Präsident unter Mordverdacht

von Markus Plate, Guatemala-Stadt

(Berlin, 13. Mai 2009, npl).- Ein derart ungeheuerlicher Vorgang würde wohl jeden Staats– oder Regierungschef der Welt in ärgste Bedrängnis bringen: Der Fall beginnt mit einem Mord. Am vergangenen Sonntag wird der Anwalt Rodrigo Rosenberg in Guatemala beim Fahrradfahren erschossen. So zynisch das klingt, bei vier bis fünftausend Mordopfern jährlich im kleinen Guatemala ist dies allein kaum eine Schlagzeile Wert. Die Bombe platzt einen Tag später, am Montag, den 11. Mai. Zwei große Tageszeitungen veröffentlichen eine Videobotschaft des Ermordeten, aufgenommen eine halbe Woche vor dem Mordanschlag.

„Guten Tag, mein Name ist Rodrigo Rosenberg Marzano. Leider hören sie diese Botschaft, weil ich ermordet worden bin – durch den Präsidenten Álvaro Colóm.“ So beginnt die Videobotschaft, die im Begriff ist, in Guatemala eine Staatskrise auszulösen. Und weiter: „Ich war Anwalt von Herrn Khalil Musa und seiner Tochter Marjorie, die beide auf feige Art und Weise ermordet wurden, durch Präsident Colóm mit voller Unterstützung durch dessen Gattin Sandra de Colom.“

Rodrigo Rosenberg ist ein Anwalt mit weißer Weste. Die anderen Opfer ist ein bereits im April zusammen mit seiner Tochter ermordeter Unternehmer. Als Täter werden benannt: Der Präsident und seine Ehefrau, die den Sozialfonds der Regierung steuert. Außerdem der Financier der Wahlkampagne Álvaro Coloms und der Sekretär des Präsidenten. Der ermordete Khahil Musa, laut Rosenberg ein integrer Unternehmer, sollte in den Vorstand der privaten Bank für ländliche Entwicklung Banrural berufen werden.

Bei der Geschichte geht es, darüber sind sich die meisten einig, um Politik, um viel Geld, um den äußerst gewinnträchtigen Bankensektor Guatemalas und um Geldwäsche aus dem Drogengeschäft. Guatemala gilt als eines der Länder der Region, in der das organisierte Verbrechen nicht nur große Gewinne macht, sondern auch paradiesische Zustände vorfindet, diese Gewinne weiß zu waschen. Und die Regierung Álvaro Coloms soll tief in diese Machenschaften verstrickt sein – und letztendlich, das ist im Kern der Videobotschaft – auch vor Mord an engagierten Bürgern nicht zurückschrecken.

Gut 2.000 Menschen forderten am Dienstagmittag vor dem Präsidentenpalast den Rücktritt Álvaro Coloms und Gerechtigkeit. Demonstrant*innen aus dem gutbürgerlichen Spektrum standen an einem Ort, an dem sonst Indígenas oder die Gewerkschaften demonstrieren. Warum hat sich die obere Mittelschicht bis heute Zeit gelassen, um angesichts der jahrelangen Gewalt in Guatemala den Rücktritt eines Präsidenten zu fordern? Weil es bis heute niemanden gegeben habe, der die Regierung und den Präsidenten direkt belastet habe, so eine Demonstrantin. Jetzt gebe es klare Beweise. Und nach dem guatemaltekischen Gesetz müssten die Beschuldigten ihr Amt ruhen lassen, solange gegen sie ermittelt wird.

Präsident Colóm reagierte auf die Anschuldigungen ebenfalls mit einer Videobotschaft an die Nation. Er wies alle Vorwürfe von sich und versprach eine umfassende Aufklärung, durch den Oberstaatsanwalt der Republik und durch die internationale Kommission gegen Straffreiheit in Guatemala CICIG. Auch Unternehmerkreise und rechte Politiker*innen fordern die Einschaltung der CICIG – und das ist einigermaßen pikant. Denn gerade aus dieser Gruppe regt sich seit langem erbitterter Widerstand gegen die Bestellung einer internationale Kommission, die, wie von Menschenrechtlern seit langem gefordert, die notorische Straffreiheit für schwerste Menschenrechtsverbrechen in Guatemala untersuchen und beseitigen helfen soll. Colom gilt als Unterstützer eben dieser Kommission.

Enrique Corral, Präsident der angesehenen Stiftung Guillermo Toriello, ist ein Kenner der politischen Situation Guatemalas und glaubt, dass es dieser Tage um mehr geht, als um ein Verbrechen und um Aufklärung: „Die Situation ist delikat und gefährlich. Die intransparenten Machtstrukturen in der Umgebung der Regierung sind besorgniserregend: von der Finanzierung der Kampagne Coloms bis hin zu Coloms Sicherheitsorganen.“ Im Bankensektor, aber auch in anderen Bereichen, gebe es zudem einen heftigen Disput zwischen dem Unternehmersektor und der Regierung. Eine Demonstration, die Colom absetzen wolle, spiegele auch die Bestrebungen derjenigen wieder, die Vizepräsident Espada auf den Schild heben wollten. „Ihnen missfällt Coloms anti-oligarchischer und sozialer Touch, und Espada dient eher den Interessen dieser Gruppe“, so Corral, dessen Stiftung Kooperationspartner der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Guatemala ist. Diese Bestrebungen gebe es schon seit längerem, aber dies sei für sie sicherlich der perfekte Moment, um Colom loszuwerden.

Möglich ist derzeit vieles: Dass aus der direkten Umgebung des Präsidenten ein Mord in Auftrag gegeben worden ist. Aber auch, dass Anwalt Rosenberg mit seinem Video eine Lebensversicherung abschließen wollte: „Ich weiß etwas, und wenn ihr mich umbringt, kommt das alles ans Licht.“ Möglich ist aber auch, dass Coloms Gegnern aus dem Unternehmersektor ein perverser Plan eingefallen ist, den Präsidenten loszuwerden und durch den umgänglicheren Vizepräsidenten zu ersetzen.

Guatemala rutscht in eine Staatskrise. Das bedeutet weitere Risiken für ein Land, dass nur auf dem Papier eine Demokratie mit funktionierenden Institutionen ist. Allein ein Gutes kann Enrique Corral dieser Situation abgewinnen: „Sicher ist aber, dass die CICIG durch diese Affäre gestärkt wird. Denn es gibt endlich mal eine breite Forderung der Gesellschaft nach Aufklärung. Und die internationale Kommission ist momentan die einzige Institution, die Aufklärung leisten kann.“ Möglicherweise endet die derzeitige Krise so mit einem ersten Sieg im Kampf gegen die Straffreiheit in Guatemala.

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