Shrimp-Farmen statt Mangroven

Am frühen Morgen kommen meine Freundinnen und ich im Fischerdorf Mompiche an der nördlichen Küste Ecuadors an. Geplant hatten wir einen ruhigen Strandurlaub als Erholung von unserer Freiwilligenarbeit in Ecuadors Hauptstadt Quito. Doch dann treffen wir schon wenige Stunden nach unserer Ankunft auf Stefano Bajak, Regisseur und Umweltaktivist, der gerade dabei ist, einen Dokumentarfilm über die Zerstörung der örtlichen Mangrovenwälder zu drehen. Er schlägt uns vor, mit auf eine Tour durch die Mangroven und den Wolkenwald der Umgebung zu kommen, die am nächsten Tag stattfinden soll.

Auf dem Weg von Mompiche nach Bolivar, wo unsere Tour starten soll, verändert sich die Küstenlandschaft langsam, der dschungelartige Wolkenwald wird von den kleineren Vorläufern der Mangroven abgelöst, um dann abrupt zu verschwinden. Vor uns liegt ein weiter Streifen mit rechteckigen Pools – die Shrimp-Farmen. Stefano erklärt uns, dass die Mischung aus Süß- und Salzwasser der Mangrovenwälder perfekt für die Shrimp-Zucht geeignet ist. Die Farmer*innen legen Kanäle an, um das Wasser in die Becken zu leiten, wo es chemisch behandelt wird. Die Abwässer werden später zurück in die Mangrovenwälder gepumpt und mit ihnen alle Chemikalien.

Abholzung und Chemikalien zerstören das Ökosystem

Während die Shrimp-Farmen minutenlang an uns vorbeiziehen, kann ich kein einziges Tier entdecken und auch von Arbeitskräften fehlt jede Spur. Hinter einer Kurve taucht schließlich das grüne Ortsschild von Bolivar auf. Umgeben von eingezäunten Shrimp-Farmen, leben die Menschen hier von den Resten des Mangrovenwaldes. Es sind Muscheln und Fische, mit denen sie ihren Lebensunterhalt verdienen, Teil der Natur, die gerade verschwindet.

Als hier vor etwa fünfzehn Jahren die ersten Farmen gebaut wurden, versprachen sich die Anwohner*innen eine neue Einnahmequelle. Dieser Traum platze, als der Bau der Farmen abgeschlossen und keine Arbeit mehr zu verrichten war. „Die Menschen hier sind daran gewöhnt, überall grün zu sehen – sie dachten nicht an die Langzeitfolgen der Abholzung, nur an ein besseres Leben für ihre Familien“, so Stefano. Schnell wurde deutlich, dass die neu angelegten Kanäle den natürlichen Wasserlauf verändert hatten. Die Belastung des ohnehin schon stark beschädigten Mangroven-Ökosystems führte zu einem starken Rückgang der Fisch- und Muschelbestände. Was noch da ist. reicht der Bevölkerung kaum zum Leben und es wird immer weniger.

Bolivar: Tourismus statt Muscheln?

In Bolivar angekommen laufen wir über grasbedeckte Wege, vorbei an kleinen Häusern und spielenden Kindern. In den schmalen Straßen, in denen die Bäume höher sind als die Häuser, sind die Shrimp-Farmen leicht zu vergessen. Stefano erzählt mir bei einem späteren Treffen, dass die Dorfgemeinschaft einmal versucht hatte, sich öffentlich über die Pools zu beschweren, woraufhin die Farmer die einzige Straße schlossen, die Bolivar mit dem Rest der Region verbindet. Da man an den Pools vorbei muss, um das Dorf zu verlassen, gelang es ihnen so die Bewohner:innen, unter Einsatz von Hunden und Waffen, zu isolieren und so ihren Protest zu unterdrücken.

Im Dorf sticht ein großes, verlassenes Holzgebäude hervor, auf dessen Außenwänden offizielle Landessymbole prangen. Es ist ein Touristeninformationscenter, dass die Regierung vor einigen Jahren errichtet hat. Die verschlossenen Türen sind ein halb erfülltes Versprechen. Auf die tatsächliche Touristeninformationsquelle treffen wir einige Minuten später in Form eines älteren Mannes mit beeindruckendem Schnurrbart, den Stefano uns als unseren Guide Ramon vorstellt. Ramon begrüßt uns auf Spanisch und zieht eine gelbe Plastikkiste hervor, bis zum Rand gefüllt mit steinernen Artefakten. Es handelt sich um antike Kunstwerke, die die Bewohner*innen gefunden haben. Wenn alles planmäßig verläuft, können sie bald in dem leeren Touristenzentrum ausgestellt werden. Stefano erklärt, dass der Tourismus eine echte Alternative für Bolivar darstellen könnte, da schon zu viele Mangroven zerstört wurden, um die Gemeinde noch lange weiter zu ernähren. Die hunderten Farmen, die das Dorf umgeben, kommen mit wenigen Arbeitskräften aus, weshalb nur eine kleine Gruppe an Unternehmen von der Shrimp-Zucht profitiert.

