Fundstücke – Chile 1973 im geteilten Deutschland

Der Militärputsch gegen die demokratische Regierung Chiles am 11. September 1973 sorgte weltweit für Empörung. Die Solidarität für alle jene, die unter der Repression der neuen Machthabenden zu leiden hatten oder ins Exil fliehen mussten, war groß – so auch im damals noch geteilten Deutschland. Die offiziellen Reaktionen auf beiden Seiten fielen jedoch recht unterschiedlich aus, hier geprägt vom politischen Selbstverständnis „sozialer Marktwirtschaft“ dort vom „real existierenden Sozialismus.“ Das schlug sich auch in der künstlerische Aufarbeitung des brutalen Staatsstreichs nieder, von staatstragend bis staatskritisch.

Der Kunsthistoriker Carlos Gomes ist in seinem Bildband „Chile 1973. Denkmäler und Wandbilder in DDR und BRD“ solch spannenden Spuren nachgegangen, die für Nachgeborene heute oft unvermittelt im öffentlichen Raum aufblitzen. Allendes Internationale (AI) sprach mit ihm über verblasste Wandbilder, verschwundene Statuen und kämpferische Friedenstauben.


Der Militärputsch gegen die demokratische Regierung Chiles am 11. September 1973 sorgte weltweit für Empörung. Die Solidarität für alle jene, die unter der Repression der neuen
Machthabenden zu leiden hatten oder ins Exil fliehen mussten, war groß – so auch im damals noch geteilten Deutschland. Die offiziellen Reaktionen auf beiden Seiten fielen jedoch recht unterschiedlich aus, hier geprägt vom politischen Selbstverständnis „sozialer Marktwirtschaft“ dort vom „real existierenden Sozialismus.“ Das schlug sich auch in der künstlerische Aufarbeitung des brutalen Staatsstreichs nieder, von staatstragend bis staatskritisch. Der Kunsthistoriker Carlos Gomes ist in seinem Bildband „Chile 1973. Denkmäler und Wandbilder in DDR und BRD“ solch spannenden Spuren nachgegangen, die für Nachgeborene heute oft unvermittelt im öffentlichen Raum aufblitzen. Allendes Internationale (AI) sprach mit ihm über politische Wandbilder, verschwundene Statuen und kämpferische Friedenstauben.

Interview Carlos Gomes | Internacional de Allende 2023


Allendes Internationale (AI) Carlos, was war der Anstoß dazu, dich mit der Kunstwerken auseinanderzusetzen, die auf Straßen und öffentlichen Orten in Deutschlands dem Putsch von 1973 gedenken?

Ich arbeite seit langem im kunsthistorischen Bereich, immer mit einer politischen Perspektive. Für mein letztes Projekt zu Lenin-Denkmälern war ich auch viel in Ostdeutschland unterwegs und bin dabei auch auf einige Denkmäler von Salvador Allende gestoßen. Das hat mich neugierig gemacht und ich hab angefangen zu recherchieren und tatsächlich viel gefunden, schöne Wandbilder und eine richtige Denkmallandschaft zu Salvador Allende, Pablo Neruda, Victor Jara und den zivilen Opfern der Militärdiktatur,

AI: Also ein reiner Zufallsfund oder hattest du auch vorher schon einen Bezug zu Chile?

Meine Eltern hatten Schallplatten mit den revolutionären Liedern von Victor Jara, Inti-Illimani und Quilapayun. Die hab ich als Kind auch oft gehört, auch später als Jugendlicher neben Nirvana und Offspring. Und auch wenn ich die Lyrics nicht immer ganz verstehen konnte, den Gesamtkontext schon. Gleich nach der Allende-Büste hab ich dann in Berlin Köpenick auch eine Statue von Victor Jara und dachte, was macht der denn hier, den kenne ich doch. Erst nach und nach hab ich die ganze Geschichte der Chile-Solidarität entdeckt, was natürlich ein sehr spannendes Thema ist. Die vielen Gedenkstätten, Denkmäler und Wandbilder zu Chile 1973 sind ein Ausdruck davon.


