Das Warten auf den Frieden

von Marina González

(Montevideo, 04. Januar 2012, la diaria).- Vor über 15 Jahren ging der Bürgerkrieg in Guatemala mit dem Abschluss der Friedensverträge zu Ende. Die Verträge setzen sich aus verschiedenen Vereinbarungen zusammen, die nicht nur deshalb getroffen wurden, um die seit 1960 andauernden Auseinandersetzungen zu beenden, sondern auch,

um die Ursachen des Konflikts zu bekämpfen. In mehreren Grundsatzerklärungen zum Jahrestag Ende Dezember wurde jedoch deutlich, dass viele der Vereinbarungen bis heute nicht erfüllt worden sind.

Ursachen des Konflikts existieren noch immer

„Eines der Friedensabkommen ist nicht eingelöst worden, und zwar das der sozialen Einigung. Die Ursachen des bewaffneten Konflikts bestehen auch heute noch“, so der (Ende Dezember noch amtierende) guatemaltekische Präsident Álvaro Colom auf einem Festakt im Patio de la Paz, dem Innenhof des ehemaligen Regierungspalasts. In dem heutigen Kunst- und Kulturzentrum von Guatemala-Stadt fanden die Feierlichkeiten zum Jahrestag der Unterzeichnung des letzten Friedensvertrages vom 29. Dezember 1996 statt.

Das erste Dokument des Abkommens wurde im August 1987 unterzeichnet und bestimmte eine Komission zur Überwachung des Friedensprozesses. Die beiden letzten Verträge bestehen in einem „Abkommen für einen stabilen und dauerhaften Frieden“ sowie einem Zeitplan, der die nötigen Schritte festlegte, um die 20 Vereinbarungen und Ziele im Laufe der Jahre umzusetzen.

Das Wechseln der Rose: ein Zeichen des Friedens

„Jeden Tag gedenken wir dem Wechseln der Rose, einer Tradition im Namen des Friedens, die uns daran erinnert, dass jeder Bürger Guatemalas in jedem Teil des Landes ein Botschafter des Friedens ist“, heißt es in einem Reiseführer der mexikanischen Tageszeitung Milenio aus dem Jahr 2010.

Die Bevölkerung Guatemalas litt mehr als 36 Jahre unter dem Bürgerkrieg, der kein Ende nehmen wollte. Laut einem 1999 veröffentlichten UN-Bericht forderte der Konflikt mehr als 200.000 Tote und weitere 45.000 Verschwundene, so die guatemaltekische Kommission zur geschichtlichen Aufklärung (Comisión para el Esclarecimiento Histórico) in ihrem Bericht Memoria del Silencio.

Mit der Unterzeichung des letzten Friedensvertrages im Jahr 1996 wurden die Auseinandersetzungen beendet, in denen sich die Feindlinien des Kalten Krieges widerspiegelten: Die linken Guerilla-Kämpfer*innen wurden von der Sowjetunion und Kuba unterstützt; das Militär und die Paramilitärs von den USA.

In einer symbolischen Zeremonie – dem Wechseln der Rose – feiern die Menschen Guatemalas seitdem jeden Tag den Frieden. Jeder Guatemalteke und jede Guatemaltekin darf an der Zeremonie teilnehmen und wird zu einem Botschafter oder einer Botschafterin des Friedens – mit dem Auftrag, diesen zu verteidigen. Alles was diese Person tun muss, ist zum ehemaligen Regierierungspalast zu gehen und eine weiße Rose in eine Skulptur zu legen, die die Hoffnung des Volkes symbolisiert.

Colom als Botschafter des Friedens

An jedem 29. eines Monats wird die Zeremonie von Politiker*innen, Vertreter*innen bestimmter Einrichtungen oder der Zivilgesellschaft durchgeführt. Einmal im Jahr wird die Zeremonie größer gefeiert und besonders betont. So auch am 29. Dezember vergangenen Jahres, als der Präsident Colom in weißem Anzug – wie es der Tradition entspricht – die Rose wechselte. Das Friedensministerium Sepaz (Secretaría de la Paz) ernannte Colom zum Protagonisten dieses Tages und würdigte damit seinen Beitrag zur Schaffung der „Voraussetzungen für den Dialog“ und seine Arbeit in den 1990er Jahren als Direktor des Nationalen Friedensfonds. Damals kümmerte er sich um die Opfer des bewaffneten Konflikts.

Während seiner Rede würdigte Colom die Arbeit der Anführer*innen jener Dörfer, die am stärksten von dem Konflikt betroffen waren. Er kündigte an, dass dieses Jahr sein Buch „Ixcán grande, Paz grande“ veröffentlicht werde, in dem er von seinen Erlebnissen in jenen Gemeinden in den Jahren 1991 bis 1997 berichtet. Colom beendete sein Mandat als Präsident Guatemalas am 14. Januar.

