Poonal Nr. 571

Deutsche Ausgabe des wöchentlichen Pressedienstes lateinamerikanischer Agenturen vom 6. Mai 2003

Inhalt


ECUADOR

BOLIVIEN

PANAMA

KOLUMBIEN

CHILE

BRASILIEN

KUBA

LATEINAMARIKA


ECUADOR

Indígenaorganisation fordert Rücktritt des Wirtschaftskabinetts

Von Marcelo Larrea*

(Quito, 28. April 2003, adital).- Die Versammlung der Ecuarunari, der größten Organisation des Bundes der indígenen Völker CONAIE (Confederación de Nacionalidades Indígenas del Ecuador), erklärte nach drei Tagen lebhafter Diskussionen ihre politische Unabhängigkeit von der Regierung von Lucio Gutiérrez. Auf dem Kongress analysierten sie die ersten 100 Tage der neuen Regierung und kritisierten die ökonomischen Maßnahmen, die Gutiérrez auf Empfehlung des Internationalen Währungsfonds IWF ergriffen hatte. Diese führten zu Preiserhöhungen bei Treibstoffen, dem öffentlichen Transportsystem, Strom und den Arzneimitteln. Gleichzeitig wurde die untere Steuerbeitragsermessungsgrenze gesenkt.

Die Bereitschaft der Regierung sich auf die Auflagen des IWF einzulassen vergiftete die Stimmung zwischen den Indígenas und dem Regime. Jetzt fordert Ecuarunari den Rücktritt des Wirtschaftskabinetts, dem Wirtschaftsminister Mauricio Pozo vorsteht. Des weiteren rief die indígene Organisation die Regierung auf, ihre politische Unabhängigkeit beizubehalten.

Die Versammlung, die von Salvador Quishpe geleitet wurde, stellte sowohl das Abkommen zwischen Gutiérrez und dem IWF, als auch die weiteren, geplanten Reformen in Frage. Diese richten die staatliche Wirtschaftspolitik auf die Zahlung der Auslandsschulden und die Privatisierung von wichtigen Staatsunternehmen wie die Öl- und Elektrizitätsindustrie und die Telefongesellschaft aus. Die Maßnahmen zielen auch auf eine Fortsetzung der Reformen in der Steuerpolitik, die Reiche begünstigt und Arme belastet.

Die Lage verschärfte sich, als die Führer von Pachakutik, Miguel Lluco und Augusto Barrera die Preiserhöhung von Erdgas und die Einschränkung der Zuschüsse kritisierten. Vor zwei Jahren lösten ähnliche Maßnahme einen indígenen Aufstand aus, der das Land lahm legte und mehrere Tote zur Folge hatte. Damals riefen die Mitglieder der Basis von Pachakutik zu einer Versammlung auf um die politische Führung zu verurteilen.

Der neue Präsident von Ecuarunari, Humberto Cholango, griff die Regierung an und erklärte, „unsere Organisation ist immer unabhängig geblieben. Die Regierung hingegen betrügt das Volk mit ihrer neoliberalen Politik“. Er fügte hinzu, dass die Versammlung des Bundes der ecuadorianischen indígenen Völker CONAIE während ihres letzten Kongresses im Februar der Regierung von Gutiérrez erfolglos eine Frist gesetzt habe, um die Reformen zurück zu nehmen. Jetzt kündigte Cholango an, „die Leitprinzipien der indígenen Bewegung und ihres politischen Projektes sind unverzichtbar und wichtiger als jedes Ministerium oder Unterstaatssekretariat“.

Salvador Quishpe stellte fest, dass Ecuarunari eine soziale Bewegung sei und als solche ihre politische Unabhängigkeit, sowie den Kampfgeist für die legitimen Rechte der indígenen Völker und der gesamten Bevölkerung, bewahren müsse. Des weiteren erklärte er, dass „die Versammlung verlangt, dass die Regierung Gutiérrez`der Forderung des Volkes nachkommen soll und mit voller Souveränität regieren muss. Sie soll nicht ein treuer Vollstrecker der Rezepte des IWF sein. Ecuarunari will ihre Allianz mit der gesamten Zivilgesellschaft stärken und bereit sein die Rechte der indígenen Völker und des gesamten ecuadorianischen Volkes zu verteidigen.“

An der Versammlung nahmen mehr als 400 Vertreter der Ethnie Kichua aus der Sierra teil. Diese Gruppen stellten eine wichtige Unterstützung bei der Wahl von Gutiérrez dar. Der neue Kurs von Ecuarunari, der in der Versammlung beschlossen wurde, bedeutet für Gutiérrez einen schweren Rückschlag für die IWF-orientierte Politik, die er seit der Machtübernahme vertreten hat.

