„Wir wollen Alternativen schaffen“

von Osvaldo León

(Quito, 19. April 2012, alai).- Interview mit Humberto Cholango, Präsident ds Bündnis der indigenen Nationalitäten Ecuadors CONAIE (Confederación de Nacionalidades Indígenas del Ecuador)

Mit Märschen und Kundgebungen hat Ecuador einen sehr bewegten Monat März erlebt; mit der Besonderheit, dass sie einen Impuls im Lager der politischen und sozialen Linken entfachten, die heute sowohl aus Regierung als auch aus Teilen der Opposition besteht.

Auslösender Faktor hierfür war die Initiative der sozialen und politischen Sektoren, die sich in der Plurinationalen Koordinationsstelle (Coordinadora Plurinacional) vereinigten und den Anstoß zum „Marsch für das Wasser, das Leben und die Würde der Völker“ gaben.

Dieser fand vom 8. bis 22. März statt und forderte von der Regierung einen „Wechsel des Entwicklungsmodells“ auf der Basis von 19 Punkten. Die treibende Kraft dieser Mobilisierung war zweifellos der Dachverband der Indigenen Völker Ecuadors CONAIE (Confederación de Nacionalidades Indígenas del Ecuador), dessen Präsident Humberto Cholango im Folgenden sowohl die Bedeutung und Bilanz des Marsches, als auch den Blick auf die Zukunft darstellt.

Wie fällt die Bilanz des CONAIE zum „Marsch für das Wasser, das Leben und die Würde der Völker“ aus?

Unsere Bilanz ist positiv. Mitten in einem grundsätzlichen Konflikt mit der Regierung von Rafael Correa, der zum Teil auch ideologischer Natur ist, bewerten wir die Situation positiv, da erneut die sozialen Kräfte wiedererstarkt sind.

Natürlich können wir nicht behaupten, es sei alles wieder hergerichtet. Aber es bildet sich eine soziale Kraft, um den Kampf um die Erfüllung der politischen Verfassung des Staates wieder aufzunehmen. Dabei geht es um die Ziele, für die die sozialen Bewegungen kämpfen, wie zum Beispiel die Agrarrevolution, die Demokratisierung der Wirtschaft, die Demokratie und Mitsprache durch die Konsolidierung eines plurinationalen Staates.

Ebenso um die nationale Souveränität, die als würdevollste Position gegenüber allen Regierungen und Freihandelsabkommen zu verstehen ist. Aber vor allem glauben wir, dass diese Mobilisierung deshalb positiv ist, da die Gesellschaft sich mobilisieren muss, um eben diese Veränderungen zu fordern. Auch muss sie diese Mobilisierung als ein strategisches Element wahrnehmen, damit die politische Rechte weder die Initiative ergreifen kann, noch die Straßen für sich in Anspruch nehmen kann. Letzeres würde einen politischen und sozialen Prozess neutralisieren, der anfangs in gewissem Maße fortschrittlich war, jedoch im Lauf der Zeit schwächer wurde.

In der Tat sprechen wir von einer Regierung, die an die Macht gelangte, indem sie die Fahnen sammelte, die soziale Organisationen gehisst hatten und die später zu den Säulen der neuen Verfassung wurden. Lässt sich in diesem Zusammenhang sagen, es hat im Hinblick auf die neuen Umstände Bestürzung unter den sozialen Bewegungen gegeben?

Nein, auf keinen Fall. Wir nehmen dies als einen historischen Kampf und ein politisches Projekt auf uns und antworten auf strategische Ziele. Grundlegend dabei ist, deutlich zu machen, dass wir nicht einfach dagegen sind, sondern Alternativen für das Land schaffen wollen. Schließlich soll die Opposition zu keiner Lebenskultur werden, sondern Vorschläge bringen, die weiter entwickelbar sind.

