Camila Vallejo: „Die Mapuche-Föderation nicht zu akzeptieren, war ein Fehler“

von Pedro Cayuqueo, Temuco

(Temuco, 01. September 2011, azkintuwe/npl).- Ende August wurde eine Versammlung des Dachverbandes der chilenischen Student*innen Confech (Confederación de Estudiantes de Chile) erstmals von Mapuche-Studierenden organisiert. Bis nach Temuco begab sich Camila Vallejo, die emblematische Sprecherin der Bewegung. Im Interview mit The Clinic, spricht Camila über den Prozess, den die Mapuche-Föderation der Studierenden Femae (Federación Mapuche de Estudiantes) durchlebt hat, sowie die Herausforderung, die stets mit der Interkulturalität im Zusammenhang steht.

Die 23-jährige Geographin Camila Vallejo Dowling ist die wichtigste Sprecherin der chilenischen Studierendenbewegung geworden. Zuviel Rampenlicht mag sie nicht, doch gemeinsam mit einer neuen Generation von Führungspersönlichkeiten ist auch sie nicht bereit, die Fahnen im Kampf um eine kostenlose und hochwertige Bildung kampflos einzuholen.

Die Sprecherin hebt heute die Rolle der Mapuche-Universitätsstudent*innen hervor und bezeichnet es als einen Fehler der Kommunist*innen, ihrer Mitgliedschaft in der Confech Hindernisse in den Weg gelegt zu haben. Doch die Dinge haben sich geändert.

Die Mapuche-Studierenden sind Protagonist*innen der Protestaktionen, ihre Sprecher*innen sitzen in der Executive der Confech und von Seiten Camilas sind nur Worte des Dankes zu hören. „Sie haben große Fähigkeiten dabei bewiesen, ihre Fähigkeiten, ihre Argumente vorzubringen und sie haben auf eine unglaubliche Weise die interne Debatte in der Confech bereichert. Darüber und über vieles andere sprachen wir mit ihr.

Was für eine Bedeutung gibst du dieser von Mapuche organisierten Confech-Versammlung?

Camila Vallejo: Ich meine, dass die Confech in diesem Jahr einen sehr bedeutenden Reifeprozess durchlaufen hat. Nicht nur wegen der qualitativen Sprünge, die sich in den Vorschlägen äußern und im Niveau der Artikulation mit anderen Akteuren, sondern auch, indem die organisierten Mapuche-Student*innen mitsamt deren Forderungen in ihre Reihen aufgenommen wurden. In der ganzen Geschichte der Confech hatten sie nie eine Rolle gespielt, ich wage mich sogar soweit vor, zu sagen, dass dies nicht einmal ein Diskussionsthema war. Auch die Dynamik ihrer Organisationsweise, die ein wenig anders ist als die Bürokratie unserer studentischen Organisation wurde nie recht verstanden.

Es ist euch schwergefallen, die Mapuche zu integrieren.

Camila Vallejo: Ja, es war schwierig, aber für alle. Doch dieser Prozess, den wir mit ihnen durchlebt haben, war sehr bereichernd für die Debatten.

Gibt es eine Schuld der Kommunistischen Partei PC (Partido Comunista) und von deren Jugendorganisation La Jota bezüglich des Respekts vor dem autonomen Charakter des Kampfes der Mapuche?

Camila Vallejo: Ich glaube ja – und das hat vor allem mit unserer Ignoranz zu tun. Es ist so, dass die PC versucht hat, ihre Arbeit mit den Mapuche zu machen, das hat sie seit Jahrzehnten versucht. Doch dabei sind oft Fehler passiert, was etwas sehr Typisches für politische Instrumentalisierung ist. Ich bin Optimistin. Uns selbst ist, als wir dafür kritisiert wurden, die Mapuche-Mitstreiter*innen nicht sofort mit offenen Armen zu empfangen, ein Fehler unterlaufen. Ein legitimer Fehler, der uns etwas gelehrt und demütig gemacht hat, so dass wir anerkennen können, dass dies nicht gut war. Heute können wir bei den Diskussionen, die in der Partei und in den eigenen Jugendorganisationen stattfinden, sagen, dass das Thema Mapuche seinen Platz hat und das auf eine viel bessere Art und Weise.

