Alternativer Drogenentzug mit Ayahuasca

Von Nils Brock

(Berlin, 9. Februar 2018, npl).- Der Spanier José Maria hatte lange Zeit ein ziemliches Problem. Ein Drogenproblem. „Mit 14, 15 fing ich an, täglich Tabak und Alkohol zu konsumieren. Später experimentierte ich viel mit Designer-Drogen herum“, erinnert sich der Mann ein gutes Jahrzehnt später. Die Geschichte endloser Partyexzesse in Barcelona, bei denen er täglich „drauf“ gewesen sei, passt irgendwie nicht zu seinem Babyface. Er wirkt entspannt. Doch noch vor einem Jahr sei er verzweifelt gewesen.

Einen Entzugsversuch hatte José Maria da schon hinter sich. Doch die stationäre Therapie mit viel Psychopharmaka hielt er nicht lange durch, brach nach 28 Tagen ab. Die Behandlung machte ihm Angst: „Meine Freunde, die einen medikamentösen Entzug machten, hörten auf sie selbst zu sein. Das gefiel mir nicht. Und so fing ich an, im Internet nach Alternativen zu suchen.“ Im Internet findet er ein Video über ein Therapiezentrum in Peru. Dort arbeitet man mit einer Pflanze namens Ayahuasca. „Ich hatte schon gehört, dass die einem helfen könne, sein Inneres besser zu verstehen und seine Sucht zu behandeln“, sagt José Maria und lächelt verschämt. „Das klang fast nach einem Wundermittel. Nach einer Substanz die du nimmst und damit alles Schlechte los wirst.“

„Wundermittel“ Ayahuasca

Ayahuasca, diese sagenumwobene Liane, gehört seit Jahrtausenden zu den wichtigsten traditionellen Heilmitteln des Amazonas. Die Schamanen vieler indigener Gruppen und Gemeinden geben das Rezept, mit dem der magische Pflanzensud zubereitet wird, von Generation zu Generation weiter. Auch Hippies und die New Age Bewegung entdeckten das visionsspendende Gewächs im vergangenen Jahrhundert für sich. Heute gibt es in Brasilien, Ecuador, Kolumbien und Peru einen regelrechten Boom, ganz nach dem Motto: In jedem steckt ein kleiner Schamane.

Die Herstellung des Ayahuasca-Trunks ist recht einfach: Ein Stückchen Liane und die roten Blätter eines Kaffeestrauchs zusammen köcheln lassen und fertig. Richtig angewandt lassen sich mit dem halluzinogenen Wirkstoff Diagnosen stellen und seelische und körperliche Leiden besiegen. Von diesem Potential hörte vor 25 Jahren auch der französische Allgemeinarzt Dr. Jacques Mabit, „der hier in Peru auf der Suche nach alternativen Formen der ärztlichen Versorgung war“, erzählt der Psychologe Jaime Torres. Sein heutiger Kollege Mabit sei damals, getrieben von der Neugier eines Forschenden, in den Amazonas gereist, um Heiler zu treffen, die mit dieser und anderen Pflanzen arbeiteten. „Er dokumentierte seine Erfahrungen mit Ayahuasca. Und in einem bestimmten Moment hatte er dann eine Vision“, sagt Torres: „Die Pflanze sagte ihm, dass er mit drogensüchtigen Patienten arbeiten solle.“

Ein Therapiezentrum im Regenwald

Für den jungen Arzt bedeutete die Offenbarung gleichzeitig eine echte Herausforderung. Mabit war weder als Psychologe noch als Therapeut ausgebildet. Dennoch nahm er den Ruf der Pflanze ernst. Vor 25 Jahren gründete er am Rande Tarapotos, einer peruanischen Kleinstadt am Rande des Regenwalds, das Therapiezentrum Takiwasi, Haus der Gesänge. Und um sich versammelte er dort nach und nach eine Gruppe aufgeschlossener Psychologen wie Jaime Torres. Heute besuchen Süchtige aus aller Welt Takawasi, um sich behandeln zu lassen.

„Die meisten kommen aus Europa“, erzählt die Ärztin Danae Sainz, bereits am Eingangstor des Zentrums. Da Dr. Jacques, wie ihn hier alle nennen, heute sehr beschäftigt ist, empfängt Sainz mich zu einem kleinen Rundgang. Wir laufen durch einen mit tropischen Pflanzen überdachten Wandelgang, vorbei am zwei Hektar großen Botanischen Garten der Anlage, vorbei am hauseigenen Labor. Hier forscht Sainz, die früher die Klinik von Takiwasi leitete, heute zu Aromatherapien. Dennoch hat sie auch weiterhin viel Kontakt zu den Patienten, die gemeinsam in einer kleinen Hausreihe wohnen. „Im Moment haben wir ungefähr 15 Patienten. Sie unterziehen sich alle einer neunmonatigen Behandlung“, sagt sie und erklärt, wie sie und ihre Kolleg*innen das Programm der Heilbehandlung im Dialog mit indigenen Heilern entwickelten. Ein erfolgreiches interkulturelles Experiment. Takiwasi ist heute das einzige anerkannte Ayahuasca-Therapiezentrum Perus.

