Ecuador vor den Wahlen

von François Houtart

(Quito, 26. Dezember 2013, alai/amerika21).- Wie in allen lateinamerikanischen Ländern, dreht sich in Zeiten von Wahlen alles um Politik. Andere Aktivitäten werden vernachlässigt oder zu Wahlzwecken instrumentalisiert. In einer Zeit des tief greifenden Wandels, der sich in unterschiedlichen Richtungen vollziehen kann und bedeutende Auswirkungen auf das Leben der Menschen hat, spielt die Politik die zentrale Rolle. Das zeigte sich zuletzt bei den Wahlen in Venezuela 2012: Mit der Wiederwahl von Hugo Chávez Frías wurden die Weichen für die Kontinuität des bolivarischen Prozesses gestellt. Strukturelle soziale und wirtschaftliche Veränderungen brauchen Zeit; um sie durchzusetzen, reicht eine einzelne Wahlperiode nicht aus. Sie bedürfen der Unterstützung der Bevölkerung, wobei nicht unbedingt der gleiche Akteur an der Macht bleiben muss. Die Verhältnisse in den einzelnen Ländern geben den jeweiligen Weg vor.

1. Die politischen Kräfte im Wettbewerb um die Wahlen 2013

Am 17. Februar 2013 stehen acht sehr unterschiedliche politische Organisationen zur Wahl.

Die erste ist die Bewegung Alianza PAÍS, die derzeit an der Macht ist. Sie ist das Ergebnis eines Zusammenschlusses verschiedener politischer Bewegungen und Kräfte im Jahr 2006, mit dem Ziel eines sozialen und wirtschaftlichen Wandels. Mit der Zeit hat diese Bewegung jedoch einige ihrer Mitglieder und Unterstützer*innen verloren, darunter die Gruppierung Ruptura 25, der Indigenendachverband CONAIE, Umweltschützer*innen und Persönlichkeiten wie Alberto Acosta, Diego Borja, Gustavo Darquea, Betty Amores und Gustavo Larrea. Rafael Correa ist Präsidentschaftskandidat von Alianza PAÍS und Jorge Glas ist von seinem Amt als Minister für strategische Sektoren zurückgetreten, um sich für die Vizepräsidentschaft zu bewerben. Seine Ernennung zum Kandidaten sorgte für negative Reaktionen innerhalb der Partei.

Die Partei Sociedad Patriótica (PSP) geht mit dem ehemaligen Staatspräsidenten Lucio Gutiérrez ins Rennen. Er präsentiert sich offiziell als Mitte-Links-Kandidat, hat jedoch die Indigenenbewegung und die sozialen Bewegungen, die ihn einst unterstützten, hintergangen und enttäuscht, und sich an der Macht als ein treuer Verbündeter der Vereinigten Staaten erwiesen. Gutiérrez wurde im April 2005 nach nur zwei Jahren Amtszeit als Präsident durch die Bewegung „los forajidos“ (1) abgesetzt.

Die Partei Renovador Institucional Acción Nacional, (PRIAN) wirbt mit dem Kandidaten Álvaro Noboa um die Präsidentschaft. Als Repräsentant der „Bananenoligarchie“ tritt Noboa bereits zum fünften Mal als Kandidat bei den Präsidentschaftswahlen an. Bei dem Sieg von Rafael Correa im Jahr 2006 erhielt er 23 Prozent der Stimmen. Seine Vizepräsidentschaftskandidatin ist zum zweiten Mal seine Ehefrau Anabella Azin.

Die Bewegung CREO vertritt eine neue, moderne, neoliberale Rechte und ähnelt damit in etwa der Orientierung von Henrique Capriles in Venezuela. Ihr Kandidat ist der Bankier und ehemalige Chef der Banco de Guayaquil Guillermo Lasso. Als Kandidaten für die Vizepräsidentschaft hatte Lasso den indigenen Politiker Auki Tituaña vorgesehen. Tituaña wurde daraufhin umgehend aus dem Indigenendachverband CONAIE ausgeschlossen. Später zog er seine Kandidatur zurück und wurde durch Juan Carlos Solines ersetzt, der einst der politischen Gruppierung Concertación Política von Cesar Montufar angehörte.