„Die Ursachen sind immer noch da. Es wurden nicht genügend Fortschritte gemacht, um in Guatemala in Frieden und Versöhnung leben zu können“, so der sozialdemokratische Präsident bei seiner Nominierung als Botschafter der Friedensverträge.

Kritik an der Regierung

Mario Itzep, Vorsitzender des landesweiten Dachverbandes der Maya-Jugendorganisationen RENOJ (Red Nacional de Organizaciones Jóvenes Mayas), erklärte hingegen am gleichen Tag auf einer Pressekonferenz, dass die Regierung Coloms eine der beiden Regierungen sei, die seit 1996 die geringsten Forschritte bei der Umsetzung der Friedensabkommen verzeichnet habe. Außerdem kritisierte er Colom mit der Überlegung, dieser hätte „das Gesicht der indigenen Völker nur benutzt“ und bezeichnete es als schlechten Scherz, dass Colom für das Wechseln der Rose auserwählt wurde.

Kaum Fortschritte bei Umsetzung der Friedensverträge

Der Präsident des Ökumenischen Rates, Vitalino Similox, der eine weitere Zeremonie sowie Gebete für den Frieden leitete, beschrieb es als „unethisch“, dass jedes Jahr die Unterzeichnung der Friedensverträge gefeiert werden würde, obwohl das Land keine wirklichen Forschritte verzeichne. Der Priester bezog sich dabei auf die hohe Korruption in Guatemala und kritisierte die hohe Ernährungsunsicherheit.

Währenddessen demonstrierte die Gewerkschaft für das Gesundheitswesen vor der Casa Presidencial, dem Amtssitz des Präsidenten und machte darauf aufmerksam, dass es ohne eine gute Gesundheitsversorgung und andere staatliche Dienstleistungen keinen Frieden geben könne. Luis Lara, der Leiter der Nationalen Gewerkschaft für die Arbeiter*innen des Gesundheitswesen (Sindicato Nacional de Trabajadores de Salud) betonte: „15 Jahre nachdem in Guatemala Frieden geschlossen wurde, haben wir die Situation analysiert und sind tief beunruhigt: Die Armut hat 2011 zugenommen, die Arbeitslosigkeit in Guatemala ist höher als in allen anderen zentralamerikanischen Ländern und der Lohn ist einer der beschämensten“.

Ziele der Friedensabkommen

An dem Verhandlungsprozess, der vor 15 Jahren seinen Höhepunkt fand, waren sowohl Armeeangehörige – wie etwa der neu gewählte Präsident und pensionierte General der politischen Rechten Otto Pérez Molina -, als auch die Regierung sowie die Nationale Revolutionäre Einheit Guatemalas URNG (Unidad Revolucionaria Nacional Guatemalteca) beteiligt. In der URNG vereinigten sich 1982 die verschiedenen Guerillas des Landes. Ziel der Verhandlungen war es nicht nur, Frieden zu schaffen, sondern auch, den Staat zu modernisieren, das demokratische System zu stärken und die strukturellen, politischen und wirtschaftlichen Ursachen zu bekämpfen, die zum Aufstand der Guerilla-Organisationen geführt hatten.

Neue Regierung will Fokus auf Umsetzung der Abkommen legen

Pérez Molina, der als Repräsentant des Militärs die Friedensverträge unterzeichnet hatte, nahm nicht an der offiziellen Zeremonie teil. Anlässlich des Jahrestages kündigte er jedoch an, er werde während seiner Amtszeit versuchen, „den Fokus erneut auf die Abkommen zu legen, die auch 15 Jahre später noch nicht umgesetzt worden sind“. Er gestand jedoch, dass es sich dabei um eine „schwierige und komplexe Aufgabe“ handle, da diese Abkommen „sehr zahlreich“ seien.

Die Nachrichtenagentur AFP zitierte offizielle Quellen, demnach 54 Prozent der 14,3 Millionen Einwohner*innen Guatemalas in Armut leben, wobei diese Zahl unter der indigenen Bevölkerung auf bis zu 80 Prozent steigt. Der Anteil der Indígenas an der Gesamtbevölkerung liegt bei 42 Prozent.

„Die Abkommen mit den größten Möglichkeiten sind noch immer nicht erfüllt worden. Die Abkommen über die Rechte der indigenen Völker, die Stärkung der Zivilgesellschaft und sozioökonomische Aspekte sind auch nach 15 Jahren noch im Rückstand“, fügte Pérez Molina hinzu. Er hoffe, diese Aspekte, die noch nicht umgesetzt wurden, erneut anzugehen und sich dabei auf die grundsätzlichen Abkommen und Verpflichtungen zu konzentrieren.

