
Während der reichste Deutsche kaum bekannt ist, hat der reichste Mann Ecuadors ein anderes Verhältnis zur Öffentlichkeit. Fünf Mal versuchte der Bananenmilliardär Álvaro Noboa vergeblich, Präsident der Andenrepublik zu werden. Das gelang erst seinem Sohn und Erben Daniel Noboa, der 2023 der jüngste gewählte Präsident in der Geschichte Ecuadors wurde. Am 13. April gewann er die Stichwahl gegen die linke Konkurrentin Luisa Gonzalez relativ deutlich mit 55 Prozent. Dass die unterlegene Partei ihre Niederlage nicht anerkennt, ist in Ecuador eher der Regelfall.
Das Hauptthema der Stichwahl war die Bekämpfung der Drogenkriminalität. In Ecuador herrscht ein regelrechter Bandenkrieg, das Land hat das zweite Jahr in Folge die höchste Mordrate von ganz Lateinamerika. Die erste Wahlrunde fand am 9. Februar 2025 statt. Außer Luisa González und Daniel Noboa, die beide ungefähr 44% erreichten, erzielte keiner der 14 anderen Kandidierenden ein zweistelliges Ergebnis. Es zeigte sich, dass beide Fronten ausgeglichen stark, aber verhärtet sind. Auf der einen Seite González: eine linksgerichtete Frau einer Partei, deren mäßig-sozialistischer und immer noch einflussreicher Ex-Präsident Rafael Correa vermeintlich Staatsgelder veruntreute, Kritik unterdrückte und eine Verfassungsänderung geplant hat, um länger regieren zu können. Anderseits Noboa: der 37-jährige Sohn eines Multimilliardärs, welcher sich selbst als Mitte-Links bezeichnet, in der Praxis aber sicherheitspolitisch autoritär und wirtschaftlich neoliberal agiert. Noboa ist bei vielen vor allem wegen seiner „Mano dura“-Politik („eiserne Faust“) beliebt, seines harten Durchgreifens gegen die Bandenkriminalität. Hierfür setzt er auch das Militär ein, was wegen mehrerer Übergriffe nicht unumstritten ist. Im Dezember wurden vier schwarze Jugendliche in Guayaquil von Soldaten verschleppt und später tot aufgefunden. Die Morde sind bis heute nicht aufgeklärt.
Im Wahlkampf setzte Noboa auf militärische Hilfe aus den USA. Als einer von drei lateinamerikanischen Staatsoberhäuptern war Noboa zu Donald Trumps Amtseinführung eingeladen und traf sich kürzlich zu inoffiziellen strategischen Besprechungen mit Trump in Florida. Dabei ging es unter anderem um einen geplanten US-Marinestützpunkt in Manta, an der Pazifikküste. Noboas Sicherheitspolitik weist einige Parallelen zu der des salvadoranischen Präsidenten Nayib Bukele auf, der die dortige Kriminalität durch die Inhaftierung von 2,5 Prozent der erwachsenen Bevölkerung reduzierte, dabei aber massiv Bürger*innenrechte verletzte. So radikal ging Noboa nicht vor, aber auch er ließ mehr mutmaßliche Kriminelle verhaften wie keine Regierung zuvor.

Daniel Noboa ist vor allem in den Social Media sehr präsent: Seine Beliebtheit ist dort deutlich größer als die seiner Konkurrentin Luisa González, er weiß sich online zu inszenieren. Dies verschaffte dem Kandidaten und seiner Partei Acción Democrática Nacional (ADN, „Nationale Demokratische Aktion“) besonders bei jungen Wähler*innen Beliebtheit und Stimmen.
In einem Interview betonte das ADN-Parteimitglied Hernan Gallegos die Angst seiner Wählerschaft(Anhänger) vor kommunistischen und sozialistischen Kräften: „Viele Leute haben Angst, dass ihr Land unter Luisa zu einem zweiten Venezuela wird.“Für viele Bürger*innen sei dies ein Hauptgrund, Noboa zu wählen. Seine nun unterlegene Gegenkandidatin ist zehn Jahre älter und war 2021 für Rafael Correas Nachfolgepartei Revolución Ciudadana (RC, „Bürgerliche Revolution“) in die Nationalversammung eingezogen. Überraschend musste sie sich 2023 als Präsidentschaftskandidatin knapp Daniel Noboa geschlagen geben, den sie nun erneut herausgefordert hat. Luisa González hat sich dabei stark auf das Vermächtnis des bis 2017 regierenden Correas gestützt, der wegen seiner sozialen Reformen, aber auch wegen seiner autoritären und vermeintlich korrupten Regierungsführung sehr umstritten ist. Ein ecuadorianisches Gericht verurteilte ihn 2020 wegen Korruption. Interpol sprach jedoch keinen internationalen Haftbefehl aus und er fand in Belgien politisches Asyl.