Das linke Bündnis Unidad Plurinacional de Izquierdas ist Ergebnis eines Zusammenschlusses von Bewegungen, die sich der Politik Correas widersetzen, darunter die Movimiento Popular Democrático (MPD) und Pachakutik. Pachakutik wurde 1996 von Indigenen und politischen Kräften gegründet; die MPD hatte jahrzehntelang einen wichtigen Einfluss an den Universitäten, in der Lehrergewerkschaft UNE und in der Studentenbewegung, wobei sie teilweise mit gewalttätigen Aktionen oder in anderen Fällen in opportunistischen Bündnissen auftrat. Dieser politische Zusammenschluss tritt als „neue Linke“ auf und kann auf die Unterstützung der Indigenenbewegung, der Umweltschützer und einzelner Intellektueller zählen, die von der aktuellen Politik enttäuscht sind. Momentan hat die MPD sowohl an den Universitäten als auch in der Lehrergewerkschaft UNE an Einfluss verloren. Präsidentschaftskandidat des Bündnisses ist Alberto Acosta. Der in Deutschland ausgebildete Ökonom war einst Vorsitzender der verfassunggebenden Nationalversammlung und Minister für Energie und Bergbau unter Präsident Rafael Correa.

Der Bruch mit Correa fand am Ende der Ausarbeitung des Verfassungstextes statt, als Alberto Acosta um mehr Zeit bat, um die neue Verfassung zu debattieren, was Correa zurückwies. Ihre größten Gegensätze zeigen sich jedoch bei unterschiedlichen Vorstellungen über das Entwicklungsmodell. Alberto Acosta ist ein anerkannter Wissenschaftler und Dozent an der Lateinamerikanischen Fakultät für Sozialwissenschaften FLASCO. Er traf die mutige Entscheidung, unter schwierigen Bedingungen erneut in die Politik zu gehen. Die Kandidatur für die Vizepräsidentschaft übernimmt Marcia Caicedo, eine Juristin afro-ecuadorianischer Abstammung (2) und ehemaliges Mitglied im Nationalen Wahlausschuss.

SUMA („Sociedad Unida Más Acción“) ist eine Bewegung mit ökologischer Ausrichtung und tritt mit den Kandidaten Mauricio Rodas und Inés Manzano für die Präsident- bzw. Vizepräsidentschaft an.

Die Gruppierung Ruptura 253 war Teil von Alianza País, bis sie sich als eigenständige Bewegung abspaltete. Sie wurde 2004 von Jugendlichen der Mittelklasse gegründet, brach mit Alianza País anlässlich des Referendums zur Verfassungsänderung und geht mit Norman Wray als Präsidentschaftskandidat und Ángela Mendoza als Vizepräsidentschaftskandidatin in den Wahlkampf.

Die Partei Roldosista Ecuatoriano (PRE) bezieht sich in ihrem Namen auf den ehemaligen sozialdemokratischen Präsidenten Roldós. Er kam 1981 bei einem vermeintlichen Flugzeugunglück ums Leben, das möglicherweise durch die CIA veranlasst wurde. Die Benennung von Expräsident Abdala Bucaram zum Präsidentschaftskandidaten von PRE musste zurückgezogen werden, da er sich aufgrund von Korruptionsvorwürfen ins Exil nach Panamá begab und seine Kandidatur vom Nationalen Wahlausschuss nicht genehmigt wurde. Ein neues Zweierteam wird zur Zeit noch gesucht(4).

In einer Wahlumfrage vom Oktober 2012, also vor der offiziellen Eröffnung des Wahlkampfes, zeigte sich die Hälfte der Befragten noch unentschlossen. Von den Übrigen sprachen sich 44 Prozent für Correa aus, 18 Prozent votierten für Lasso. Acosta und Gutiérrez erhielten je sieben Prozent. Für Noboa sprachen sich zwei Prozent der Befragten aus. Die Prozentzahlen der übrigen Kandidaten waren minimal. Wenn im ersten Wahldurchgang keiner der Kandidaten mehr als 50 Prozent erzielt, gibt es am 7. April eine Stichwahl.

2. Der politische Werdegang Rafael Correas

Rafael Correa wurde 1963 in Guayaquil geboren und war während seines Studiums an der Katholischen Universität Guayaquil Mitglied eines Studentenausschusses, der sich mit der kirchlichen Soziallehre auseinandersetzte. Nach seinem Abschluss verbrachte er ein Jahr zusammen mit salesianischen Missionaren in der indigenen Gemeinde Zumbagua in einer bergigen Region der Sierra Centro. Er absolvierte sein Masterstudium in Wirtschaft an der Katholischen Universität in Louvain-la-Neuve, Belgien, wo er Vorsitzender des Vereins ausländischer Studierender war und heiratete die Belgierin Anne Malherbe. An der Universität von Illinois in Madison promovierte er im Fach Wirtschaft und wurde Professor an der Universität San Francisco de Quito, einer elitären privaten Einrichtung.