Es ist klar, dass es bei einigen Fragen Verständnisschwierigkeiten gibt. So zum Beispiel hinsichtlich der Übergabe des nationalen Reichtums an transnationale Unternehmen. Denn auch wenn wir Geschäftspartner und ausländische Investitionen brauchen, wollen wir nicht, dass die Unternehmen kommen und den Gebieten der indigenen Bevölkerung ihre Bedingungen diktieren. Diese Bedingungen verletzen die Verfassung; nicht nur hinsichtlich des Rechts auf Befragung, das von der Verfassung besonders gewürdigt wird, sondern auch die Rechte der Natur. Schliesslich sagt die Verfassung ganz klar, dass dort wo sich Urwälder, bewohnte Dörfer und Quellen befinden, kein Bergbau betrieben werden darf.

Soziale Bewegungen müssen sich neu formieren

Daher glaube ich, muss zunächst klar gestellt werden, dass es für die Organisationen und sozialen Sektoren unerlässlich ist, sich neu zu formieren, zurückzukehren und sich auf den aktuellen Stand der Dinge zu bringen. Wir müssen aufhören zu glauben, mit der gleichen Logik, der gleichen Tradition und den gleichen Strategien kämpfen zu können wie vor fünf oder sechs Jahren. Es stimmt, dass sich vieles geändert hat. Heute gibt es eine neue Verfassung und diese muss Grundlage sein, wenn über den Staat nachgedacht wird. In diesem Sinne muss die indigene Bewegung die Gesellschaft als einen plurinationalen Staat betrachten.

Ausgehend von dieser Perspektive prallen wir mit den Vorstellungen der Regierung aufeinander. Im Hinblick auf das Landgesetz zum Beispiel, ist die Haltung des Präsidenten ablehnend gegenüber einer Agrarrevolution, da die Neuaufteilung des Landes an die Indígenas und Landarbeiter*innen die Umschichtung der Armut bedeutet. Dies prallt auf die Vorstellung, die Wirtschaft zu sozialisieren und die Produktionsmittel zu demokratisieren. Diesen Ansichten haben wir uns gestellt und einen Protestmarsch organisiert, um zu sagen: Hören Sie, der Präsident hat ein Angebot gemacht, aber seine Politik und Orientierung gehen in die andere Richtung.

Im Zusammenhang mit dem Landgesetz exisitiert ein Projekt des Landwirtschaftlichen Netzwerkes (Red Agraria), das die Nationalversammlung unbedingt beachten muss. Schliesslich gewährt der Staat zum ersten Mal eine verfassungsmäßige Vorschrift, die das Sammeln von Unterschriften ermöglicht, mit dem Ziel, Bürgerinitiativen für neue Gesetze voranzubringen. Wie steht der CONAIE dazu?

Zunächst muss grundlegend verstanden werden, dass der Kampf um Land auch ein Kampf um Macht, Kultur, Wirtschaft, Wissenschaft und Leben bedeutet. Der Kampf um Land ist folglich fundamental. Es sei gesagt, dass einer der Gründe für den Aufstand der Indígenas im Jahr 1990 – neben weiteren Forderungen – die Streitigkeiten um Land und Gebiete mit dem Staat, den Unternehmen und großen Landbesitzern war.

„Der Kampf um Land ist fundamental“

Unser heutiger Standpunkt ist, dass es eine Agrarrevolution geben soll. Dabei geht es jedoch nicht nur um die traditionelle Logik von der Neuverteilung des Landes, sondern auch um die Frage, worin die Macht der Landwirtschaft, die des Marktes und der Kontrolle liegt, die die großen Gruppen und Wirtschaftmächte innehaben. Eine der mächtigsten Gruppen des Landes ist PRONACA, die sich bei der Kontrolle über die Lebensmittel etabliert hat und über Vereinbarungen und Verträge mit der Regierung verfügt.