* Chefredakteur der Zeitung „El Sucre“.

BOLIVIEN

Oppositionspartei MAS steigt aus Sozialpakt aus

(Montevideo, 25. April 2003, comcosur).- Die Chancen für einen breiten sozialen und politischen Zusammenschluss in Bolivien haben sich verringert, weil die wichtigste Oppositionspartei ihre Partizipation verweigert. Evo Morales, der an der Spitze der Bewegung zum Sozialismus MAS steht, wird nicht an einem Treffen teilnehmen, zu dem die Regierung, die politischen Parteien, soziale Organisationen, Gewerkschaften sowie die Kirche eingeladen sind.

Grund für die ablehnende Haltung der MAS ist die Entscheidung der Regierung, mit der Zerstörung von Kokafeldern in der Region Chapare fortzufahren. Diese international angekündigte Entscheidung verwarf einige der Abkommen, die bereits zwischen der Regierung und den Kokaleros ausgehandelt worden waren. Die Opposition versucht jetzt, die geforderten Reformen durch eine Verfassungsänderung durchzusetzen.

Polizei in Aufstand verwickelt

(Montevideo, 25. April 2003, comcosur).- In den letzten Tagen wurden 1.000 Polizisten von ihrem Posten versetzt, weil sie in den gewaltsamen Aufstand im Februar verwickelt waren. Die fast 7.000 Polizisten von La Paz protestierten zwischen dem 11. und 13. Februar mit der Forderung nach einer Lohnerhöhung von 40 Prozent und gegen eine Lohnsteuer. Die Situation eskalierte in Auseinandersetzungen mit der Armee und hinterließ 28 Tote und Hunderte von Verletzten. Für die Regierung deutet die Aktion der Polizisten auf einen Staatstreich hin. Der nordamerikanische Geheimdienst CIA hatte behauptet, die Oppositionspartei MAS habe ihre Finger im Spiel gehabt.

PANAMA

Alarmierende Situation kolumbianischer Flüchtlinge

(San José, 28. April 2003, sem).- Das UN-Hochkommissariat für Flüchtlinge UNHCR zeigte sich „ernsthaft besorgt“ über die Abschiebung von 109 Kolumbianer*innen, die in Panama Zuflucht gesucht hatten, in ihr Heimatland.

Laut einer Pressemitteilung „bringt diese Situation ernsthafte Verwicklungen für den Schutz von Flüchtlingen, Asylsuchenden und anderen Personen, die vor dem Konflikt in Kolumbien flüchten und in den Bereich des UNHCR fallen“.

Das UNHCR schrieb, dass es besonders beunruhigt sei über die Tatsache, dass bei dieser Aktion einige Familien getrennt wurden. In einigen Fällen wurden kolumbianische Mütter dazu gezwungen, sich von ihren in Panama geborenen Kindern zu trennen.

Die zur Rückkehr gezwungenen Kolumbianer*innen, unter denen sich auch 63 Kinder befanden, hielten sich in Alto Tuira, einer entlegenen Region in der Provinz Darién auf. Einige von ihnen kamen dort bereits im Dezember 2001 an, als sie vor dem Konflikt in ihrem Land geflüchtet waren. Laut der Mitteilung drängte das UNHCR bereits ab diesem Zeitpunkt die Regierung Panamas dazu, ihre Aktionen zum Schutz und zur Hilfeleistung der Bevölkerung zu koordinieren.

Gespräche mit Mitarbeitern der zuständigen Behörden ergaben, dass die Einwanderungsbehörden und die Nationalgarde Panamas den Flüchtlingen angekündigt hatten, sie an einen sicheren Ort zu bringen, wo man ihnen Unterstützung zur Verfügung stellen würde.