Als Präsident Lucio Gutiérrez abgesetzt wurde, bat sein Nachfolger Alfredo Palacios Rafael Correa darum, das Amt des Finanzministers zu übernehmen. Innerhalb von drei Monaten leitete Correa wichtige Reformen ein, die sich der Politik der Weltbank und des IWF widersetzten, und kandidierte anschließend 2006 bei den Präsidentschaftswahlen. Zwar konnte er nicht auf eine politische Vergangenheit zurückblicken, doch schien er nach fast einem Jahrzehnt der Instabilität als die geeignete Person, um die Verhältnisse im Land zu korrigieren. Im zweiten Wahldurchgang besiegte Correa den Unternehmer Álvaro Noboa. Im Jahr 2007 erlangte Alianza País bei den Wahlen für die verfassunggebende Nationalversammlung 80 von 130 Sitzen. In der Volksbefragung über die Verabschiedung der neuen Verfassung 2008 bekam er die Zustimmung von 63 Prozent der Wählerinnen und Wähler. Rafael Correa trat 2009 erneut bei den Präsidentschaftswahlen an und wurde mit 51,99 Prozent der Stimmen wiedergewählt. Eine Polizeirevolte mit Zügen eines Staatsstreiches im September 2010 kostete ihm fast das Leben. Im Jahr 2011 ergab eine Volksabstimmung über insgesamt zehn Themen, von einer verpflichtenden Sozialversicherung über tief greifenden Justizreformen, bis hin zum Verbot der Stierkämpfe, unterschiedliche Ergebnisse in den einzelnen Regionen. Letztendlich gewann Correa mit sehr knapper Mehrheit.

Rafael Correa verweist darauf, dass der Impuls zur „Bürgerrevolution“ (revolución ciudadana) von Eloy Alfaro (5) kommt, der zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine liberale Revolution vorangetrieben hatte, und deshalb von reaktionären Kräften ermordet wurde (6). Seiner politischen Vorstellung nach muss nach einer neoliberalen Epoche nun der Staat wiederhergestellt und der Bürgersinn wieder hergestellt werden. Correa spricht mutige, klare Worte und zeigt eine intensive Präsenz in Zeitung und Fernsehen. Jeden Samstag gibt er Auskunft über seine Arbeit unter der Woche. Um seine politischen Ziele zu erreichen, musste er eine Reihe von Reformen anstoßen. Das korrupte Gerichtswesen benötigte tief greifende Reformen. Correa bat den Richter Baltazar Garzón um Unterstützung bei der Bewertung dieses Reformprozesses. Seine Kritiker nahmen dies zum Anlass, ihm vorzuwerfen, mit der Justizreform das Gerichtswesen kontrollieren zu wollen.

Bei der Grund- und Weiterbildung gab es wichtige quantitative Fortschritte, wenn auch – zum Teil aufgrund der Reformen selbst – unter qualitativen Gesichtspunkten noch viele Mängel bestehen. Die Anzahl der Studenten ist auf mehr als 200.000 stark angestiegen, es existieren 49 Fakultäten für Rechtswissenschaften und 60.000 Richter, und auch in diesem Sektor mangelt es nicht an Korruption. Die Bildungsreform orientierte sich am Bologna-Prozess, das heißt, an technokratischen Gesichtspunkten und Regeln der wirtschaftlichen Effizienz, was in den universitären Medien kritisiert wurde. Die Auffassung eines zentralisierten Staates führte zudem zur Reintegration der bis dato autonomen Behörde für Interkulturelle Zweisprachige Erziehung (Kichwa und Spanisch) ins Bildungsministerium.

Ziel der Steuerreform war es, die Reichsten zur Kasse zu bitten, die wie in den meisten Ländern Lateinamerikas keine oder im besten Fall nur sehr wenig Steuern zahlten. Angesichts dieser neuen Finanzpolitik verdoppelten sich die Staatseinnahmen. Dank der guten wirtschaftlichen Lage des Landes und des Kontinents im Allgemeinen, die vor allem auf die gestiegenen Preise für Rohstoffe und landwirtschaftliche Exportprodukte zurückzuführen ist, fielen die Reaktionen auf die Steuererhöhungen in den reichen Sektoren moderat aus. Der Anstieg der Weltmarktpreise führte zu einer beträchtlichen Gewinnsteigerung des traditionellen Exportsektors (Bananen, Kakao, Kaffee), der Banken, der großen Firmen, wovon indirekt auch die lokale Industrie profitierte, die sich noch in einem Aufbauprozess befindet.

Die Neuerungen im Mediengesetz lösten eine große Debatte aus. In vielen Ländern, nicht nur in Lateinamerika, befinden sich Presse und Fernsehen in den Händen des Finanz- oder Wirtschaftskapitals und werden dennoch als „freie und unabhängige Berichterstattung“ bezeichnet. Die neuen Bestimmungen in Ecuador sehen vor, dass eine wirtschaftliche, finanzielle oder produktive Institution nicht Eigentümer von Medien sein kann. Damit soll die Pressefreiheit wiederhergestellt werden. Doch die Art und Weise, in der Rafael Correa in einem persönlichen Fall gegen die so genannte korrupte Presse vorgegangen ist, hatte skandalöse Auswirkungen.