Unter Correas bekam das Land 2007 eine der modernsten Verfassungen weltweit: So wurde die Todesstrafe abgeschafft, während Menschenrechte, Umweltschutz und mehr Frauenpartizipation an der Regierung in der Verfassung festgeschrieben wurden. Auch sank die Mordrate und die öffentliche Infrastruktur verbesserte sich erheblich.
Tage vor der Stichwahl warb die designierte Abgeordnete Ledy Zúñiga mit TikTok-Videos um Unterstützung für González. Zúñiga, einst Justizministerin unter Correa, wurde im Februar für Quito in die Nationalversammlung gewählt. Sie schildert im Gespräch gegenüber den Autoren, was González von den vergangenen Regierungschefs unterscheide: „Luisa ist eine Frau, die die Bedürfnisse ihres Volkes versteht. Sie ist eine alleinerziehende Mutter und unter schwierigen Umständen aufgewachsen. González und Correa folgen zwar teilweise einer sozialistischen Theorie, vertreten manchmal aber auch konservative Wertvorstellungen. Als Abgeordnete stimmte González gegen kostenlose Menstruationsprodukte und die Legalisierung von Abtreibungen und befürwortete Abholzungen im Yasuní-Nationalpark im Amazonas zugunsten möglicher Ölförderung.
Wie Gallegos möchte aber auch Zúñiga ihre Partei keinem Label zuordnen, als sozialistisch bezeichnet sie Luisa González nicht: „Um das Land voranzubringen, muss man den Willen haben, sich für seine Mitmenschen einzusetzen. Das hat nichts mit rechts oder links zu tun.“ Es gehe um die drängenden Probleme des Landes, nicht um Ideologien.

Ein besonders prägendes Thema war, wie schon bei den außerordentlichen Wahlen 2023, die durch den Kokainhandel seit Jahren rasant ansteigende Drogenkriminalität in Ecuador. Auch Fernando Villavicencio trat damals an, um Drogen und Korruption den Kampf anzusagen. Er wurde von Bandenmitgliedern bei einem öffentlichen Auftritt erschossen. Immer öfter fallen engagierte Lokalpolitiker*innen oder Journalist*innen mörderischen Banden zum Opfer. Zu einer neuen Eskalation der Gewalt kam es im Januar 2024: Nach dem Gefängnisausbruch des Drogenbosses Fito und der folgenden Kampfansage Noboas demonstrierten die Banden ihre Macht, indem sie vor laufenden Kameras ein Fernsehstudio in ihre Gewalt brachten und das Land mit Sprengstoffanschlägen terrorisierten.
González setzte vor dem ersten Wahlgang vor allem auf Gewaltprävention und Sozialpolitik. Allerdings auch verstärkt auf Themen wie Energiepolitik und Menschenrechte und kam auf weniger als ein Prozent an Noboa heran. Schlussendlich hat sich Ecuador am 13 April entschieden und Daniel Noboa in seinem Kurs der harten Hand bestätigt. Dieser wird jetzt auf noch mehr Autorität pochen. Seine Visionen für ein sicheres Ecuador bauen auf massiver Kontrolle. Mit einer Verfassungsänderung wird er auch ausländische Truppen für Überwachungen und Inhaftierungen einsetzen und durch weitere Ausnahmezustände dem Militär mehr Macht zugestehen. Immer mehr Menschen sollen in neu geplanten Hochsicherheitsgefängnissen eingesperrt werden. Der Wahlkampf hat gezeigt, wie polarisiert die ecuadorianische Gesellschaft ist und mit welchen Problemen sie immer noch zu kämpfen hat. Die Korruption ist alltäglich und das Demokratieverständnis wenig ausgeprägt. Unruhen im ecuadorianischen Politiksystem sind nichts Neues, allein zwischen 1996 und 2005 waren neun verschiedene Präsidenten an der Macht. Hoffnung für die Zukunft der ecuadorianischen Gesellschaft machen die indigene Konföderation CONAIE und Bürgerbewegungen, die sich immer wieder auch durch lautstarke Proteste für Menschenrechte, Demokratie, Mitbestimmung und Klimaschutz stark machen.
Wer hat die härtere Hand? – Kampf gegen organisierte Kriminalität und die Wahl in Ecuador von Nachrichtenpool Lateinamerika ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.
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