Als CONAIE schlagen wir vor, die Größe des Landbesitzes zu limitieren, sowie Kapital und Land zu nationalisieren, das von Unternehmen und ausländischen Investitionen in Anspruch genommen wird, die ausschließlich Produkte für den Agro-Export produzieren. Desweiteren fordern wir die konsequente Schaffung von Gerichten für landwirtschaftliche Angelegenheiten und Umweltfragen, die zuverlässig arbeiten und nicht dem Hin und Her der Politik der Regierung unterworfen sind. Ebenso regen wir die Schaffung eines Fonds für Ländereien und Ernährungssouveränität an, um die Poduktion im Landes sowohl zu erleichtern als auch anzukurbeln und eine sichere Ernährung zu garantieren. Dadurch soll auch die Spekulation mit Produkten auf den Märkten bekämpft werden. Der Fonds soll dazu dienen, für die Gemeinschaft der Indígenas und Landarbeiter*innen würdige Arbeitsplätze zu schaffen.

Diese sind unter anderem die Punkte, die wir im Hinblick auf den Gesetzesentwurf vorgesehen haben, der vom Landwirtschaftlichen Netzwerk vorgestellt und von der Landesweiten Vereinigung von Kleinbauern-, indigenen und afro-ecuadorianischen Organisationen FENOCIN (Federación Nacional de Organizaciones Campesinas, Indígenas y Negras) angeführt wird. Wir unterstützen ohne Probleme jede Bürgerinitiative, an der sich die Leute beteiligen. Wenn wir uns mit der FENOCIN oder dem Rat evangelischer Indígena-Organisationen FEINE zusammensetzen müssen, um über ein Gesetz abzustimmen und eine gemeinsame Position zu finden, tun wir das gerne und haben das auch bereits getan. In diesem Prozess machen wir Fortschritte.

Gilt diese Dialogbereitschaft für alle Instanzen und Sektoren?

Wir haben immer an das Gute des Dialogs geglaubt aber auch frustrierende Erfahrungen gemacht. Nach 25 Jahren CONAIE und 23 Jahren, die seit dem Aufstand der Indígenas vergangen sind, hat der Dialog mit allen Regierungen versagt. Es wurden keine positiven Ergebnisse erzielt, auch wenn wir vielleicht ein paar Dinge gutheißen, aber im Hinblick auf das Gesamtprojekt und die allgemeine Politik ist dies sehr wenig. Auch der Dialog mit dem jetzigen Präsidenten ist keine Ausnahme.

Dennoch glaube ich, dass es fundamental ist, am Dialog festzuhalten. Denn dieser ist der einzige Weg, der zu Konsens und Einigungen führt – vorausgesetzt, es herrscht sowohl Respekt als auch Toleranz und die Verpflichtungen werden eingehalten. Der Dialog ist kein Pakt und muss deshalb in der Öffentlichkeit stattfinden und dem Land nützlich sein. Wir hätten beispielsweise gerne einen transparenten Dialog über das Kommunikationsgesetz geführt. Darüber wie die Frequenzen verteilt und auf welche Weise die Funkfrequenzen entprivatisiert werden. Denn wie kann es möglich sein, dass eine Person mehrere Frequenzen besitzt, eine Tageszeitung oder Fernsehen, obwohl sie eigentlich nur ein Kommunikationsmittel besitzen sollte. Wir hätten gerne verhandelt und ich glaube auch, dass es noch nicht zu spät dazu ist.

Ebenso wesentlich ist es, dass wir hinsichtlich des Landgesetzes Übereinstimmungen finden, zunächst unter den Organisationen und später, falls möglich, mit der Nationalversammlung und der Regierung. Dasselbe gilt unter anderem auch für das Wassergesetz und die Mitbestimmung der Indígenas; denn bisher hat die Regierung hier und dort ein paar Lücken gefüllt, aber ohne einen ernsthaften, echten Plan, der die Wirklichkeit der verschiedenen Nationalitäten einbeziehen oder akzeptieren würde. Indígenas können zwar öffentliche Ämter innehaben – das ist ihr Recht -, dies stellt jedoch keinenfalls einen Plan zur Errichtung eines plurinationalen Staates dar, sondern vielmehr handelt es sich dabei um politische Quoten.