Während des Gerichtsprozesses verlangte er eine Entschädigung in Höhe von 80 Millionen Dollar wegen Verleumdungen durch die Tageszeitung El Universo und je eine Millionen Dollar von zwei Journalisten, die in ihrem Buch „El Gran Hermano“ die Geschäfte seines Bruders mit öffentlichen Unternehmen kritisiert hatten. Das Gericht verurteilte die Tageszeitung, begrenzte jedoch die Schadensersatzzahlung auf 40 Millionen Dollar, und bestätigte ebenso die Geldstrafe der Journalisten. Das führte zu scharfen internationalen Reaktionen, und eine an sich gerechtfertigte Maßnahme verwandelte sich in eine mediale Katastrophe, in die schließlich auch einige ehemalige Staatschefs (Clinton, Cardoso) eingriffen. Präsident Correa begnadigte die Beschuldigten. Wenn er eine geringere Wiedergutmachung verlangt hätte, wäre die Sache anders verlaufen.

Rafael Correa machte immer wieder deutlich, dass das größte Problem Ecuadors die Armut sei und führte viele Maßnahmen zu ihrer Bekämpfung ein. Die Steuererhöhungen ermöglichten es dem Staat, einen besseren Zugang zu Gesundheit und Bildung zu gewährleisten. Der Mindestlohn wurde angehoben und der Zinssatz von 24/25 Prozent auf 8/9 Prozent gesenkt (7). 1.200.000 bedürftige Personen erhalten monatlich Zahlungen im Wert von 35 Dollar. Obgleich dieses Programm angesichts des wirklichen Ausmaßes von Armut keine endgültige Lösung ist, ist es in Extremfällen dennoch angebracht. Es entspricht einer Logik der Fürsorge, die in Notfallsituationen zu leisten ist, die die Betroffenen jedoch nicht zu gesellschaftlichen Akteuren macht, sondern zu Bittstellern des Staates.

Die Ankündigung von Präsidentschaftskandidat Guillermo Lasso, im Falle eines Wahlsiegs diese monatlichen Zahlungen auf 50 Dollar anzuheben, konterte Rafael Correa mit einer Erhöhung der monatlichen Überweisungen auf 50 Dollar ab dem 1. Januar 2013. Um diese Zusatzleistung zu bezahlen, brachte er per Eilantrag einen Gesetzentwurf ins Parlament ein, der landesweit die Körperschaftssteuer auf 23 Prozent angleichen sollte, da für die Banken bislang nur ein Steuersatz von 15 Prozent galt. Während Correas Präsidentschaft ist die Armut insgesamt gesunken, jedoch nur wenig unter der indigenen Bevölkerung. Dank der internationalen Konjunktur und gezielter Regierungspolitik ist für das Jahr 2013 ein Wachstum des BIP von 5,4 Prozent und eine Arbeitslosenquote von unter fünf Prozent vorausgesagt.

Vizepräsident Lenin Moreno rief sehr erfolgreiche Programme zur Unterstützung von Menschen mit Behinderungen ins Leben, zu denen er selbst zählt. Seine Arbeit wird von der gesamten ecuadorianischen Bevölkerung sehr geschätzt und erlangte auch international Anerkennung. Er wird 2013 nicht mehr an der Seite Correas antreten, sondern seine Tätigkeit in internationalen Gremien fortführen.

3. Ressourcen und „Gutes Leben“

Ein erheblicher Anteil der Staatseinnahmen basiert auf Rohstoffen, insbesondere auf Erdöl. Doch diese in den letzten Jahren zentrale Einnahmequelle wird nicht ewig anhalten. Die Erdölförderung ist in Ecuador gerade auf ihrem Maximum und wird innerhalb von 20 Jahren erschöpft sein. Mit diesem Bewusstsein kümmerte sich Correa um Ersatz und fand ihn im Bergbau. Es handelt sich dabei um Tagebau, der notwendig ist, um die immer knapperen Reserven an Mineralien erschließen zu können, der jedoch ökologische und soziale Folgeschäden mit sich bringt. Das Parlament verabschiedete ein „Minengesetz“, das multinationalen Firmen die Erlaubnis zum Bergbau gibt und dafür genaue Bedingungen stellt. Die Regierung beauftragte das Militär, Stätten des Kleinbergbaus zu zerstören, in denen unter katastrophalen ökologischen und sozialen Bedingungen gearbeitet wurde.