Welchen Eindruck hast du von der Rolle der Femae innerhalb der Confech?

Camila Vallejo: Sie haben große Fähigkeiten bei der Darlegung ihrer Forderungen, bei ihren Argumentationen an den Tag gelegt. Damit haben die auf eine unglaubliche Art die interne Debatte in der Confech bereichert. Heute hier zu sein, in Temuco, ist diesbezüglich ein sehr wirksames Signal ‒ sowohl für sie als auch für uns. Für mich ist ein Beispiel die Arbeit, die sie hier im Süden gemacht haben, in den Häusern, mit wieder erkämpften StudentInnenheimen. Das sind heute autonome Gelände. Wir haben hier gesehen, wie sich der zweijährige Kampf materialisiert hat.

Das ist die erste Confech außerhalb der Unis?

Camila Vallejo: Ja, zum ersten Mal. Ich werte dies als einen historischen Meilenstein. Daran zeigt sich auch, dass wir in einer Gemeinschaft arbeiten, indem wir als Confech das Theme der Interkulturalität aufgreifen und nicht nur im Diskurs. Dass wir hier sind, erneuert und bestärkt unsere Verpflichtung gegenüber dem Volk der Mapuche. Es zeigt Wertschätzung für die Standfestigkeit, die sie an den Tag legten, denn auch wenn wir Akte von Repression erlebt haben, ist das nichts im Vergleich zu dem, was die Gemeinden hier tagtäglich im Süden durchleben. Wir haben als Confech die Herausforderung angenommen, die Rechte des Mapuche-Volkes anzuerkennen, aber dabei immer deren Kultur, Identität und autonome Organisationsräume zu schützen.

Glaubst du, die Herausforderung, die ihr angenommen habt, gilt für das ganze Land?

Camila Vallejo: Ganz offensichtlich. Es werden Strukturreformen des Staates gefordert. Das wird nicht von heute auf morgen geschehen, aber diese Öffnung bedeutet doch einen Schritt von Bereichen wie etwa dem studentischen Sektor.

Was hat es für dich bedeutet, in die Realität der Mapuche einzutauchen?

Camila Vallejo: Es gibt uns eine viel ganzheitlicher Vision davon, wie man Bildung in Chile gestalten sollte. In dieser Diskussion über kostenlosen Zugang oder Qualität der Bildung neigt man dazu, das Theme der Inhalte zu vergessen. Wir vergessen, wie die Themen Interkulturalität und Multikulturalität sich in diesem Paradigmenwandel, den wir anstreben, widerspiegeln sollen. Das ist eine sehr tiefgreifende Diskussion, die zumindest auf der Leitungsebene der Confech intern geführt wird, wodurch es uns möglich wird, viel exakter und vollständiger die Forderungen der chilenischen Gesellschaft in seiner Gesamtheit zu repräsentieren. Es wäre notwendig, dass diese Debatten in allen gesellschaftlichen Bereichen geführt werden.

Auch heute wird insistiert, dass die Machis* Hexen sind, die „Befriedung“ kein Genozid war und ähnliches. Was hältst du davon?

Camila Vallejo: Ich denke, alle Bücher sollten überprüft werden, wir müssen uns fragen, was für eine Art von Bildung wir da gerade erhalten. Es ist eine riesige Herausforderung, die da als Confech und als Gesellschaft vor uns liegt. Wenn wir davon sprechen, die Bildung und zu demokratisieren, so bedeutet dies auch, das Wissen zu demokratisieren, so dass nicht mehr eine Elite die Inhalte bestimmt. Es gilt, alle Perspektiven auf die Geschichte wiederzugeben, nicht nur jene, die ein dominanter Sektor geschrieben hat. Und das müssen wir auf allen Stufen des Bildungsweges tun, von der Vorschule bis zur Hochschulbildung. Das ist eine große Aufgabe, eine Schlacht der Ideen, der nicht einmal die Confech so viel Bedeutung beigemessen hat. Man sagt: „Die Universität soll der Entwicklung des Landes dienen“, aber was für eine Art von Entwicklung damit gemeint ist – das ist ein offene Frage.