AI: Und Wie bist Du da vorgegangen bei dieser Spurensuche? Gab es da Stichwortgeber oder war es eher eine Internet-Recherche?

Man muss immer auf verschiedenen Wegen an so eine Sache herangehen. Also im Internet recherchieren natürlich, aber dann auch mit den Behörden reden, die sich um die Denkmalpflege kümmern oder mit Vereinen. Auch die Chilen*innen in Deutschland sind noch gut vernetzt, die hatten manchmal auch Informationen. Im Buch werden auch einige Denkmäler und Wandbilder präsentiert, die es nicht mehr gibt und gerade da waren diese Netzwerke sehr wichtig, Menschen, die noch alte Photos hatten oder Informationen, wo sie damals die Wandbilder gemalt hatten.

AI: Du sagst, das Buch sei auch ein Streifzug durch die chilenische Solidaritätsbewegung. Was meinst du damit?

Man muss in den 1970er Jahren im Plural reden, also Solidaritätsbewegungen, weil es natürlich zwei getrennte Bewegungen in der BRD und in der DDR gab. Die Unterschiede sind sehr interessant. In der BRD war die Chile-Solidaritätsbewegung sehr staatskritisch. Die Regierung der BRD hatte ja Beziehungen zu Pinochets Diktatur und hat weiterhin wirtschaftliche Geschäfte unterstützt. In der DDR war die chilenische Solidaritätsbewegung dagegen staatstragend Der Staat hat sich an die Spitze dieser Bewegung gestellt, die Beziehungen zu Pinochet sofort abgebrochen und dann aktiv die Opposition unterstützt. Deshalb wurden in der DDR auch so viele Denkmäler errichtet, von oben quasi. In der BRD finden sich dagegen eher Wandbilder, sie entstanden oft in Eigeninitiativen von Exilchilenen oder von Studierenden.


AI: Finden sich diese Unterschied auch in den Motiven, der Formensprache und den Orten wieder, wo diese Werke zu sehen sind?

In der ehemaligen DDR stehen die Büsten, Statuen und Gedenktafeln auf Plätzen, mit einer Grünfläche umher, immer sehr gepflegt. Allende, Neruda und Jara waren zentrale Motive für die Künstler dort. In der BRD gab es Seiten des Staates manchmal auch Solidaritätsbekundungen, aber es wurden nie Denkmäler errichtet. Die Wandbilder in der BRD wurden zum Teil auch illegal gemalt und sorgten dann im Nachhinein für Diskussionen. Die Universität Bielefeld zum Beispiel wollte ein Wandbild, das ein Gruppe von Exilchilenen in einer Nacht- und Nebelaktion dort gemalt hatte, in einer ersten Reaktion schwarz übermalen. Aber das wurde dann aber vom AstA [Allgemeiner Studierenderausschuss] verhindert und inzwischen steht dieses gut erhaltene Wandbild unter Denkmalschutz. Problematisch war in Bielefeld vor allem, dass auf dem Bild die USA als Mittäter dargestellt sind und das fand die Universität zunächst nicht hinnehmbar.

AI: 27 Erinnerungsorte hast du noch gefunden, andere gibt es nicht mehr. Wie sind die verschwunden? Aus politischen Gründen oder einfach städtebauliche Verdrängung…

Also die Wandbilder wurden ja nicht für die Ewigkeit gemalt, sondern um Aufmerksamkeit für ein aktuelles Thema zu schaffen. Und ein Wandbild draußen im Freien verblasst nach einigen Jahren eben. Und klar, einige Mauern wurden auch abgerissen oder was neues gebaut, ein natürlicher Prozess. Schade ist eher, dass in Ostdeutschland nach 1990 einige Allende-Büsten und Chile-Denkmäler entfernt wurden. Unter dem Vorwand, sie zu sanieren, wurden die abmontiert und dann nie wieder errichtet. Dabei sollte in einem Land, das für Demokratie und Menschenrechte einsteht, doch daran erinnert werden, was vor 50 Jahren in Chile passiert ist.

AI: Bist du auch mit Anwohner*innen ins Gespräch gekommen? Was haben die für eine Beziehung zu diesen Gedenkorten? Wiesen die, wer da auf dem Rasen steht?