Angesichts des Widerstandes gegen die Bergbaulizenz ausländischer Firmen wurde das Anti-Terror-Gesetz (8) verabschiedet; mehrere indigene Führungspersönlichkeiten wurden verhaftet und inhaftiert. Correa vertritt die Meinung, dass Ecuador nicht wie ein Bettler auf einem Sack voll Gold sitzen bleiben kann. Die vorhandenen Ressourcen seien notwendig, um die Armut zu bekämpfen und moderne Technologien ermöglichen einen umweltschonenderen Abbau: „Wenn wir die natürlichen Rohstoffe schonend abbauen, kann davon auch die Umwelt profitieren“ (9). Laut Correa gibt es viele andere Gründe für die Zerstörung der Umwelt, wie etwa die Waldrodungen aufgrund des Energiemangels oder die Verschmutzung des Flusses Machángara durch die Abwässer der Hauptstadt Quito. Die Ressourcen der Minen können wiederum eine Lösung für diese Probleme bieten. „Es ist verrückt“, bekräftigt Correa, „Nein zum Abbau der natürlichen Rohstoffe zu sagen, wie es ein Teil der Linken tut… Diese Linke ist infantil und legitimiert durch diese Haltung nur die Rechte“ (10).

Doch die Kleinbauern und Indigenen, die in Bergbaugebieten leben, fürchten die Konsequenzen: Wassermangel, Umweltverschmutzung, riesige Mengen an Abfällen, die Vertreibung ganzer Dörfer. In mehreren Fällen haben sie sich bereits den Erkundungen durch Straßensperren widersetzt. Das Minengesetz sieht seinerseits Entschädigungen für die Gemeinden und ihre Beteiligung an den Einnahmen durch Lizenzgebühren für den Abbau vor. Einige Indigene befürworten daher den Bergbau, was zu Spaltungen in den Gemeinden führt. In den kommenden Monaten sind wie in ganz Lateinamerika von Mexiko bis Patagonien Konflikte zu erwarten. Die Erfahrung in anderen Ländern bei anderen Konflikten (Philippinen, Kongo, usw.) zeigt, dass die Bergbaukonzerne die lokalen Gesetze nicht einhalten, sondern ihre enorme technische, finanzielle und politische Macht nutzen, um sich den nationalen Vorschriften zu entziehen.

Gleichzeitig kämpft Rafael Correa weiterhin für die Nicht-Nutzung der Erdölbestände im Yasuní-Nationalpark. In dieser Region, in der eine hohe Biodiversität herrscht und die von indigenen Völkern bewohnt wird, befinden sich wichtige Erdölbestände. Als Alberto Acosta noch Minister für Energie und Bergbau war, verteidigte er diese Idee, die darauf basiert, dass sich die internationale Gemeinschaft in Höhe der Hälfte des bei einer Förderung des dort vorhandenen Rohöls zu erwartenden Gewinnes beteiligt. Das ist verständlicherweise eine harte und noch nicht gewonnene Schlacht. Für den Fall des Scheiterns existiert bereits ein Plan B zur Erdölförderung.

Ein beständiges Element der Regierungspolitik ist Sumal Kawsay (Buen Vivir) (11). Dieses Konzept wurde als Staatsziel in der Verfassung verankert und findet Berücksichtigung im nationalen Entwicklungsplan. Auch Präsident Correa bezieht sich regelmäßig auf das „Buen Vivir“. Oft scheinen jedoch die Projekte, die unter dem Prinzip des „Buen Vivir“ angepriesen werden, seinem eigentlichen Inhalt zu widersprechen: So wird zum Beispiel der Bau einer neuen Straße als ein Beitrag zum „Buen Vivir“ bezeichnet. Im Ganzen scheint das ursprüngliche Konzept somit zu einem Slogan im Dienste der Politik degradiert zu sein.

Es ist wichtig, sich näher mit dem Entwicklungsmodell auseinander zu setzen, das Präsident Correa für die Modernisierung des Landes vertritt. Es enthält verschiedene Punkte: Ein grundlegendes Element ist der Bau eines neuen Straßennetzes, was im bergigen Ecuador wirklich eindrucksvoll ist. Die Überführung des Kleinbergbaus in industriellen Bergbau soll den Wohlstand im Land vergrößern. Durch Biosprit aus Monokulturen und den Bau wichtiger Staudämme könne eine Loslösung vom Erdöl stattfinden und die Verwendung von Gentechnologie soll für eine Produktivitätssteigerung in der Landwirtschaft sorgen. Da die Verwendung von Gentechnologie laut Verfassung derzeit verboten ist, sieht der Präsident eine Verfassungsänderung vor. Mit der Stadt des Wissens „Yachay“ (kitchwa: Weisheit) wurde eine Universität konzipiert, in der Fachkräfte in Spitzentechnologien ausgebildet werden. Diese Auffassung von Entwicklung ist alles in allem sehr technokratisch und berücksichtigt kaum die externen Kosten: die entstehenden Folgeschäden für Umwelt und Kultur. Kleinbäuerliche Landwirtschaft beispielsweise spielt in diesem Modell keine Rolle und die kulturelle Förderung besteht lediglich aus der Wahrung des kulturellen Erbes, was zwar sehr effizient und nützlich ist, um ein kulturelles Gedächtnis zu bilden, aber nur einen Teil von Kultur darstellt.

