muxhes Königinnen der Vela sein können oder wollen.“

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