Ja, das ist tatsächlich sehr lustig, Manchmal habe ich in alten Listen aus der DDR Informationen zu Denkmälern gefunden, bei denen unklar war, ob es sie noch gibt. In Chemnitz hab ich mich zum Beispiel durchgefragt und dann von einer Person erfahren, dass dort am 11. September jedes Jahr eine Gedenkveranstaltung organisieren wird. Oder in Radebeul, da war ein Denkmal entfernt und dann auf Initiative von Anwohner*innen wieder errichtet worden. Die haben den Künstler ausfindig gemacht und der war gleich bereit eine Kopie zu machen. Eine Initiative hat Geld gesammelt und am Ende hat auch die Stadt ein bisschen geholfen. Mein Eindruck ist, dass in Ostdeutschland den Anwohnern diese Denkmäler wichtig sind. Im Westen sind die erhaltenen Wandbilder meist an Universitäten und die kümmern sich um den Erhalt, manchmal auch Personen, die damals mitgemalt haben.

AI: Es gibt allerdings auch neue Debatten zu einigen Denkmälern und Büsten, vor allem im Fall von Pablo Neruda. Ihm werden sexuelle Übergriffe bis hin zu einer Vergewaltigung vorgeworfen, Kritisiert wird auch, wie er sich gegenüber seiner behinderten Tochter verhalten hat. Als Kunsthistoriker, was schlägst du vor? Was sollte mit Erinnerungsorten geschehen, an denen Neruda gedacht wird?

Pablo Neruda wird in Deutschland natürlich wegen seiner politischen Rolle im progressiven Chile von damals und seiner literarischen Qualität geehrt. Deshalb sollten diese Denkmäler stehen bleiben aber es sollten zusätzlich Informationstafeln angebracht werden, in denen die Kritik thematisiert wird, damit sich jeder Besucher seine eigene Meinung bilden kann. Diese Informationen sind wichtig und sollten nicht irgendwie vertuscht oder versteckt werden. Denkmäler sind wichtige Orte, damit Personen direkt in ihrem Alltag und ihrem Umfeld Zugang zu Kunstwerken haben, die uns wichtige historische Ereignisse nahe bringen und uns zur Reflexion einladen. Deshalb bin in den seltensten Fällen dafür, Denkmäler komplett zu entfernen.


AI: Ist die Spurensuche zum Gedenken des chilenischen Putsches für dich jetzt abgeschlossen oder willst du versuchen, das fortzuschreiben?

Das Buch ist gerade erschienen aber mein Projekt ist auch online und wird sicherlich weitergehen. Ich hab zwar akribisch recherchiert aber sicherlich gibt es Sachen, die ich nicht gefunden habe. In den 1970er Jahren wurden ja wirklich massenhaft Wandbilder gemalt, in einer Stadt zum Teil drei bis vier an einem Tag. Also wenn es da noch Aufnahmen gibt, freue ich mich über Hinweise oder Photos und würde das auf meiner Webseite dann auch sofort aktualisieren.

AI: Gibt es eigentlich einen Ort, den du besonders magisch oder berührend findest, den alle mal gesehen haben sollten.

Also Berlin Köpenick ist schon ein kleines Chile-Freilichtmuseum ist. Im Kiez stehen da eine Allende-Büste, eine Skulptur zu Chile, Allendes letzte Wort in Stein gemeißelt, eine Victor-Jara-Statue und ein Gedicht von Neruda in einer Bronzetafel. Persönlich bin ich aber auch sehr von diesen Wandbildern fasziniert. Mein Lieblingswandbild ist vielleicht das in der Uni Konstanz von der Brigade Salvador Allende. Die Gruppe hat in dieses Bild eine Friedenstaube gemalt, in einer aggressiven Angriffsposition, also überhaupt nicht passiv, wie man sie oft sieht, sondern an der Spitze des Widerstands gegen die Militärdiktatur. Das fand ich eine sehr schöne Idee und auch sehr schön dargestellt.

Mehr Informationen zum Buch und zum Rechercheprojekt unter: https://chile1973indeutschland.org