In Correas Ausführungen ist der Sozialismus des 21. Jahrhunderts die Definition des Modells, für das er eintritt: Die Modernisierung des Landes kombiniert mit Verantwortung für soziale Gerechtigkeit. Diese Modernisierung durchläuft mehrere Stadien und hat laut Correa gerade erst begonnen. Doch es gab bislang noch keine Abkehr vom Kapitalismus. „Das Modell der Kapitalakkumulation wurde nicht ersetzt“, bestätigt Präsident Correa. Um die nächsten notwendigen Schritte zu unternehmen, bittet er um eine weitere Amtszeit. Es stellt sich jedoch die Frage, ob sein Modell auf lange Sicht wirklich die Suche nach einem neuen postkapitalistischen Paradigma, oder nur die Anpassung des bestehenden Systems an neue Anforderungen darstellt. Postneoliberal ist sein Konzept sicher, doch ob es wenigstens auf lange Sicht auch postkapitalistisch ist, lässt sich zu diesem Zeitpunkt noch nicht sagen.

Aus diesem Grund entstanden mehrere Konflikte, sowohl mit einer Rechten, die ihre Privilegien nicht aufgeben will, als auch mit der Indigenenbewegung, den Umweltschützer*innen und einigen Intellektuellen, die vom Präsidenten als infantil bezeichnet werden. Von Anfang an hat Rafael Correa die Indigenen nur als Bürger*innen, Kleinbauern oder Arme wahrgenommen, und nicht als ein Volk. Die Verfassung definiert allerdings, dass Ecuador ein plurinationaler Staat ist. Dies ist Ausgangspunkt eines tiefen Konfliktes, der in einem Bruch von Correa und dem Indigenendachverband CONAIE endete. Die Indigenen, die in etwa 30 Prozent der Bevölkerung ausmachen, sind politisch gespalten. Die Regierung macht sich diese Spaltung zu Nutze, und so hat die Indigenenbewegung ihre ursprüngliche Kraft verloren. Einige radikale Untergruppen erschweren zudem die Aufgaben des CONAIE. Die von Regierungsseite aus offiziell propagierte Interkulturalität gleicht mehr der Integration Aller in eine nicht in Frage gestellte klassische Moderne, als einem gleichberechtigten kulturellen Dialog.

Auch das Thema Umweltschutz, das mit der Idee der „Rechte der Natur“ in die Verfassung aufgenommen wurde, ist eine Konfliktquelle, besonders in den Bereichen Bergbau und Wasser. Wenn die Bewahrung von Mutter Erde heute ein lebenswichtiges Prinzip sein soll, wie es auch im öffentlichen Diskurs dargestellt wird (man muss sich nur auf die Rede von Präsident Correa bei der Rio+20-Konferenz beziehen), muss festgestellt werden, dass die Praxis dem nicht gerecht wird. Auch die Argumente der Umweltschützer*innen sind nicht immer überzeugend und bleiben manchmal in dem stecken, was abwertend als „Pachamamismus“ bezeichnet wird. Doch das Thema ist zu wichtig, als dass man es ignorieren könnte, besonders in einer Politik, die sich als modern bezeichnet und einen Paradigmenwechsel für sich in Anspruch nimmt.

Neben diesen grundlegenden Problemen gibt es auch sekundäre Konflikte, wie zum Beispiel die zahlreichen Parteiaustritte aus Alianza País, was es in der nächsten Legislaturperiode erschwert, eine Mehrheit zu erreichen. Der Stil des Präsidenten, der als energischer Mann in alle Details des politischen Lebens eingreift, ist auch Gegenstand der Kritik, insbesondere, wenn er seine Gegner oder Rivalen beschimpft.

Mehr Zustimmung bekommt Correa für seine Außenpolitik. Er hat sich stark gegenüber den Vereinigten Staaten gezeigt und das Abkommen für den Erhalt der Militärbasis in Manta nicht erneuert, alle Militärs von der der School of the Americas zurückgezogen und nach den Enthüllungen von Wikileaks den US-Botschafter des Landes verwiesen. Ebenso übte er scharfe Kritik gegenüber Weltbank und IWF und verurteilte den Ausschluss Kubas aus der Organisation Amerikanischer Staaten. Er führte Neuverhandlungen über die Auslandsverschuldung durch, was dem Land mehrere Millionen Dollar ersparte und hat sich bislang der Arroganz Europas bei den Verhandlungen um ein Freihandelsabkommen entgegengesetzt. Er hat die lateinamerikanische Integration von UNASUR, ALBA und CELAC mit wichtigen Impulsen vorangetrieben und bei der Einführung der regionalen Währung Sucre mitgewirkt. Er gewährte Assange politisches Asyl. Auf dem Iberoamerikanischen Gipfel in Cádiz erklärte er deutlich seine Ablehnung gegenüber der prozyklischen europäischen Krisenpolitik und verurteilte die Angriffe Israels auf Gaza.