In den Tiefen des Mangrovenwaldes

Zurück am Flussufer steigt unsere Gruppe in ein kleines, hellblaues Boot. Neben Ramon begleiten uns noch drei wettergegerbte Frauen und ein Mann, der uns langsam, aber gekonnt den Fluss hinaufsteuert, hinein in den verbleibenden Mangrovenwald. Die Mangrovenbäume, die auf beiden Seiten des Flussarmes wachsen, sehen aus, als gingen ihre Wurzeln direkt in Astgabelungen über. Es ist schwer einen zentralen Stamm zu erkennen. Die geschwungenen Zweigen reichen zu einer Seite hin in den Schlamm und überirdisch zeigen sie in alle Richtungen. Das Boot wird langsamer als wir zu einer Gabelung kommen. Ramon erklärt uns, dass diese Stelle „Pensamiento“ heißt, was übersetzt „Nachdenken“ oder „Gedanke“ bedeutet. Hier entscheiden sich die Dorfbewohner*innen stets für eine Route, die tiefer in den Mangrovenwald führt. Er selbst und die drei Frauen wechseln einige schnelle Sätze, bevor sie sich einstimmig für die linke Seite aussprechen. Und es schien die richtige Entscheidung zu sein: denn kaum sind wir abgebogen, beginnen sie uns auf Stellen am Ufer hinzuweisen, an denen sie Muscheln vermuten. Trotz angestrengten Hinsehens kann ich nicht viel erkennen. Für mein ungeübtes Auge sieht es überall nach dem gleichen, dunklen Flussschlamm aus. Kurz darauf finden Ramon und Stefano einen Platz an dem auch unerfahrene Besucher*innen austeigen können und Ramon vertäut das Boot an einem der Äste. Die Frauen steigen zuerst aus und versinken dabei knietief im Schlamm. Eine von ihnen trägt Gummistiefel, die anderen Beiden waten barfuß durch den Morast, während wir auf den Ästen herumklettern und ihnen beim Muschelernten zusehen.

Kontrollsystem bleibt wirkungslos

Stefano, sein Assistent und Ramon filmen und führen Interviews mit den Frauen, während sie arbeiten. Die Älteste von ihnen zeigt uns die dunklen, etwa daumengroßen Muscheln und erklärt, dass sie in Bolivar aufgewachsen ist, und immer von dieser Arbeit gelebt hat. Vor etwa zehn Jahren konnte sie noch in einigen Stunden Arbeit bis zu vierhundert Muscheln finden; wenn sie heute den ganzen Tag dort verbringt, findet sie manchmal zweihundert. Schuld daran ist nicht nur der durch die Abholzung verkleinerte Lebensraum, sondern auch, dass das Wasser, das in die Becken gepumpt wird, Eier der Fisch-und Muschelarten enthält, die dort leben. Die Chemikalien, mit denen das Wasser für die Shrimps vorbereitet wird, tötet sie ab, und später, wenn es in die Mangroven zurückfließt, richtet es dort noch mehr Schaden an. Die Abwässer, die beim hoch intensiven Shrimp-Farming entstehen, enthalten große Mengen chemischer Düngemittel, Pestizide und Antibiotika die, die Umwelt stark belasten.

Weltweit haben viele Länder die Mangroven als wichtiges Ökosystem unter Schutz gestellt und die Konstruktion neuer Shrimp-Farmen in Mangrovengebieten verboten. Auch in Ecuador steht das Abholzen von Mangrovenwäldern unter Strafe, doch das Kontrollsystem funktioniert nicht. „Was wir erreichen wollen ist, dass die Regierung striktere Gesetzte verabschiedet.“, so Stefano. Schon jetzt ist vorgeschrieben, dass jeder der mindestens einen Hektar Shrimp-Pools besitzt, im Umfang von zehn Prozent seiner Betriebsfläche, Mangrovenwald aufforsten oder anpflanzen muss“. Tatsache ist, dass das nicht passiert. Laut ihm ist Korruption dafür verantwortlich. Die Menschen, die für die Kontrollen verantwortlich sind, würden einfach einen Geldbetrag erhalten, der sie blind macht.

Ökologische und gesellschaftliche Probleme lassen sich nicht trennen

Für Stefano und Ramon ist es zunächst wichtiger, die Menschen in den betroffenen Gebieten zu unterstützen:. „Was wir wollen ist, dass die Regierung Geldmittel zu Verfügung stellt, um die verbleibenden Mangroven aufzuforsten und die Shrimp-Farmer zu kontrollieren. Diese sollten zumindest in sozialer Hinsicht für den Schaden aufkommen und zur Stärkung der betroffenen Gemeinden beitragen.“ Ökologische und gesellschaftliche Probleme lassen sich nicht trennen. „Die meisten der Leute, die hier leben, wie zum Beispiel Ramon, sind auch hier geboren und haben einzigartiges Wissen über das Land und die Natur“. Mit dem Verschwinden der Mangroven verschwindet die Lebensgrundlage von Tieren und Menschen gleichermaßen und die daraus resultierende Wut ist spürbar. Eine der Frauen, die am Morgen noch beim Muschelfischen mit schlammbedeckten Armen in die Kamera strahlte, beginnt auf der Rückfahrt zum Dorf zu singen. Ihre Stimme ist kraftvoll und trägt ihre Worte über das Wasser bis hin zu den Metallrohren und den Pools. Sie singt von den Shrimp-Farmern, deren Missachtung der Natur und wie sie dafür bezahlen werden – geschrieben hat sie das Lied selbst.

Elin Disse ist mit ICJA -Freiwilligenaustausch weltweit in Ecuador.

CC BY-SA 4.0 Shrimp-Farmen statt Mangroven von Nachrichtenpool Lateinamerika ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.

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