Zivilgesellschaft kritisiert Dialog-Rhetorik der brasilianischen Regierung

von Andreas Behn, Rio de Janeiro

(Berlin, 07. März 2012, npl).- Immer wieder betont die brasilianische Regierung die wichtige Rolle der Zivilgesellschaft für den Prozess Rio+20 und ihre Bereitschaft zum Dialog mit den sozialen Bewegungen. Doch mittlerweile befürchten viele Aktivist*innen, dass es sich dabei eher um Rhetorik handelt. Sie kritisieren, dass die Positionen der Zivilgesellschaft bislang keinen Widerhall in den offiziellen Diskussionen im Vorfeld der UN-Konferenz über Nachhaltige Entwicklungen finden. Zudem werfen sie der Regierung vor, mit den „Dialogen über Nachhaltigkeit“ (Diálogos Sustentáveis) eine Konkurrenzveranstaltung zum People’s Summit zu organisieren.

Im Namen des Vorbereitungskomitees der Zivilgesellschaft (CFSC) kritisiert die Soziologin Iara Pietricovsky den Entwurf der Abschlusserklärung der UN-Konferenz als völlig unzureichend: „Der Zero Draft hat rein gar nicht mit den Debatten der vergangenen 30 Jahre gemein.“ Alle Fortschritte in der Diskussion über Umwelt und internationale Rahmenbedingungen seit der Konferenz in Rio de Janeiro vor 20 Jahren würden ignoriert. Statt dessen werde von neuen, enorm verkürzten Millenniums-Zielen ausgegangen, kritisiert die Direktoren der NRO Inesc mit Sitz in der Hauptstadt Brasilia.

Auch die Organisation Vitae Civilis von Netzwerk der Umweltgruppen FBOMS moniert, dass die Zivilgesellschaft bisher de facto vom eigentlichen UN-Prozess ausgeschlossen wird. „Es besteht eine große Diskrepanz zwischen der vom brasilianischen Außenministerium deklarierten, wichtigen Rolle der Zivilgesellschaft auf nationaler und internationaler Ebene und der realen Einbindung dieser Akteure in die Vorbereitung der Konferenz,“ schreibt das Instituto Vitae Civilis in seinem jüngsten Bulletin.

Derweil kündigte die Regierung Brasiliens an, wie sie sich die Einbindung der Zivilgesellschaft vorstellt. An dem Wochenende zwischen dem letzten Vorbereitungstreffen (PrepCom) und dem Beginn der eigentlichen Konferenz, vom 16. bis 19. Juni, lädt sie in der Nähe des Konferenzzentrums Rio-Centro zu so genannten Dialogen über Nachhaltigkeit ein. Renommierte Fachleute sollen mit Regierungsvertreter*innen und den Major Groups (u. a. Indígenas, Gewerkschaften, NRO, Jugend, Unternehmer*innen) Vorschläge entwickeln, um die Ergebnisse der offiziellen Konferenz zu inspirieren, die am 20. Juni beginnen wird.

Antonio Ricarte, Brasiliens Vertreter in UN-Umweltprogramm UNEP, verkündete vergangene Woche während des letzten UNEP-Ministertreffens in Nairobi die vorab definierten Themen der „Dialoge“. Es wird unter anderem um Ernährungssicherheit, nachhaltige Energie, Wasser, Ozeane sowie Arbeitslosigkeit und Migration gehen. Auch wenn der Dialog mit der Zivilgesellschaft „mindestens zwei Monaten vor der Rio+20“ initiiert werden soll, handelt es sich nicht um Diskussionen mit allen Interessierten. Die erwarteten 2.000 Teilnehmer*innen werden seitens der Regierung ausgewählt und eingeladen.

Für Iara Pietricovsky ist dieser „Dialog“ „schlecht vorbereitet“ und bezüglich der Möglichkeit einer Einflussnahme „schlicht Blödsinn“. „Wie soll ein von der Regierung gewünschtes Gegen-Dokument den offiziellen Prozess beeinflussen, wo doch klar ist, dass alle Entscheidungen bereits während der letzten PrepCom gefällt werden? Wenn die Regierung wirklich einen Dialog mit der Zivilgesellschaft sucht, soll sie uns anhören und rechtzeitig einen ehrlichen und offenen Prozess einleiten,“ schlägt Iara vor. „Im Moment stehen die beiden Veranstaltungen in Konkurrenz zueinander. Und natürlich wird dies Verwirrung stiften, da unsere ‚Cúpula dos Povos‘ vom 15. bis 23. Juni stattfinden wird.“

Wie andere Mitglieder des Zivilgesellschaftskomittes, das ein breites Bündnis von Umweltgruppen, sozialen Bewegungen und NRO vertritt, ist diese Regierungsinitiative für Iara Pietricovsky kein Dialogangebot, sondern vielmehr eine Konkurrenzveranstaltung zu dem People’s Summit, der seit über einem Jahr vorbereitet wird und wie bei der ECO-92 Tausenden von Aktivisten und Organisationen auf dem zentrumsnahen Aterro do Flamengo ein Forum für Debatten und der Präsentation von Alternativen bieten wird.

Offenbar fürchtet die brasilianische Regierung eine Zivilgesellschaft, deren inhaltliche Positionen derzeit vollkommen unvereinbar mit der Zielrichtung sowohl des UNEP wie der Regierung selbst sind. So lehnen die Mitglieder des Zivilgesellschaftskomittes den Begriff Green Economy sowie dessen Diskussion rundweg ab. Zudem kritisieren sie Markmechanismen wie den Handel um Emissionsrechte (REDD) oder die Privatisierung öffentlicher Güter, sowie die Priorisierung von Umwelttechnologien als „falsche Lösungen“. Statt dessen plädieren sie für Alternativen wie ökologische Landwirtschaft und klare Richtlinien, wie die öffentliche Hand Umweltschutzmaßnahmen und die Nutzung natürlicher Ressourcen gewährleisten soll. (ab)

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