Ich vertrete die Hypothese, dass sich der schwindelerregende Rythmus der Ereignisse darin niedergeschlagen hat, Feindschaften gereizt zu haben. Dies widerum äußerte sich in Distanzierungen, wenn nicht sogar Brüchen, zu denen es anderenfalls nicht gekommen wäre.

Ich glaube, wir müssen zugeben, dass es dies überall geben kann. Wir sind eine Vereinigung von Menschen und können nicht leugnen, dass Fehler und Schwierigkeiten auftreten, aber eines steht fest: Der Präsident hat uns auf abwertende Weise behandelt und es wurde nicht einmal debattiert. Ich habe seit einem Jahr die Präsidentschaft des CONAIE inne und wir haben versucht so ruhig wie möglich zu bleiben, aber manchmal müssen wir reagieren, da der Präsident uns dazu zwingt. Dies, so glaube ich, trägt nicht zu einer ernsthaften Debatte zum Aufbau des Landes bei.

Du hast erwähnt, dass in der jetzigen Regierung Raum für Indígenas in öffentlichen Funktionen geschaffen wurde, vor allem für junge Indígenas. In welchem Maße schlägt sich diese Situation im organisatorischen Prozess des CONAIE nieder?

Dies wird sich in gar keiner Weise niederschlagen. Diese Menschen übernehmen deshalb ein öffentliches Amt, weil sie erstens das Recht dazu haben – so wie andere Ecuadorianer*innen auch – und zweitens einsatzbereite Facharbeiter*innen sind. Drittens sollte diese Jugend im Dienste des Staates stehen und nicht nur im Dienste der jeweiligen Regierung und schliesslich macht der Großteil dies aus eigenem Interesse und nicht im Interesse einer Organisation – eben genau wie andere Facharbeiter*innen auch. Was wir allerdings kategorisch ablehnen ist, dass dies absichtlich politisch manipuliert wird, um der indigenen Bewegung von der Regierung aus einen Schlag zu versetzen.

Ecuador befindet sich praktisch bereits im Wahlkampf. Wie wird die Teilnahme des CONAIE aussehen?

Als CONAIE nehmen wir nicht an den Formalitäten teil. Wir haben eine politische Bewegung, Pachakutik, die verschiedene Äußerungen vereint, was durchaus zu würdigen ist. In diesem Prozess wurden Erfolge verzeichnet, aber auch sehr schwere Fehler begangen. Dies soll uns dazu dienen, sich weder zu zensieren noch sich zu beschweren, sondern als eine gelernte Lektion und ein Prozess, der uns zeigt, diese Fehler nicht wieder zu begehen. Natürlich ist für uns grundlegend, dass sich die sozialen Sektoren und die fortschrittlichen Kräfte der politischen Linken in einer gemeinsamen Front zusammenfinden und ein gemeinsames Programm weiterentwickeln. Jedoch nicht gegen Correa, sondern mit einer Alternative. Deswegen sind die Aufrufe der politischen Rechten zur Vereinigung aller gegen Correa für uns absolut ausgeschlossen. Dies ist nicht der Weg, der beschritten werden soll.

Correa ist einer der Regierenden, die sich im Visier der USA befinden. Was kannst du uns diesbezüglich sagen?

Die USA haben eine neue politische, militärische, diplomatische und wirtschaftliche Offensive in Südamerika begonnen mit dem Versuch, den Regierungen und Völkern einen Schlag zu versetzen und selbst wieder zu Kräften zu kommen. Sie wollen erneut Einfluss nehmen und die UNASUR (Union Südamerikanischer Nationen) zerstören, die eines der grundlegenden Ziele für uns und die wirtschaftliche, politische, kulturelle und soziale Integration ist. Es sollen die solidesten Einrichtungen geschaffen werden, um den geopolitischen [Herausforderungen] gegenübertreten zu können. Bei einer Sache waren wir immer ganz deutlich: Die indigene Bewegung darf nicht dazu benutzt werden, um den USA, der internationalen Politik Obamas und den transnationalen Unternehmen in die Hände zu spielen.

 

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