Verschwundene Studenten: Regierung weist Anschuldigungen „kategorisch“ zurück

von Gerd Goertz, Mexiko-Stadt

(Mexiko-Stadt, 23. Januar 2015, npl).- Im Dezember erwartete die mexikanische Regierung sehnlichst die Weihnachtsferien. Sie hoffte, das Thema der verschwundenen Lehramtsstudenten aus Ayotzinapa käme so endlich aus den Schlagzeilen. Doch die Rechnung ging nicht auf. Knapp vier Monate, nachdem organisiertes Verbrechen und die Polizei der Stadt Iguala die Studenten attackierten, dabei sechs Personen töteten und 43 Studenten verschwinden ließen, halten die Proteste gegen das Ermittlungsvorgehen der Regierungsinstitutionen an.

Generalstaatsanwaltschaft verletzt Übereinkünfte mit Angehörigen der Opfer

Die Spannbreite reicht nach wie vor von Demonstrationen über Blockaden, angezündete Fahrzeuge von Polizeipatrouillen und die Besetzung öffentlicher Einrichtungen. Vor allem im Bundesstaat Guerrero haben die Aktionen unter Beteiligung der Lehrergewerkschaft CETEG (Coordinadora Estatal de Trabajadores de la Educación de Guerrero) erneut an Intensität gewonnen. Für den 26. Januar wird im Rahmen des inzwischen achten Aktionstages zu einer weiteren Massendemonstration in Mexiko-Stadt aufgerufen.

Die Regierung hat wenig dazu beigetragen, Wut und Zorn der Familienangehörigen der Opfer zu besänftigen. Das jüngste Beispiel dafür lieferte einmal mehr die Bundesgeneralstaatsanwaltschaft (PGR) unter Jesús Murillo Karam. Vor wenigen Tagen teilten die Forensik-Experten der Universität Innsbruck den mexikanischen Behörden mit, mit den bisherigen Methoden keine DNA-Profile aus den 16 Knochen- und Ascheproben herstellen zu können, bei denen es sich möglicherweise um Überreste der verschwundenen Studenten handeln könnte.

Die PGR machte dies öffentlich, ohne zuvor die Familienangehörigen unterrichtet zu haben. Mit diesen hatte sie im November 2014 ausdrücklich vereinbart, jegliche sensible Information zuerst mit ihnen zu besprechen. Die Generalbundesstaatsanwaltschaft autorisierte die österreichischen Forensiker*innen zudem, weitere Untersuchungen mit noch spezielleren Methoden vorzunehmen – ebenfalls ohne Absprache mit den Angehörigen der Studenten. Mexikos Präsident Enrique Peña Nieto hat es in sage und schreibe vier Monaten nicht ein einziges Mal geschafft, an die Tatorte in den Landkreisen Iguala und Cocula zu reisen.

Geolokalisierung: Studenten könnten auf Kasernengelände festgehalten worden sein

Die Fronten sind klar. Die mexikanische Generalbundesstaatsanwaltschaft sieht alle Ermittlungslinien als erschöpft an. Sie hält an der Version fest, dass die Studenten auf einer Müllhalde in Igualas Nachbarkommune Cocula von Mitgliedern des Drogenkartells Guerreros Unidos (Vereinigte Krieger) umgebracht und komplett verbrannt wurden. Fast 100 Personen sind inzwischen im Zusammenhang mit dem Verbrechen verhaftet worden. Darunter mehrere der mutmaßlich ausführenden Täter und das als Drahtzieher angesehene Bürgermeisterehepaar von Iguala.

In dieser Woche ließ die PGR ihre Version noch einmal von einem erst jüngst verhafteten mutmaßlichen Mitglied von Guerreros Unidos wiederholen. Doch eine konsistente Schilderung des Tathergangs gibt es nach wie vor nicht. Die Ermittlungsbehörden genießen keine Glaubwürdigkeit bei den Familienangehörigen. Zudem gibt es auf der Geolokalisierung von Mobiltelefonen der Studenten beruhende Spekulationen: Danach könnten die Verschwundenen zumindest zeitweise auf dem Kasernengelände des in Iguala stationierten 27. Infanteriebataillons festgehalten worden sein.

