(Belgien, 1936 – )
Wenn Armand Mattelart von seinem Leben spricht, dann kommen dabei oft die Wörter „Mittel“ oder „Medien“ vor. Bereits als Heranwachsender sei er „mit wenigen Mitteln gereist“. Später, beim Studium der Rechtswissenschaften in Löwen, beobachtete er wie Befreiungstheologen sich „quasi ihr eigenes Medium schufen“: ein Institut an dem auch viele progressive Pastoren studierten, vor allem aus Lateinamerika. Er lernt den rebellischen Geistlichen Camilo Torres aus Kolumbien kennen; sein Interesse am südlichen Amerika wächst. Nun braucht er nur noch ein „Mittel“ um dem „kleinen Belgien zu entfliehen“ – und ein Land zum ankommen. Mattelart setzt seine Studien in Paris fort, spezialisiert sich in Demographie und geht Anfang der 1960er nach Chile, „dem stabilsten Land der Region“, wo es nach Meinung seiner Kollegen an der Sorbonne nie einen Putsch geben werde…
In Chile angekommen, verwirft er schnell die konservativen Ideen der Rockefeller-Stiftung, die seine Studien anfangs fördert. Mattelart setzt sich kritisch mit der staatlichen Politik der Geburtenkontrolle auseinander, die im Rahmen des US-Programms „Allianz für den Fortschritt“ in Chile betrieben wird. Für Mattelart sind nicht arme, kinderreiche Familien schuld an ihrer Armut; er entwirft eine soziale Kartografie, die die strukturelle Ungleichheit im Land herausarbeitet. Nach einem kurzen Zwischenspiel als Experte für den Vatikan (erneut zur Geburtenkontrolle) wirkt Mattelart unter der Regierung Eduardo Frei Montalva (1964-1070) an der Umsetzung der Agrarreform mit und forscht ab 1967 am Studienzentrum der nationalen Realität (CEREN) der Katholischen Universtität.
Das CEREN entsteht in Reaktion auf die Studierendenproteste, die von der konservativen Tageszeitung „El Mercurio“ aufs Heftisgste bekämpft werden. An der Uni sieht Mattelart eines Tages ein riesiges Transparent wehen: „Der Mercurio lügt!“ Es inspiriert ihn, den Fokus seiner Forschung neu auszurichten. Mit seiner argentinischen Kollegin Mabel Piccini entwickelt er neue Ansätze für eine kritische Medienanalyse. Ihre ersten Publikationen erscheinen 1970 sechs Monate vor der Präsidentschaftswahl und stoßen auf großes Interesse.
Nach dem Wahlsieg Salvador Allendes übernimmt der inzwischen bekannte „Medienforscher“ verstärkt beratende Tätigkeiten für die Entwicklung einer neuen staatlichen Kommunikationspolitik. Gemeinsam mit dem chilenischen Dramaturgen Ariel Dorfman analysiert er den reaktionären Subtext von Disney-Comics und forscht ohne Unterlass darüber, wie die chilenischen Bevölkerung die Inhalte rechter wie linker Medien rezipiert. Nicht nur in Chile, „auf der ganzen Welt“ habe es damals Defizite gegeben, die Wirkung der Massenmedien aus linker Perspektive zu erforschen – und angemessen darauf zu reagieren.
Anders die Putschisten um Augusto Pinochet: „Im Fernsehen zeigten sie bewusst die Aktionen des Militärs in den Armenvierteln“, erinnert sich Mattelart an die Tage nach dem 11. September 1973. Medienterror in Endlosschleife. Nach seiner Rückkehr nach Frankreich, verarbeitet er gemeinsam mit dem französischen Dokumentarfilmer Chris Marker die mediale Dimension des Staatsstreichs in dem Dokumentarfilm La Spirale (Die Spirale). Er wird 1976 auf dem Filmfestival von Cannes in der Kategorie „Perspektiven“ gezeigt.
In den folgenden Jahren übernimmt Mattelart Lehrtätigkeiten an der Universität Vincennes-Saint Denis (París VIII). Auch nach seiner Emeritierungen setzt er sich kritisch mit kommerziellen Massenmedien und kultureller Globalisierung auseinander. Zu seinen bekanntesten Veröffentlichungen zählen: Manual de análisis demográfico; Para leer al Pato Donald. Comunicación de masa y colonialismo (mit Ariel Dorfman); Historia de las teorías de la comunicación (mit Michèle Mattelart) und Historia de la sociedad de la información.