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(Buenos Aires, 30. Juli 2024, ANRed).- Mit Beschluss 710/2024 hat Patricia Bullrich ihr Ministerium für Innere Sicherheit um eine weitere Sondereinheit erweitert: Die Einheit für angewandte künstliche Intelligenz (UIAAS) ermöglicht es der Bundes- und Militärpolizei, der Präfektur, der Sicherheitspolizei an Flughäfen und der föderalen Strafvollzugsbehörde, künftig „Cyber-Patrouillen“ durchzuführen, um „potenzielle Bedrohungen ausfindig zu machen, Bewegungen krimineller Gruppen zu überwachen oder Unruhen vorherzusehen“. Betroffen ist die gesamte Web-Kommunikation der Bevölkerung. Jede Äußerung in sozialen Netzwerken und via Apps und Websites soll zum sicherheitsrelevanten Untersuchungsgegenstand werden. Dazu werden Drohnen eingesetzt, um großflächig „patrouillieren“ zu können, Luftüberwachung zu betreiben und auf „Notfälle“ reagieren zu können. Diese Maßnahme ergänzt die schon genehmigte 100 Milliarden Dollar starke Unterstützung des neuen Geheimdienstsekretariats (SIDE) und das Protestbekämpfungs-Protokoll, mit dem die Kriminalisierung des sozialen Protests durch willkürliche Verhaftungen und Klagen vorangetrieben wird.
Privatsphäre war gestern
Der am 29. Juli im Amtsblatt veröffentlichte Beschluss beauftragt die neu geschaffene Sondereinheit mit der „Prävention, Aufdeckung, Untersuchung und Verfolgung von Verbrechen und deren Verbindungen durch den Einsatz künstlicher Intelligenz“. Die Aufgaben der Einheit sind:
- „die Überwachung offener sozialer Netzwerke, Apps und Internetseiten sowie des so genannten Deep Net oder Dark Web, um in Straffällen zu ermitteln und die Täter zu identifizieren sowie Situationen zu erkennen, die ein ernstes Sicherheitsrisiko darstellen, im Rahmen der nationalen Verfassung und der geltenden Gesetze“.
- „Identifizierung und Vergleich von Bildern auf physischen oder virtuellen Medien“.
- „Analyse von Bildern von Sicherheitskameras in Echtzeit, um verdächtige Aktivitäten zu erkennen oder gesuchte Personen durch einfache Erkennung zu identifizieren“.
- Einsatz von Algorithmen des maschinellen Lernens zur Analyse historischer Verbrechensdaten, um zukünftige Verbrechen zu prognostizieren und zu verhindern“.
- „Erkennung ungewöhnlicher Muster in Computernetzwerken und Identifikation von Cyber-Bedrohungen, bevor es zu Angriffen kommt. Dazu gehört die Erkennung von Malware, Phishing und anderen Formen des Cyberangriffs.“
- „Verarbeitung großer Datenmengen aus verschiedenen Quellen, um nützliche Informationen zu extrahieren und Profile von Verdächtigen zu erstellen oder Verbindungen zwischen verschiedenen Fällen zu erkennen.“
- „Überwachung großer Gebiete mit Hilfe von Drohnen, Überwachung aus der Luft und Reaktion auf Notfälle“
- „Durchführung gefährlicher Aufgaben, wie z. B. Kampfmittelbeseitigung, mit Hilfe von Robotern“
- „Verbesserung der Kommunikation und Koordination zwischen den verschiedenen Strafverfolgungs- und Sicherheitseinheiten, um sicherzustellen, dass wichtige Informationen schnell und effizient ausgetauscht werden“
- „Auswertung von Aktivitäten in sozialen Netzwerken, um potenzielle Bedrohungen zu erkennen, Bewegungen von kriminellen Gruppen zu identifizieren oder Unruhen vorherzusehen“
- „Erkennung verdächtiger Finanztransaktionen oder abweichender Verhaltensweisen, die auf illegale Aktivitäten hinweisen könnten“
Die UIAAS soll innerhalb der Direktion für Cyberkriminalität und Cyberangelegenheiten tätig werden, die dem Kabinett der Berater untersteht. Die Gesamtleitung obliegt dem Direktor für Cyberkriminalität und Cyberangelegenheiten und setzt sich aus den Vertretern der jeweils höchsten Behörde der Bundespolizei und der Sicherheitskräfte zusammen.
