Anzeige wegen Verletzung des Menschenrechts auf Kommunikation

von Nils Brock, Rio de Janeiro

(Berlin, 14. März 2013, npl).- Wegen der permanenten Verletzung der Meinungsfreiheit brasilianischer Community Radios brachten zivilgesellschaftliche Organisationen am vergangenen Montag eine Anzeige vor der Interamerikanischen Menschenrechtskommission Cidh (Comisión Interamericana de Derechos Humanos) der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) ein.

 

Bei den thematischen Anhörungen in Washington wurde dargelegt, dass Community Radios trotz einer gesetzlichen Anerkennung auf “repressive Weise reguliert und keine ihnen förderliche öffentliche Politik betrieben werde”, resümiert Camila Marques, von der Menschenrechtsorganisation Article19.

Gemeinsam mit der brasilianischen Sektion des Weltverbands der Community Radios (Amarc Brasil) hatte Article19 auch die Anzeige initiiert, die später ebenfalls von der Nationalen Bewegung der Community Radios Mnrc (Movimento Nacional de Radios Comunitárias) unterstützt wurde.

Kontinuierliche Kriminalisierung von RadiomacherInnen

“Wir sind nach Washington gezogen um die Kriminalisierung dieser Radios in Brasilien anzuklagen, all die Schwierigkeiten und die bürokratischen Hürden die es zu überwinden gilt, um senden zu können”, sagt Arthur William, Vorsitzender von Amarc Brasil. Erst im vergangenen Jahr ist beispielsweise das Sponsoring von Community Radios gesetzlich weiter eingeschränkt worden, was deren ohnehin prekäre Finanzierung zusätzlich erodiert.

Außerdem werden Radios ohne Sendegenehmigung in Brasilien strafrechtlich verfolgt, was gegen die Amerikanische Menschenrechtskonvention von 1969 (Pakt von San José) verstoße, die auch Brasilien unterzeichnet habe, sagt Marques. Doch anstatt das ungenehmigte Senden als Ordnungswidrigkeit zu handhaben, werden die Radiomacher*innen mit restriktiven Gesetzen aus den 1960er Jahren belangt.

Es ist nicht das erste mal, dass Brasilien wegen seiner Medienpolitik bei der Cidh angezeigt wird. Bereits im Jahr 2005 waren Amarc Brasil und die Nationale Menschenrechtsbewegung Mndh (Movimento Nacional de Direitos Humanos) nach Washington gezogen, um gegen die gesetzliche Diskriminierung und den Ausschluss der Zivilgesellschaft an interministeriellen Treffen zur Neuregulierung von Community Sendern zu protestieren. Auf Drängen des Cidh lud das Kommunikationsministerium damals tatsächlich Radioverbände zu den folgenden Treffen ein.

Doch die Ergebnisse und Protokolle dieser Sitzungen wurden nie veröffentlicht. Das neue Informationsgesetz Brasiliens macht es möglich, im vergangenen Jahr Einsicht in diese Unterlagen zu verlangen. Die Antwort auf die Anfrage Amarc Brasil war ernüchternd: In den Archiven und der Bibliothek des Kommunikationsministeriums ist zu diesen Treffen kein einziger Eintrag vermerkt.

Gesetzesreform hat keine Priorität für Regierung

Angesichts solcher Erfahrungen ist die neuerliche Anzeige vor einem Organ der OEA auch ein Indiz dafür, dass viele Medieniniativen und Menschenrechtsorganisationen die Versprechen der nationalen Regierung, substantielle Veränderungen in der Medienregulierung einzuleiten, inzwischen stark anzweifeln. Ende Februar hatte Kommunikationsminister Paulo Bernardo unverblümt bekannt gegeben, Reformen im Kommunikationssektor würden “nicht zu den Prioritäten” der regierenden Arbeiterpartei PT (Partido dos Trabalhadores) zählen und erst besprochen, wenn die “Zeit reif ist”. Damit ist klar: vor den Präsidentschaftswahlen im kommenden Jahr wird es keine substantiellen Veränderungen geben.

Dass es auch anders geht, zeigt das Mitte Februar unterzeichnete Dekret 7921, mit dem die Regierung per Federstrich großen Telekommunikationsunternehmen künftig steuerliche Erleichterungen in Höhe von 23 Milliarden Euro gewähren wird, wie der Soziologe Venício de Lima in einem Artikel errechnet. “Gibt es noch irgendwelche Zweifel an der Regierungsposition?” fragt er ketzerisch.

Für Lima ist klar, dass die aktuelle Regierung von Präsidentin Dilma Rousseff “nicht das von ihrem Amtsvorgänger Lula auf den Weg gebrachte Projekt einer neuen Rahmengesetzgebung im Medienbereich vorantreibt.” Auch wenn er die Gegenstimmen an der Basis der PT für wichtig halte, sei deshalb eine breite “öffentliche Mobilisierung” unumgänglich, um die “brasilianische Medienlandschaft nachhaltig zu demokratisieren”.

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