Angestellte im Callcenter: Niedrige Löhne und befristete Beschäftigungsverhältnisse verletzen Arbeitsrechte

„Es ist eine Arbeit, die dich verrückt oder taub machen kann und noch vieles andere mehr“, betont Alejandro Arazi, Regisseur der Dokumentation “Cortenla” – ein Film über Callcenter, der im September 2014 in Argentinien erstmalig ausgestrahlt wurde. In einem Interview mit der Nachrichtenagentur Paco Urondo erzählt Arazi, dass er als Angestellter im Telemarketing gearbeitet habe. Diese Arbeit und die dort gemachten, schlechten Erfahrungen bei der Tätigkeit in vorderster Front in der angespannten Beziehung zwischen Unternehmen und Kunden habe ihn inspiriert, den Film zu drehen.

Arazi berichtet, dass das Fehlen von Beschäftigungsverordnungen der Grund dafür sei, dass es keine Tarifverträge gebe, die den Schutz der Angestellten in Callcentern garantierten. Zwar existiere in Argentinien ein Gesetzesentwurf zur Regelung der Tätigkeiten. Dieser käme aber im Parlament aufgrund des Drucks durch die Wirtschaftskammern nicht voran. Letztere seien daran gewöhnt, die Bedürfnisse der Angestellten nicht zu berücksichtigen und so die Kosten für die Dienstleistungen zu senken. Unter den gegebenen Umständen stünden auch die Arbeitnehmerorganisationen auf verlorenem Posten – sie seien konfrontiert mit ständig wechselnden ArbeitnehmerInnen und einer regelrechten Verfolgung durch die Unternehmen. „All das macht es schwierig, eine stabile Organisation zu haben“, so der Regisseur.

“Ich fühlte mich schmutzig”

Der Ex-Angestellte eines Telemarketingunternehmens in Buenos Aires, Dío Fuente (Name geändert) erzählt, dass er zu Beginn der Tätigkeit seinen Arbeitsweg voller Angst zurückgelegt habe. Die Vorstellung, Stunden in einem Büro in einer Art Box zu verbringen, unter Druck und beschäftigt mit konfliktgeladenen Kundentelefonaten, habe dazu geführt, dass er nur daran gedacht habe, “abzuhauen”. „Es war nicht ein einfaches ‚ich möchte die Arbeit verlassen‘, sondern ‚ich möchte weg von allem, weg aus dem Leben“, erzählt er. „Nach einiger Zeit, ungefähr nach sechs Monaten, ging es mir besser und ich gewöhnte mich an den Arbeitsrhythmus. Ich biss die Zähne zusammen oder ich reagierte automatisch – allerdings fühlte ich mich auch weiterhin jeden Tag schmutzig“, erzählt er der Nachrichtenagentur Paco Urondo.

Fuente berichtet, dass er in dem Unternehmen, in dem er arbeitete, verschiedenste Aufgaben ausführen musste, wie das Durchführen von Beratungen und die Bearbeitung von Reklamationen und Informationsanfragen. Auch sollte er versuchen, Kundenbindungen aufzubauen. In anderen Unternehmen sei dies anders, dort gebe es für jeden Bereich eine eigene Abteilung. „Bei all diesen Arbeiten begleitete mich ein ziemlich langsamer und teilweise defekter PC, der immer wieder woanders stand, da er keinen festen Platz hatte. Ich musste verschiedene Programme für verschiedene Funktionen verwenden“, erklärt er weiter.

Der Mann aus Buenos Aires, der diese Tätigkeit drei Jahre ausübte, berichtet, dass der Umgang mit den Kunden physisch und emotional ebenfalls sehr zermürbend gewesen sei. „Die Hysterie der Leute, die keine SMS versenden konnten oder keinen Zugang zum Internet hatten, grenzte oft fast an Verzweiflung. (…) Aber das Schlimmste war die Behandlung durch meinen Vorgesetzten“, bekräftigt er. „Ich fühlte mich nicht nur schmutzig, sondern auch, als sei ich ein Komplize der nachlässigen Dienstleistungen, die öffentlich sein sollten, aber von privaten Unternehmen geleistet wurden – ohne das geringste Interesse an den Menschen“, ergänzt er.