Laut der Pressemitteilung wurden diejenigen, die sich gegen die Verlegung weigerten oder zu fliehen versuchten von der Nationalgarde misshandelt und dazu gezwungen, in die Helikopter zu steigen, die sie wieder auf die kolumbianische Seite der Grenze zurückbrachten.

Außerdem weist das Dokument auf die Position der UN-Behörde für Flüchtlinge hin, die besagt, dass „Personen nicht gegen ihr Interesse und ihren Willen zur Rückkehr in ihr Herkunftsland gezwungen oder unter Druck gesetzt werden können“. Weiter wurde der Sorge, dass sich die Abschiebungen wiederholen könnten, Ausdruck verliehen.

Beteiligung am Konflikt in Kolumbien

Von Ana Benjamín

(Panama-Stadt, 23. April 2003, na-poonal).- „Panama ist zu einer verlängerten Achse des kolumbianischen Bürgerkriegs geworden“ meint der Soziologe Raúl Leis, vor dem Hintergrund der Entscheidung der panamesischen Regierung, eine gemeinsame Front gegen irreguläre Truppen mit dem südlichen Nachbarn zu bilden. Die panamesische Präsidentin Mireya Moscoso und ihre Kollegen aus Kolumbien, Costa Rica, El Salvador, Guatemala, Honduras, Nicaragua und der Außenminister Argentiniens unterzeichneten am 11. Februar die Erklärung von Panama, in der sie sich verpflichten, die internationalen Normen im Kampf gegen die irregulären Kampfverbände Kolumbiens anzuwenden.

Im Text heißt es zum Beispiel, dass die terroristische Gewalt in Kolumbien „aus der Aktivität der bewaffneten Gruppen am Rande des Gesetzes resultiert, wie es an der Grenze der Nachbarnation sichtbar wird und diese betrifft den Frieden und die Stabilität der gesamten Region“. Dadurch dass Panama diese Position einnimmt, so Leis, verletze das Land das Neutralitätsabkommen des Panamakanals und handele gegen eine Politik der Unterstützung der Friedensprozesse, die Moscoso bisher bezüglich des kolumbianischen Konflikts verfolgt hat.

Mit dieser Verpflichtung „verwandeln sich der Staat Panama und seine Polizeikräfte in einen blanken Feind“ sagte Leis. „Ich glaube, dass die Einmischung von Panama in den Konflikt sich auf die Verteidigung der Grenze reduzieren sollte und sich nicht einer der beiden am Konflikt beteiligten Parteien verpflichten sollte“.

Seit 2002 kamen durch bewaffnete kolumbianische Gruppen auf panamesischem Territorium mindestens sieben Menschen ums Leben. Am 18. Januar wurden vier Mitglieder der indígenen Gemeinde Paya, in der Grenzprovinz Darién von Paramilitärs der Vereinigten Selbstverteidigungskräfte Kolumbiens AUC ermordet.

Die Erklärung sieht die Anwendung der bereits existierenden Regeln zur Bekämpfung von irregulären bewaffneten kolumbianischen Gruppen vor und beruft sich vor allem auf die UN-Resolution 1373 vom 28. September 2001 und die interamerikanische Konvention gegen den Terrorismus, die von der Organisation Amerikanischer Staaten OAS verabschiedet wurde. Hier werden die Einfrierung der Guthaben von terroristischen Organisationen und die Verhaftung ihrer Mitglieder gefordert.

Die Antwort der Organisation Amerikanischer Staaten ließ nicht lange auf sich warten. Am Tag nach der Unterzeichnung der Deklaration von Panama verpflichtete sich die Organisation, auf diplomatischer Ebene mit der kolumbianischen Regierung bei der Bekämpfung der Guerillagruppe FARC zusammen zu arbeiten und verabschiedete eine Resolution, die terroristische Handlungen in Kolumbien verurteilt. Mit dieser Verpflichtungserklärung kann die Regierung Uribe auf die nötigen juristischen Instrumente zählen, um die Bankkonten der irregulär bewaffneten Gruppen Kolumbiens zu beschlagnahmen und die Geldwäsche zu verfolgen.

