Fotografin dokumentiert das Glück familiärer Vielfalt

(Havanna, 05. Juni 2023, SEMlac).- Yailén Ruz ist sich sicher, dass Wunschträume existieren. Sie weiß, dass das Glück genau da wohnen kann, wo es kulturelle Normen einer binären Gesellschaft nicht für möglich halten. Sie hat es selbst gesehen, gefühlt und mit ihrer Linse festgehalten. Ihre Bilder zeigen, dass ein glücklicher Kinderalltag in einer nicht-heteronormativen Familie eine greifbare Realität ist.

Die junge Fotografin hat den Kindern nicht-heterosexueller und diverser Familien in Kuba eine Fotoserie gewidmet. „Donde habita la quimera (III)“ (etwa: Wo der Wunschtraum lebt) zeigt mit 27 Momentaufnahmen die Lebensdynamik des zehnjährigen Sergito und des zwölfjährigen Abraham. „Die Kinder dieser Geschichte sind stolz auf ihren Alltag“, kommentiert die Künstlerin gegenüber SEMlac.

Die Fotografin lebt eng mit der Familie zusammen

Sergito und Abraham leben in einer ländlichen Gegend nahe San Luis, einer Gemeinde im Osten Kubas, 868 Kilometer weit weg von der Hauptstadt. Die beiden Jungen leben zusammen mit der ganzen Familie: ein großer Bruder, der Vater der drei Kinder und die beiden biologischen Mütter. Diese sind Aktivistinnen der ersten lesbischen und bisexuellen Frauenvereinigung Kubas Las Isabelas.

„Es gibt viele Berührungspunkte zwischen den ersten beiden Teilen der Fotoserie und dieser Strecke, da ich einen roten Faden entlang von Kinderleben in einer nicht heteronormativen Familie verfolge. Außerdem lebe ich als Fotografin in diesem Projekt ein paar Tage bei der Familie“, erklärt Ruz. Die Spontaneität der Bilder entspringt, wie sie sagt, dieser Verflechtung mit dem familiären Raum. Die Fotografin erkundet die Beziehungen innerhalb der Familie, die durch Zuneigung fernab jeglicher Heteronormativität aufgebaut werden, und zeigt uns damit das Porträt einer Familie, die sich um ein glückliches Zusammenleben bemüht.

„Die Familie habe ich im Januar 2020 kennen gelernt. Seitdem stand ich im Kontakt mit ihr. Im Januar 2022 dann, als es die Corona-Pandemie erlaubte, habe ich mir einen Transport von Havanna aus organisiert. Eine Woche habe ich dann in ihrem Zuhause verbracht. Wir hatten eine freundschaftliche Basis und viel Vertrauen zueinander, sodass ich das Zusammenleben dieser ländlichen Familie mit meiner Kamera begleiten durfte“, erzählt die Fotografin.

Ein Leben im ländlichen Raum

Dass die Familie in einer ländlichen Gegend lebt, genauer in einer Gemeinde von Tabakerzeuger*innen im Osten Kubas, ist für Ruz der Hauptunterschied im Vergleich zu früheren Fotostrecken der Serie, die sich mehr auf Geschichten in der Stadt konzentrierten. Darüber hinaus bestehen Unterschiede in der Familienkonstellation. „Hier leben drei Söhne, von denen einer etwas älter als 20 ist, und zwei etwas jüngere, die für mich im Zentrum des Projekts standen: Sergito und Abraham. […] Es gibt zwei biologische Mütter, die auch ein Paar sind. Der Vater der drei Kinder lebt auch im selben Haus und ist seit vielen Jahren eng mit den Müttern befreundet. Alle drei arbeiten zusammen an der Erziehung der Söhne sowie auf dem Hof, wo sie leben. Das war für mich eine sehr spannende Geschichte, in der, anders als in früheren Fotostrecken, auch eine Vaterrolle vorkommt“, erklärt die Künstlerin.