4. Ein Blick in die Zukunft

Bevor man über die Zukunft spricht, muss man das politische Programm Correas in den Kontext einordnen. Als erstes fällt auf, dass sich die Klassenstruktur und die sozialen Unterschiede nicht wesentlich verändert haben. Einerseits ist das verständlich, denn solch ein Wandel ist eine mittel- oder langfristige Angelegenheit. Andererseits hatte der Prozess selbst widersprüchliche Konsequenzen: Durch die weltweit günstige Konjunktur hat sich eine moderne Bourgeoisie gebildet, der sich auch ein Teil der traditionellen Oberschicht angeschlossen hat. Doch auch wenn diese Klasse in den letzten Jahren einige Vorteile hatte, fürchtet sie die Zukunft, denn es ist nicht sicher, ob der Sozialismus des 21. Jahrhunderts nur ein sozialdemokratisches Konzept bleibt, womit sie leben könnten, oder tatsächlich umgesetzt wird.

Ein spürbares Resultat der Weltkonjunktur wie auch der nationalen Politik ist die wachsende Mittelschicht (12). Laut einem Bericht der Weltbank (13) umfasst die Mittelschicht 34 Prozent der ecuadorianischen Bevölkerung, im Vergleich zu 30 Prozent auf dem lateinamerikanischen Kontinent. Dieses Phänomen ist in erster Linie der Verbesserung der Sozialversicherung zuzuschreiben. Die Mittelschicht ist heterogen und bildet sich überwiegend im Dienstleistungssektor. Sie hat Konsumbedürfnisse, die vor allem mit dem Import ausländischer Waren gedeckt werden. So wird ein Großteil der Erträge aus dem Export (Öl, Landwirtschaftliche Produkte) geschluckt, und der Beitrag zur wirtschaftlichen Entwicklung des Landes ist gering. Politisch ist die Mittelschicht zerstritten. Eine Minderheit sympathisiert mit den alten traditionellen Parteien, diejenigen, die in den letzten Jahren aufgestiegen sind, favorisieren Correa und ein weiterer Teil sorgt sich aufgrund der Steuerpolitik um die Zukunft. Die Gewerkschaften für Beschäftigte im öffentlichen Dienst (Lehrer, Regierung) lehnen Correas Politik gewöhnlich ab, ihre Betrachtungsweise ist reflektierter. Momentan bilden sie jedoch eine Minderheit, da die Regierung die Bildung von regierungsfreundlichen Gewerkschaften begünstigt hat. Trotz alledem ist zu erwarten, dass insgesamt der Großteil der Mittelschicht bei den Wahlen 2013 für Correa stimmen wird.

Die unteren Klassen, die urbane und ländliche Arbeiterschaft, Kleinbauern und Mitglieder indigener Gemeinden (14), haben die Hoffnung, dass das politische Programm von Rafael Correa ihr Schicksal weiter verbessern wird, so wie es ihnen die monatliche Unterstützung erlaubt, der schlimmsten Armut zu entkommen. Ein Teil der Indigenen stimmt Correa also zu, während die Indigenenbewegung aufgrund des geringen Respekts gegenüber ihrer Identität und ihrer kollektiven Rechte insgesamt oppositionell eingestellt ist. Das Nachlassen der Indigenenbewegung kann so teilweise erklärt werden, wobei sicherlich auch die Teilhabe einiger Indigener an der modernen Bourgeoisie und der Aufstieg anderer in die Mittelschicht beeinflussende Faktoren sind. Das Abstimmungsverhalten der indigenen Bevölkerung wird somit sehr inhomogen sein. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Correa die Stimmen des nicht organisierten Volkes gewinnen wird, aber nicht die des organisierten Volkes. Da dies jedoch geschrumpft ist und die Regierung mit verschiedenen Mitteln versucht, ihre Macht auszuweiten und Organisationen zu marginalisieren, wird ihr Stimmgewicht nicht entscheidend sein.