Charles Barclay, der Sprecher der für die Region zuständigen Abteilung im US-State-Department, brachte seine Besorgnis darüber zum Ausdruck, dass sich der kolumbianische Konflikt auf die gesamte Region ausdehnen könnte. Dies sei der Hauptgrund dafür, dass die Vereinigten Staaten Kolumbien solche Aufmerksamkeit widmeten. Im Rahmen des Plan Colombia hat das Andenland seit dem Jahr 2000 1,3 Milliarden US-Dollar Militärhilfe erhalten. Die USA haben gleichzeitig ihre Beteiligung am Konflikt durch die Entsendung von Truppen erhöht.

Demgegenüber bemerkte Leis: „Es fällt auf, dass diese Deklaration eher ein Vorstoß der Präsidenten Kolumbiens und der Vereinigten Staaten ist, um ihre Antiterror-Strategie zu stärken“, als eine Initiative der Präsidenten Zentralamerikas zur Sicherung ihrer Grenzen. Die USA hatten 1999 ihre Militärpräsenz in Panama beendet. Jedoch campierten Anfang Februar als Teil des militär-zivilen Programms Nuevos Horizontes 2003 mehr als 400 Reservisten der US Nationalgarde in Ngobe Buglé, einer indígenen Gegend in der Provinz Chiriquí an der Grenze zu Costa Rica.

Zu dem Kontingent gehören Ingenieure, Elektriker, Maurer und Mediziner, die Gesundheitszentren und Schulen errichten, sowie die Bevölkerung mit medizinischen Diensten versorgen werden. Das Programm soll bis zum 30. Juni ausgedehnt werden und etwa 3000 US-amerikanische Reservisten umfassen.

KOLUMBIEN

Ausschreibung für 500 neue Bürgerradios

(Bogotá, 29. April 2003, pulsar).- Trotz den Bedrohungen und Morden an Journalist*innen, auch von Bürgerradios, aus verschiedenen Regionen Kolumbiens, wächst die Nachfrage nach Gründung weiterer alternativer Kommunikationsmedien.

Als Antwort auf diese Nachfrage hat das kolumbianische Ministerium für Kommunikation angekündigt, in über 500 Gemeinden im ganzen Land neue Lizenzen für weitere Bürgerradios auszuschreiben. Für die Ministerin „sind Bürgerradios Ausdruck einer Gesellschaft, die Kommunikation hoch schätzt“. Der Gesetzesrahmen Kolumbiens erkennt die Bürgerradios als „soziale Unternehmen für Kommunikation“ an und stattet sie mit klar umrissenen Einkommensquellen aus, im Gegensatz zu anderen Regelungen in Ländern der Region, die diese Möglichkeit nicht bieten.

Diesbezüglich werden in der kolumbianischen Gesetzgebung „Spenden und Beiträge von Förderern und Sponsoren“ als Finanzierungsalternativen erachtet. Auch Sendezeit für Werbung wird „als notwendige Quelle für den Erhalt des Senders“ angesehen. Das Ministerium für Kommunikation hat außerdem begonnen, eine öffentliche Befragung durchzuführen, um diese Regelungen noch zu verbessern. Ziele dieser Reform seien „die Neudefinition des legalen Rahmens für Bürgerradios, das Ausfeilen des partizipativen Konzepts und die Änderung einiger Voraussetzungen, die soziale Organisationen erfüllen müssen, um eine Lizenz für Bürgerradios zu erhalten, damit deren politische, soziale und finanzielle Nachhaltigkeit garantiert würde“.

CHILE

Nazi-Kolonie verurteilt

(Montevideo, 25. April 2003, comcosur).- Letztendlich wurde die Colonia Dignidad wegen eines Steuerdelikts verurteilt, wenn auch Anklagen wegen Pädophilie und Menschenrechtsverletzungen auf ihr lasten. Die Nazienklave deutschen Ursprungs befindet sich im Süden des Landes. In der Vergangenheit hat sie an der Diktatur Pinochets teilgenommen mit systematischen Folterpraktiken und Morden an der Opposition.

Der legale Repräsentant der Kolonie, Kurt Schellenkamp, wurde zu drei Jahren Gefängnis auf Bewährung verurteilt. Unter seine Verantwortung fällt ebenfalls die verhängten Steuern und eine hohe Strafe zu zahlen. Der Kopf der Organisation ist flüchtig seit er vor sechs Jahren der pädophilen Handlungen an Kindern der Kolonie verurteilt wurde. In der Enklave leben rund 200 Deutsche und 300 Chilenen.