Mehr als nur Entgiften ohne Pillen

„Da drüben kommt gerade ein neuer Patient an“, sagt Sainz und deutet auf den Eingang des Verwaltungstrakts. An einer Art Rezeption werden seine Sachen in Empfang genommen und durchgesehen, entschieden was er behalten darf, und was für ihn aufbewahrt wird. „Dann kommt die Phase der Eingewöhnung, eine tiefgreifende Reinigung und Entgiftung mit Pflanzen, die eine Woche dauert“, erklärt die Ärztin weiter. „Das ist die Vorbereitung, um im Anschluss mit den anderen Patienten zusammenzuleben.“

Ayahuasca begreifen viele von ihnen als sicheren Weg heraus aus der Sucht. Dabei ist die Therapie eine komplexe Angelegenheit mit offenem Ausgang. Eine Vielzahl amazonischer Heilpflanzen werden im Rahmen unterschiedlicher Rituale und Übungen eingesetzt. Der Psychologe Torres ist stolz auf den innovativen Behandlungsansatz, warnt jedoch auch vor überhöhten Erwartungen. Zunächst gehe es darum, dass die Patient*innen verstehen, wie sie vom Konsum wegkommen. „Es geht nicht einfach um eine Entgiftung. Wer zu uns kommt, muss nach der Entgiftung keine weiteren Pillen nehmen, kann gut schlafen, ist ruhig. Darin sind wir effizient“, sagt Torres. „Aber wir wollen den Patienten auch helfen, ihre Beziehung zu den Drogen aufzubrechen und sich selbst zu verstehen. Damit sie dann ihren Weg alleine gehen können.“

Der junge Spanier José Maria ist nun bereits seit sieben Monaten im Takiwasi-Zentrum. Heute früh war er an der Reihe, das Frühstücksgeschirr der gesamten Gruppe abzuwaschen. Jetzt sitzt er im Garten und schreibt, notiert Erinnerungen und sammelt Ideen für das Leben, das vor ihm liegt. „Wenn du den Konsum runterfährst, dann fühlst du ein Erwachen. Und wenn Du zurückschaust, siehst du nur Dunkelheit“, versucht er seine Erfahrungen in Worte zu fassen. An die Zeit nach seinem 14. Lebensjahr erinnert er sich nur sehr verschwommen. „Auf gewisse Weise geht es darum dieses heranwachsende Kind wiederzufinden, es beim Älterwerden zu begleiten damit es ein Mann werden kann. Du lernst dich ganz also ganz neu kennen, so wie du ohne Drogen bist, was in dir vorgeht, was du fühlst.“ Das sei eine Arbeit, die manchmal auch heftig ist. Super schöne Momente wechseln sich ab mit richtigen Krisen. „Aber auch die sind notwendig“, sagt José Maria. „Heute spüre ich zum ersten Mal die Lust etwas zu lernen.“

Offenes Pilotprojekt statt Blaupause

Seine Familie unterstützt ihn auf seinem Weg und trägt die Kosten der Heilbehandlung. 1000 Euro im Monat kostet der Aufenthalt im Takiwasi-Therapiezentrum. Gelder vom peruanischen Staat bekommt das Zentrum nicht. Aber mit Spenden, dem Verkauf von Heilpflanzen und Kosmetik wird versucht, jedes Jahr Mittel für einige Kostenübernahmen bereit zu stellen. Das Zentrum hat den Anspruch für alle offen zu sein. Nur so könne das kleine Pilotprojekt langfristig Erfolg haben und Pate für neue Therapiezentren sein. „Es geht uns nicht um neue Filialen. Wir wollen zur Nachahmung motivieren“, sagt der Psychologe Torres. Viele die später Heiler geworden sind, hätten als Kranke begonnen. „Mein Lehrer hat immer gesagt, wenn die Pflanze dich mag, spricht sie mit dir.“

Patient José Maria scheint jedenfalls einen guten Draht zu den grünen Gewächsen um ihn herum gefunden zu haben. Sie haben ihm, so verrät er uns, bereits einen spannenden Berufswunsch für die Zukunft geflüstert, so wie einst dem jungen französischen Arzt Jacques Mabit. „Ich würde gern Naturheilkunde oder chinesische Medizin lernen. Ich will diesen Weg weitergehen“, sagt er. „Denn die Pflanzen haben mir sehr geholfen, ich will sie weiter in meinem Leben haben.“

 

Den Audiobeitrag zu diesem Text findet ihr hier.

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