Eine Dokumentation von Freiheit

Im Jahr 2021 hatte Yailén Ruz die ersten beiden Fotostrecken der Serie vorgestellt. Ziel der Bilder sei es, die vielen Vorurteile abzubauen, die es in Bezug auf nicht-heteronormative Familien und vor allem die Rolle der Mutter gibt. Mit 30 beziehungsweise 40 Fotografien der Teile I und II von „Donde habita la quimera“, dokumentierte sie die Welt aus Sicht von zwei homoaffektiven Familien in Havanna. Während diese beiden Serien noch in schwarz-weiß gefasst waren, präsentiert Yailén Ruz die neuen Fotos nun in Farbe. Die Fotografin erläutert: „Ich habe mich dazu entschieden, um die Schönheit des Landes zu zeigen. Für uns Städter*innen ist das sehr attraktiv. Außerdem transportieren diese Farben die Freude, die Weite und die Freiheit, die diese Kinder haben. Sie können überall herumrennen, baden im Fluss, stolpern über die Äste der Guavenbäume…“. Zudem wertet etwa eine absichtliche Bewegungsunschärfe die Qualität der Aufnahmen auf. So vermittle sie das Gefühl der Freiheit und lenke den Blick auf das wirklich Wichtige im Bild.

Die Familie als Herzstück einer handwerklich geprägten Gemeinde

„Als ich angekommen bin, hatte ich ein komisches Gefühl der Fremde. Als würde ich gar nicht wissen, wo ich sei“, erinnert sie sich. „Inmitten des ländlichen Lebens, wo man denkt, die stärkste Homophobie und Intoleranz gegenüber der sexuellen Vielfalt anzutreffen, habe ich mich in einer vollständig integrierten Familie wiedergefunden. Sie ist quasi das Herzstück dieser Gemeinschaft. Die Nachbarn kamen zu Besuch, um einen Kaffee zu trinken, über die Ernte zu reden, zu tanzen, zu teilen… Das alles wollte ich vermitteln“, sagt Ruiz.

27 Bilder sind so entstanden, die verschiedene Motive abbilden: die Beziehung der Protagonist*innen, die Landschaft, den Einfluss der handwerklichen Kultur, mit der man dort aufwächst. „Die Kinder dort bauen ihr Spielzeug mit ihren eigenen Händen: Schaukeln, Drachen, etc. Diese handwerkliche Kultur kommt von den dort herrschenden Lebensbedingungen und dem familiären Kulturerbe. Man baut alles selbst an und hütet seine eigenen Tiere. Ich wollte gern aus diesem ländlichen Erbe schöpfen“, so die Fotografin.

Wirtschaftliche Notlagen

Ein drittes Thema ihrer Arbeit seien die Schwierigkeiten, die die Familie und die Gemeinde beim Zugang zu Wasser aus dem Fluss haben, erklärt Ruz. „Der Tabakanbau ist die wichtigste Lebensgrundlage der Gemeinde. Durch den Wassermangel sind die Ernten zurückgegangen; zusammen mit der Pandemie hat das dazu geführt, dass viele Familien in das städtischere Gebiet von San Luis gezogen sind. […] Die Kinder leben mit dieser wirtschaftlichen Notlage. Sie spielen in den verlassenen Häusern der weggezogenen Familien und begleiten ihre Verwandten jeden Tag, um Wasser aus dem Fluss zu holen, der fast zwei Kilometer von ihren Häusern entfernt ist. Sie arbeiten zusammen und spielen auf dem Weg. Es sind sehr schwierige Situationen, nicht alles ist rosig. Deshalb schildere ich auch, wie die Familie inmitten dieser Widrigkeiten ihre Kinder erzieht und wie sie auf diese Schwierigkeiten reagiert“, fügt die Autorin hinzu. „Trotz all dieser Umstände machen sie weiter, sie feiern, sie tanzen, und vor allem sind sie vereint. Die Zukunft mag aufgrund der wirtschaftlichen Bedingungen ungewiss erscheinen, doch eine Gewissheit besteht: dass sie zusammenhalten, und das ist eine der grundlegenden Botschaften, die ich in meinen Fotos festhalten wollte. Dass diese Kinder glücklich sind, weil sie in Freiheit und mit Liebe erzogen werden.“

Donde habita la quimera III“ wurde während der XVI. Konferenz gegen Homophobie und Transphobie in Kuba ausgestellt und ist nun in den sozialen Netzwerken der Autorin zu sehen. Die Bilder sind eine Kampfansage an die Vorurteile, die immer noch über diese Haushalte bestehen, und der Beweis dafür, dass nicht-binäre Menschen in Kuba ihre Familienprojekte mit Freude verwirklichen können, sagt Ruz.

Übersetzung: Patricia Haensel

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