„Bullrich will Argentinien in einen Big Brother verwandeln, der uns alle ausspioniert“
Unmittelbar nach Bekanntwerden der Resolution wurden aufgrund der potenziellen Risiken schnell Gegenstimmen und Einwände laut. Rodolfo Aguiar ist Generalsekretär der ATE, einer der Gewerkschaften, die sich Woche für Woche mit Maßnahmen und Mobilisierungen gegen die massiven Entlassungen wehren, die die Regierung in verschiedenen staatlichen Einrichtungen vorantreibt. Nach Bekanntwerden des Beschlusses warnte er: „Das ist sehr ernst. Bullrich beabsichtigt, alle Menschen in Argentinien legal auszuspionieren. Sie will Argentinien in einen Big Brother verwandeln. Wir haben schon die zunehmende Repression. Wenn nun auch noch die Schaffung der Einheit für künstliche Intelligenz im Sicherheitsbereich hinzukommt, wird die Demokratie auf ihr Minimum reduziert. […] Es ist der Versuch, das Recht auf Privatsphäre zu zerstören, das in unserem Grundgesetz verankert ist. Private Handlungen von Einzelpersonen, die nicht gegen die Moral oder die öffentliche Ordnung verstoßen oder Dritten schaden, fallen nicht in den Zuständigkeitsbereich der Justiz. Die Regierung behauptet, dass sie Technologie und künstliche Intelligenz nutzen will, um die Sicherheitsbereiche effektiver und effizienter zu machen, aber das ist eine Lüge: Sie will sie nutzen, um Andersdenkende in unserer Gesellschaft zu verfolgen und auszurotten.“
Myriam Bregman, Vorsitzende der Partei Sozialistischer Arbeiter*innen PTS und ehemalige Abgeordnete der Frente de Izquierda, bezeichnete ihrerseits die „von Bullrich geschaffene neue Cyber-Überwachungsbehörde“ als extrem gefährlich, da sie Ermittlungen gegen Personen außerhalb eines Rechtsfalls legitimiere. „Eine Cyber-Patrouille ist vergleichbar mit einer Razzia in jedem Haus einer Stadt, um zu sehen, ob jemand ein Verbrechen plant. Das ist invasiv und illegal.“ Sie erklärte weiter: „Die Auswertung ‚offener Quellen‘ (offener Netze) zu etablieren bedeutet, sich die Arbeitsweise der Geheimdienste anzueignen, die das so genannte ‚Untergeschoss der Demokratie‘ bilden und schon während der Diktatur agierten. Und genau wie damals rechtfertigen sie nun ihre illegale Spionage.“ Auch die Absicht, die Auswertung der Bilder von Sicherheitskameras mittels Gesichtserkennung in Echtzeit zu analysieren, sei kritisch zu bewerten. Abschließend bemerkte Bregman: „Es ist nicht das erste Mal, dass eine Regierung die Stimmung in der Gesellschaft kontrollieren will. Aber das macht es nicht weniger ernst; sie perfektionieren ihre Methoden, um ihre Kritiker*innen zu verfolgen. Diese Regierung wappnet sich, weil sie weiß, dass die Ablehnung ihrer Politik wächst.“
In Zukunft: Niemals einen Scherz zuviel!
Beatriz Busaniche, Präsidentin der Stiftung Vía Libre und Expertin für digitale Rechte und Technologien, warnte, die Regierung würde sich durch diese Resolution selbst ermächtigen, ohne Gerichtsbeschluss zu ermitteln. Gegenüber Página/12 erklärte sie: „Dieser Beschluss ist in jeder Hinsicht problematisch, weil er davon ausgeht, dass die künstliche Intelligenz (KI) über Fähigkeiten verfügt, die sie in Wirklichkeit nicht hat. Einem solchen System Entscheidungen zu übertragen, die das Leben der Menschen beeinträchtigen, ist absolut problematisch. Nicht auszudenken, wenn diese Entscheidungen mit der Anwendung des Strafrechts, der Identifizierung potenzieller Straftaten und der Erstellung von Personenprofilen zu tun haben. […] Sie setzen automatisierte Systeme ein, um alles, was online gesagt wird, permanent zu durchforsten. Auf dieser Grundlage werden sie in der Lage sein, bestimmte Muster zu erkennen, und wir werden sehen müssen, wonach sie suchen. Und noch etwas: Cyber-Patrolling heißt auch, dass sie Systeme zur Verarbeitung natürlicher Sprache einsetzen, das heißt, sie erheben künstliche Texte zu menschlicher Sprache. Und diese Art von Systemen erkennt keinen Witz, keine Ironie oder Metapher, sie sind absolut linear und statistisch.“
Bullrich schafft KI-Einheit mit Big Brother-Auftrag von Nachrichtenpool Lateinamerika ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.
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