Mangel an finanziellen Mitteln

Verschiedene soziale Akteure weisen darauf hin, dass es den Institutionen der Mitgestaltung, die als Ergebnis der Verträge geschaffen wurden, an finanziellen Mitteln fehle. Zu diesen Institutionen zählen unter anderem die Sepaz, die Kommission gegen Diskriminierung und Rassismus (Comisión contra la Discriminación y el Racismo) und die Behörde zur Verteidigung indigener Frauen (Defensoría de la Mujer Indígena). Die Regierung rechtfertigt sich damit, dass die Mittel fehlten, um sie an diese Institutionen weiterleiten zu können. Einige Sektoren kritisieren jedoch, dass ethnische Aspekte nicht zu den politischen Angelegenheiten ersten Ranges zählen würden.

Rechtliches Gewirr um öffentlichen Fernsehkanal

Ein Beispiel der Konflikte ist in diesem Zusammenhang das rechtliche Gewirr, in das der öffentliche Fernsehsender Canal 5 verwickelt ist. Gemäß einem der Friedensverträge sollte er die ethnische Vielfalt Guatemalas sichtbar machen. Seit 2003 ist Canal 5 in Händen von TV Maya, einer Einrichtung der Akademie für Maya-Sprachen ALMG (Academia de Lenguas Mayas de Guatemala), der die Leitung der Programmgestaltung übertragen wurde.

„Illegaler“ Antrag des Präsidenten Colom

Präsident Colom hatte vergangenen Juni den Antrag gestellt, dass das Präsidentenamt selbst über die Verlängerung des Nutzungsrechts von Canal 5 entscheiden könne. Die Mitglieder des Obersten Rates der Akademie halten diesen Antrag für „illegal“, da der Präsident dann die Verlängerung der Lizenz an einen Kandidaten seiner Wahl erteilen könne, berichtete die guatemaltekische Tageszeitung La Hora. Noch wird die ALMG von der Justiz geschützt, jedoch ist die Angelegenheit noch nicht erledigt und es wird vermutet, dass die Bewilligung noch immer an einen Privatsender weitergegeben werden könnte.

Laut der guatemaltekischen Tageszeitung El Periódico warnte Abraham Chocooj, der Generaldirektor von TV Maya vor Protesten, falls die ALMG die Verlängerung des Nutzungsrechts nicht erhalten sollte. „[Das Recht] gehört uns und wir werden daher nicht auf ein Abkommen warten. Wir werden alle rechtlichen Möglichkeiten ausschöpfen, um unsere Rechte geltend zu machen“, so Chocooj.

Aufsichtsbehörde plädiert für richterliches Urteil

Zuvor hatte die Aufsichtsbehörde für Telekommunikation erklärt, dass die Entscheidung [betreffend der Übertragung des Nutzungsrechts] dem Präsidentenamt zustehe, da dieses der „natürliche“ Eigentümer des Kanals sei.

Später sprach sie sich jedoch dafür aus, dass ein richterliches Urteil nötig sei. Dies geschah acht Monate, nachdem der Antrag der ALMG auf Erneuerung der Konzession eingegangen war. Um diese Verzögerung zu rechtfertigen, erklärte der Superintendent für Telekommunikation Julio García gegenüber der Presse, dass „den Frequenzen, die privat genutzt werden, Vorrang gegeben wurde und dies sind etwa 600 Rechtsfälle. Die staatlich genutzten Frequenzen sind bisher unerledigt geblieben und darunter befindet sich auch Canal 5“.

„Canal 5 soll der ALMG erhalten bleiben“

Die Regierung versicherte in einer Mitteilung, dass „Canal 5 und seine Sendestationen der ALMG erhalten bleiben sollen, um mit der Entwicklung des Projektes TV Maya fortzufahren. Wir bestehen darauf, dass es keinerlei Absichten gab, das Nutzungsrecht an irgendwen anders als die Akademie zu übertragen“. Wie dem auch sei, wird es vom Willen der neuen Regierung abhängen, ob die Entscheidung, den Kanal der ALMG zu überlassen oder nicht, in den Händen des Präsidenten liegen wird.

Die offensichtlichsten Hindernisse für den Frieden in Guatemala sind jedoch der Drogenhandel, die Maras und die Gruppen des organisierten Verbrechens. Laut der Regierung seien diese verantwortlich für mindestens 60 Prozent der 17 Mordfälle, die täglich im Land gemeldet werden.

Im Hinblick darauf versprach Pérez Molina bereits während seines Wahlkampf eine „mano dura“ („harte Hand“) und ernannte daher ehemalige Mitglieder des Militärs, die am Bürgerkrieg teilgenommen hatten, zu Verantwortlichen für die Sicherheit.

 

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