Wie bereits erwähnt geht – auch wenn der öffentliche Diskurs etwas anderes sagt – das Programm von Alianza País nicht über das klassische Modernisierungsmodell hinaus, das sowohl den Kapitalismus als auch den „real existierenden Sozialismus“ (der, wie es Maurice Godelier sagt, das Laufen mit den Beinen des Kapitalismus lernen musste) charakterisiert hat. Darauf haben Umweltschützer*innen, Indigene mit größerem politischen und sozialen Bewusstsein und einige Intellektuelle reagiert. Doch sie sind in der Minderheit, und ihr politischer Einfluss ist begrenzt.

Die politische Vereinigung der „Neuen Linken“ ist sehr heterogen. Es ist schwer zu sagen, ob sie eine alternative Lösung bieten kann und ihr Wahlsieg ist ausgeschlossen. Man kann sich fragen, ob es für eine Bewegung wie CONAIE eine kluge Entscheidung war, diesem Bündnis beizutreten. Sie läuft Gefahr, sehr viel Energie und Glaubwürdigkeit in einem Wahlkampf einzubüßen, der von vornherein verloren war, anstatt sich als soziale Bewegung durchzusetzen und auf mittel- und langfristige Sicht eine Ära nach Correa vorzubereiten. Dieses neue Projekt müsste einen Paradigmenwechsel hervorrufen, der nötig ist, um den Planeten und die Menschheit zu retten, und dabei die Errungenschaften von Correas Politik, aber auch ihre Grenzen (insbesondere seine Auffassung von Entwicklung) und Fehler berücksichtigen. Das Argument, dass der Wahlkampf eine geeignete Plattform sein kann, um der Öffentlichkeit neue Ideen zu präsentieren, ist unglaubwürdig, wenn man bedenkt, wie polarisiert das politische Leben in Ecuador momentan ist.

Wenn nicht außergewöhnliche Umstände eintreten, wird Präsident Correa am 17. Februar die Wahlen im ersten Wahldurchgang für sich entscheiden, denn er kann sich auf eine wichtige soziale Basis und den Staatsapparat stützen. Wenn es am 7. April zur Stichwahl kommt, wird diese nicht zwischen Correa und der neuen Linken, sondern Correa und der modernen Rechten ausgemacht.

François Houtart ist katholischer Priester und marxistischer Soziologe. Er ist langjähriger Aktivist des Weltsozialforums und berät die NGO Centre tricontinental (CETRI). Der Text erschien am 26. Dezember 2012.

1. los forajidos, (spanisch „die Gesetzlosen“): Lucio Gutiérrez bezeichnete so seine Gegner*innen, die diese Bezeichnung aufgriffen. 2. Ca. sieben Prozent der Bevölkerung Ecuadors sind Afroecuadorianer*innen, die mehrheitlich an der Pazifikküste leben. In den letzten Jahren hat diese Bevölkerungsgruppe an Führungskraft und Dynamik gewonnen, um sich in der ecuadorianischen Gesellschaft eine Stimme zu geben. 3. Die Zahl im Namen bezieht sich auf: 25 Jahre nachdem die Demokratie in Ecuador wieder einzog. 4. Inzwischen stellte die Partei den evangelischen Pastor Nelson Zavala als Spitzenkandidaten auf. Nach homophoben Äußerungen ermahnte der Nationale Wahlrat Nelson Zavala, die Würde aller Ecuadorianerinnen und Ecuadorianer zu respektieren. (Red.) 5. New Left Review, 77, Sept.-Okt. 2012, 90. 6. Eloy Alfaro bekämpfte die am Ende des 19. Jahrhunderts noch fast intakten kolonialen Strukturen. 7. Ibidem, 91. 8. Das Strafgesetzbuch mit dem Anti-Terror Paragraphen stammt aus dem Jahr 1938. Die Regierung legte dem Parlament im Oktober 2011 ein komplett überarbeitetes Strafgesetzbuch vor, in dem der entsprechenden Paragraph (Art. 160-A) abgeschafft ist. Die Opposition (MPD, Pachakutik, Ruptura, etc.) blockiert seither die Verabschiedung des neuen Strafgesetzbuches, da die Regierung über keine Mehrheit im Parlament verfügt. (Red.) 9. Ibidem, 96. 10. Ibidem, 95. 11. Ein indigendes Konzept, dass die Harmonie zwischen Mensch und Natur (pachamama), die Harmonie innerhalb einer Gemeinde und zwischen Gemeinden, und die Harmonie mit sich selbst beinhaltet. 12. Eine nicht eindeutige Auffassung, da sie auf der Angabe von Einkünften und nicht auf den Produktionsverhältnissen basiert. 13. La Movilidad económica y el crecimiento de la clase media en América latina. Panorama general, Banco Mundial, 12.11.12. 14. Bestimmte indigene Gemeinden im Amazonas haben die monatliche Unterstützung abgelehnt, da ihre Lebensart dem Gebrauch von Geld keinen Wert beimisst.

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