Regierung streitet Verwicklung von Sicherheitskräften in den Fall ab

Am 12. Januar gab es mehrere Verletzte bei einem Zusammenstoß von Militärs sowie Angehörigen und Kommilitonen der Verschwundenen vor dem Kasernentor. Jetzt sollen zumindest die Tore der Kaserne in Iguala für Angehörige und Vertreter*innen der staatlichen Menschenrechtskommission geöffnet werden. Ein symbolischer Akt. Niemand rechnet damit, dass damit neue Erkenntnisse einhergehen.

Der mexikanische Innenminister Miguel Ángel Osorio Chong hat die Regierungsposition deutlich gemacht: „Es gibt das Interesse, Falschwissen zu schaffen und unsere Armee und unsere nationalen Einsatzkräfte in die Geschehnisse von Iguala zu verwickeln. Die Regierung weist diese Anschuldigungen kategorisch zurück.“ Das Militär ist in Mexiko nach wie vor praktisch unantastbar.

In der vergangenen Woche führte eine in mehrere Gruppen aufgeteilte „Bürgerkarawane“ die abseits vom Staat durchgeführte Suche nach den verschwundenen Studenten weiter. An der Karawane nehmen Familienangehörige, Mitstudenten, die selbstorganisierte Gemeindepolizei aus mehreren Landkreisen und einzelne Bürger*innen teil. Die Suche begann in Iguala und soll auf andere Regionen im Bundesstaat Guerrero ausgedehnt werden. Die politische Devise lautet, nach Lebenden zu suchen, solange die Ermordung der Studenten nicht zweifelsfrei feststeht.

Zivile Suche nach den Opfern bringt weitere Massengräber zu Tage

Makabrerweise führt diese Suche regelmäßig zum Aufspüren von weiteren geheimen Massengräbern in der Umgebung von Iguala. So zuletzt am Donnerstag vergangener Woche. „Höllenstadt Iguala“ beschrieb jüngst ein Zeitungskommentar die Situation, die dort in den vergangenen Jahren herrschte.

Im Zusammenhang mit dem Verbrechen an den Studenten bleiben im Übrigen die laut Listen der Staatsanwaltschaft Guerreros bei der Polizei von Iguala beschlagnahmten G36-Gewehre des deutschen Rüstungsunternehmens Heckler & Koch (H & K) ein Thema. Nach den Bestimmungen der Exportgenehmigung hätten sie dort nie hinkommen dürfen. Auch aus G36-Gewehren könnten in der Nacht vom 26. auf den 27. September Schüsse auf die Studenten abgegeben worden sein.

Beschlagnahmte G36-Gewehre und ein „konsternierter“ deutscher Außenminister

Mexikos Außenminister José Antonio Meade kam am 20. Januar zu einem Kurzbesuch nach Deutschland. Zuvor versicherte er in einem mit der Deutschen Presse-Agentur geführten Interview, er verfüge „über kein Element“, das ihm erlaube, die Beschlagnahme zu bestätigen. Angesichts der vorliegenden Listen ist diese Aussage kaum erklärlich – und erklärt möglicherweise doch Vieles. Meade reihte sich in Berlin in die Reihe der mexikanischen Regierungsrepräsentanten ein, die die Gewalt in Mexiko herunterspielen.

Im Fall der verschwundenen Studenten wird alles auf die Komplizenschaft von Politik und organisiertem Verbrechen auf kommunaler Ebene abgeschoben. Da wirkte es schon ein bisschen tragikomisch, dass Außenminister Frank-Walter Steinmeier deutsche Hilfe bei der Aufklärung des Verbrechens anbot und sich ansonsten „konsterniert“ über die Tat zeigte.

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