Wird ein neuer Sozialpakt angestrebt, eine Neuausrichtung des Staates?

Camila Vallejo: Ich denke, wir sollten eine neue politische Verfassung anstreben. Und dafür ist noch viel zu leisten, viel mehr als das, was wir bisher getan haben. Was uns als Aufgabe jenseits dessen bleibt, was mit der Studentenbewegung dieses Jahr geschieht, ist die soziale Organisation in den Territorien voranzubringen und von dort aus eine soziale Plattform oder ein soziales Bündnis zu schaffen, das diese Herausforderung annimmt, das es mittels eines Programms, mittels eines gemeinsamen programmatischen Ziels mit der politischen Macht aufnimmt. Wenn wir nur beim Fordern bleiben, wird wenig oder gar nichts passieren. Ich bin eine kommunistische Aktivistin, doch wir Kommunisten allein werden das nicht stemmen. Deshalb spreche ich von einem neuen Typ des sozialen Bezugs, der breiter ist und wo wir verschiedene soziale Akteure dazu einladen können, eine politische Alternative realisierbar zu machen.

Siehst du das Volk der Mapuche als Akteur, der zum neuen Gesellschaftstyp, den man zu schaffen sucht, beiträgt?

Camila Vallejo: Davon bin ich überzeugt. Das ist in anderen Ländern bereits geschehen, etwa in Bolivien, wo es gelungen ist, die Anerkennung der indigenen Völker durchzusetzen, und wo ein anderes Entwicklungsmodell eingeführt wird, ein menschlicheres Modell. Wenn es soweit ist, dass die Kosmovision der Mapuche, ihre Geschichte, Werte und Prinzipien in der chilenischen Bildung integriert werden, dann, so glaube ich, werden wir einem anderen Gesellschaftstypus nähergekommen sein – mit mehr Gerechtigkeit und mehr Demokratie.

Bist du zur Mapuche geworden?

Camila Vallejo: Das Mapuche-Volk hat mich überrascht. Die reichhaltige Vision der Welt, die sie haben, elektrisiert mich, ihre Sprache, die die Welt so anders interpretiert, ganz anders als wir sie sehen. Das elektrisiert mich sehr, sie verstehen zu können, von ihnen lernen zu können, davon, wie sie menschliche Beziehungen begreifen, von ihrem Verhältnis zu Erde, zu ihrer natürlichen und sozialen Umgebung. Meine Leitungsfunktionen lassen mir nur wenig Zeit, sie näher kennenzulernen. Hoffentlich werde ich, irgendwann in der Zukunft, die Möglichkeit haben, mich mit den Mapuche näher zu beschäftigen. Wenn ich mich aus diesem westlichen Alltag mehr herausziehen könnte, wäre es mir wirklich eine große Freude, sie nähe kennenzulernen.

Was wusstest du vorher?

Camila Vallejo: Ganz wenig, nur das, was ich in der Schule mitbekam. Und das, was in den Medien kommt: dieses verzerrte Bild der Gewalt, der Proteste … Ich wusste schon etwas von dem Kampf um das Land, aber sehr wenig, hauptsächlich aufgrund meines Geografiestudiums und einem Besuch vor Ort vor ein paar Jahren in einer Mapuche-Gemeinde. Dort erzählte uns eine Mapuche-Frau von ihrem Kampf, von der Repression und dem Identitätsverlust im Zuge des Exodus der neuen Generationen in die Städte.

Ein Verlust, der auch mit einem Bildungsmodell zusammenhängt, der ihnen das verweigert, was sie sind …

Camila Vallejo: Heute sind weder ihre Kultur noch ihre Identität Teil der Bildung. Es gibt auch keine Räume, damit sie ihre eigenen Bildungsmodelle entwickeln – jenseits des vorherrschenden folkloristischen Bildes. Das ist Teil dessen, was wir aufgrund ihrer Beteiligung an der Confech gelernt haben.

*Machis sind die religiösen Autoritäten der Mapuche

[Der Originalartikel wurde am 1. September auf dem Internetportal Azkintuwe veröffentlicht]

 

 

 

 

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