Gesundheitliche Probleme

Das größte der verschiedenen Probleme, mit denen ein Angestellter dieses Bereiches zu kämpfen hat, ist das Gehalt. Danach folgt der Gesundheitszustand, der in Mitleidenschaft gezogen wird durch Probleme mit dem Rücken, dem Gehör, dem Sehvermögen bis hin zu Problemen psychischer Natur. „Schlimm ist außerdem der Druck durch unsere Chefs, den Supervisoren. Eine typische Situation ist, dass ein Supervisor einen Mitarbeiter anschreit, der sich im Abstand zu einem Meter von ihm befindet“, fügt Celia Báez während eines Interviews mit der Agentur Paco Urondo hinzu. Sie ist Mitglied einer Gruppe von AngestelltenvertreterInnen des Telemarketingunternehmens ACC Group.

Gesetzliche Regelung von Arbeitsbedingungen

Gustavo Cutelier, Mitglied der Gruppe „Telemarketing-Angestellte im Kampf (Telemarketers en lucha)“, in der seit fünf Jahren Angestellte von Telemarketingunternehmen der argentinischen Hauptstadt Buenos Aires zusammenkommen, gibt als wichtigste Forderungen sowohl das Ende des Outsourcingprozesses auf dem Sektor als auch die Abschaffung der ungesunden Arbeitsbedingungen an. Außerdem fordert er die Schaffung von gesetzlichen Regelungen für die Arbeitsbedingungen der Teleoperateure. „Heute kennt jeder die schlechten Bedingungen, unter denen die Angestellten im Telemarketing arbeiten müssen, aber das wird zum Zeitpunkt der Gehaltseinstufung nicht berücksichtigt. Und dafür kämpfen wir“, bestätigt er in einem Interview mit der Nachrichtenagentur Paco Urondo.

Laut Cutelier arbeitet der/die argentinische Angestellte eines Callcenters heute mit reduzierter Stundenzahl von sechs Stunden täglich. Die Gruppe fordert die Beibehaltung dieser Stundenzahl bei gleichzeitiger Bezahlung eines vollen Arbeitstages. Außerdem schlägt sie – solange es keine eigenen gesetzlichen Regelungen gebe – die Einstufung der Angestellten unter Berücksichtigung derjenigen Abkommen vor, die gültig sind für die Sektoren, in denen sie arbeiten. „Sprich, wenn das Callcenter für eine Bank arbeitet, möchten wir, das der/die Angestellte unter das mit den Banken getroffene Abkommen fällt“, erklärt er.

Organisierte ArbeitnehmerInnen

ArbeitnehmerInnen von Callcentern – und wenn es sich auch nur um eine Minderheit handelt – haben es geschafft, sich zu organisieren, um einen Arbeitsmarkt zu schaffen, der stärker an ihre Bedürfnisse angelehnt ist. Mehr Informationen über diesen Kampf gibt es auf der Homepage von ‚Movimiento Libres de Call Center‘, einer Gruppe von Angestellten des Telemarketing in Argentinien. Die zivile Organisation fordert von den Unternehmen und dem Staat bessere Arbeitsbedingungen für die Angestellten von Callcentern. Und auch die Gruppe ‚Telemarketers en lucha – Angestellte des Telemarketing im Kampf‘ spricht sich für die wichtigsten Bedürfnisse dieses Personenkreises aus.

Um mehr über die Bedingungen und den Kampf dieser ArbeitnehmerInnen zu erfahren, steht der Trailer des Dokumentarfilms ‚Cortenla‘ zur Verfügung – ein Film über Callcenter, produziert durch das Videokollektiv Ojo Obrero unter der Regie von Alejandro Cohen Arazi.

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