(Buenos Aires, 14. Mai 2024, Agencia Presentes).- Eine Woche nach dem Brandanschlag auf vier Lesben erlag am Sonntag eine dritte Frau ihren Verletzungen. Hunderte von Menschen, überwiegend Frauen, kamen heute auf der Plaza Colombia zusammen, um gegen das Hassverbrechen zu protestieren. Die zwei lesbischen Paare hatten 300 Meter von dort entfernt zu viert in einem Zimmer einer Familienpension gewohnt. Pamela Cobbas starb wenige Stunden nach dem Angriff, Roxana Figueroa am Mittwoch, Andrea Amarante am Sonntag. Sofía Castro Riglos ist nicht in Lebensgefahr, liegt aber weiterhin im Krankenhaus. Die Demonstrierenden schrieben die Namen der Opfer an die Wände des Viertels und des Hotels und skandierten dazu: „Seid nicht gleichgültig, schaut nicht weg! Vor euren Augen werden Lesben umgebracht!“ „Das ist nicht die Freiheit, sondern Hass. Die Verantwortung trägt der Staat!“ stand auf einem der Transparente. Der Täter war ein Nachbar, der in derselben Pension wohnte.
„Der Anschlag galt ihrer lesbischen Identität und ihrer Armut“
„Die Bombe wurde gezündet, als die vier Frauen schliefen. Der Brandanschlag galt ihrer Identität als Lesben, er galt ihrer Armut“, heißt es im Redebeitrag der Asamblea de Lesbianas de Barracas. „Sie wurden angezündet, weil sie zusammenhielten und einander beschützten. Die prekären Wohnverhältnisse der vier Frauen haben die Auswirkungen dieses Hassverbrechens noch verschlimmert. Pamela, Andrea, Roxana und Sofi waren bereits Opfer einer Wohnungskrise, für die der Staat die Verantwortung trägt, ebenso wie für die Verbreitung von Hassreden. Die Hassreden der Regierung sind gezielt und keinesfalls harmlos, sie kosten Menschenleben.“ Die afroargentinische LGBT-Aktivistin Sandra Chagas erklärte gegenüber Agencias Presentes: „Ich bin hier, weil wir Lesben und rassifizierte Menschen in diesem Land ständig in Gefahr sind. Und die aktuelle Hetze der derzeitigen Regierung machen deutlich, dass sie es offensichtlich auf unsere Körper abgesehen haben. Die Regierung bestreitet das mit den Hassreden, aber es ist so. Und nun wurden vier lesbische Frauen direkt angegriffen, sie können nicht leugnen, dass es hier um Hass geht.“
„Für uns hat die Diktatur nie aufgehört“
Vor der Pension verklebten einige junge Frauen Sticker mit den Namen der ermordeten Frauen an die Wand, andere zündeten Kerzen an. „Wir von der Asamblea de Gráficos haben uns dieser Aktion angeschlossen, weil auch wir uns gegen die öffentliche Politik abgrenzen“ sagt eine der jungen Frauen. „Wir sind hier, weil wir mit Aufklebern und Stencils sichtbar machen wollen, was in der Nachbarschaft passiert. Der Fall wird kaum öffentlich wahrgenommen, insbesondere von der Regierung kommt nichts.“ Alma Fernández, eine Aktivistin der Travesti-Szene, ergänzt: „Eigentlich sollten wir alle heute hier sein. Travestis bekommen von Lesben sehr viel wichtigen Rückhalt. Ohne die Unterstützung der Lesben wären wir nicht da, wo wir heute sind.“
„Ich bin lesbisch!“ war der Ruf, der sich am lautesten bemerkbar machte, denn diejenigen Medien, die überhaupt über den tödlichen Angriff berichteten, sprachen weder von Hassverbrechen, noch wurde der Begriff „lesbisch“ erwähnt. „Die Medien haben die ganze Zeit nichts darüber berichtet, sie fangen jetzt erst damit an. Für mich als lesbische Frau war das ein Angriff auf uns alle. Wir sollen uns nicht selbst benennen, am besten gar nicht existieren. Unsere Regierung ist rassistisch, kolonial und patriarchal, und das bringt Menschen wie uns in eine sehr prekäre Lage. Auch das ist Völkermord: uns in die Ecke zu drängen, in prekäre Verhältnisse zu zwängen und uns dort verhungern zu lassen“, findet Sandra Chagas.
Zum Thema Sichtbarkeit bekräftigen auch die Frauen der Asamblea de Gráficos: „Sie können sich noch so sehr anstrengen, uns unsichtbar zu machen und zu verleugnen: Wir sind trotzdem ein Teil dieser Gesellschaft. Es ist nicht das erste Mal, dass so etwas passiert. Ich glaube, für uns hat die Diktatur nie aufgehört. Wir alle haben unsere Erfahrungen mit Gewalt, sie ist auch in unserer Gemeinschaft Teil der Realität, wenn auch nicht immer mit tödlichem Ausgang.“
Die Regierung hält sich bedeckt
Nach und nach sind die Fassaden der Pension und die angrenzenden Häuser mit Regenbogenfahnen verziert. Auf Plakaten werden Gerechtigkeit und die Anerkennung des Angriffs als Hassverbrechen gefordert. Auf der Straße und in den sozialen Netzwerken machen die Menschen ihre Einschätzung deutlich: „Sie wurden getötet, weil sie lesbisch waren“. Martín Canevaro, Sekretär der Initiative 100% derechos, erklärt dazu: „Es hat zwar länger gedauert als gedacht, aber mittlerweile beginnt die Gesellschaft zu begreifen, dass das hier kein Einzelfall war, sondern im Kontext eines ganzen Hass-Diskurses steht, und der wird nicht nur von einigen Medien, sondern auch von den wichtigsten Repräsentat*innen der Macht legitimiert und reproduziert. Und immer mehr Leute begreifen nun, dass es von der Hasstirade bis zum Hassverbrechen nur ein kleiner Schritt ist. Und das wiederum zeigt mir, dass es in unserer Gesellschaft widerständige Menschen gibt, die sich gegen diese Angriffe wehren.“
Regierungssprecher Manuel Adorni erklärte auf Nachfrage der Noticias Argentinas-Journalistin Sofía Rojas, er wolle „den Angriff gegen die Frauen nicht als Attentat bezeichnen“. Gewalt sei etwas viel umfassenderes als das Problem einer betroffenen Gruppe, weshalb es unnötig sei, diese explizit zu benennen. Auf die Nachfrage der Abgeordneten der Frente Izquierda Romina del Pla erklärte er, das Wort „Lesbizid“ existiere nicht. „Von dieser Regierung war ja auch nichts anderes zu erwarten“, erklärte Canevaro. „Aber die Politik muss sich mit diesem Vorfall auseinandersetzen. Wir warten immer noch auf eine deutliche Stellungnahme der politischen Vertretung, auf eine starke Reaktion der demokratischen Gesellschaft, darauf, dass die Legislative sich äußert, dass der Kongress sich äußert und dass dieser Mord Auswirkungen auf die strafrechtlichen Ermittlungen und die Justizverwaltung hat. Sie sollen klar dazu stehen, dass es sich um ein Hassverbrechen handelt.“
Hassverbrechen darf nicht geleugnet werden von Nachrichtenpool Lateinamerika ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.
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