BRASILIEN

Umstrittenes Gen-Soja soll zu Biodiesel werden

(Brasília, 25. April 2003, adital).- Die brasilianischen Minister für Landwirtschaft, Wissenschaft und Technologie setzen sich dafür ein, einen Teil der diesjährigen Ernte von genmanipuliertem Soja zu nutzen, um Biodiesel herzustellen. Die Idee wurde von drei Abgeordneten der Arbeiterpartei PT während eines Seminars über „Die Bedrohung durch genetisch veränderte Organismen: Vorschläge der Zivilgesellschaft“ in Brasilia, an dem Vertreter von mehr als 80 Organisationen teilnahmen, vorgestellt. Der Vorschlag der Abgeordneten João Alfredo (Bundesstaat Ceará), Luciano Zica (Bundesstaat São Paulo) und Adão Preto (Bundesstaat Rio Grande do Sul) wurde auch als Initiative in die Abgeordnetenkammer eingebracht.

Das Positionspapier der Minister wurde bei der Eröffnungsveranstaltung des von der Universität von São Paulo veranstalteten ersten Internationalen Kongresses für Biodiesel in Ribeirão Preto (São Paulo) eingebracht. Nach den Worten von Roberto Amaral, Minister für Wissenschaft und Technologie, beabsichtigt die Regierung, einen Teil des schon geernteten transgenen Sojas als Treibstoff zu verwenden und damit einen Teil des Streits zu beenden.

Diesen sucht die Regierung mittels der „Provisorischen Maßnahme Nr. 113/2003“ zu lösen, die derzeit zur Behandlung in der Abgeordnetenkammer liegt. Darin wird der Verkauf der diesjährigen Ernte freigegeben, aber das Verbot künftigen Anbaus aufrecht erhalten. Es wurden bereits 72 Änderungsvorschläge eingereicht. João Alfredo und zwei weitere Abgeordnete aus Ceará – Ariosto Holanda von der Cardoso-Partei PSDB und Roberto Pessoa von der konservativen PFL – sandten mehreren Ministerien eine von Professor Expedito Parente (Bundesuniversität von Ceará) erarbeitete Studie über Biodiesel zu.

Die Studie sieht in dem natürlichen Treibstoff das Mittel, um die Unabhängigkeit Brasiliens auf dem Gebiet der Energieversorgung zu ermöglichen. Außerdem könnten damit in den bedürftigsten Regionen des brasilianischen Nordostens Arbeitsplätze und Einkommen geschaffen werden.

KUBA

Gewalt gegen Frauen kein Thema

Von Sara Más

(Havanna, 22. April 2003, sem-poonal).- Die von den kubanischen Frauen erreichten sozialen und persönlichen Fortschritte verhindern nicht die häusliche Gewalt, die weiterhin sogar von den Opfern selbst verheimlicht wird. „Frau, Gewalt und symbolische Repräsentation“ war das Thema einer Diskussionsrunde im Rahmen des Frauenprogramms des kubanischen Kulturinstitutes Casa de las Américas, bei der sich Expertinnen und Vertreterinnen aus Kunst und Wissenschaft trafen.

Auch wenn es in Kuba keine umfassenden und verlässlichen Statistiken über die Misshandlung von Frauen gibt, so bestätigen doch kleinere Studien die Existenz aller Formen von Gewalt gegen Frauen.

Die Teilnehmerinnen des Treffens sprachen über einige Aspekte, die dazu beitragen, dass das Problem weder sichtbar gemacht, noch in Angriff genommen werde. Dazu gehören die unzureichende und seltene Behandlung des Themas in der kubanischen Presse und in anderen Medien.

„In den Medien wird weiterhin die patriarchale Kultur reproduziert, die selektive Tradition und die Rhetorik des Verheimlichens, durch die wir unterrepräsentiert sind. Mit dieser Rhetorik muss gebrochen werden, denn wenn man über etwas nicht spricht, ist es, als ob es nicht existieren würde“, sagte die Soziologin und Universitätsdozentin Clotilde Proveyer.

Für einige der Teilnehmerinnen fällt auch ins Gewicht, dass die Kubanerinnen und Kubaner sich sehr spät in die Debatte und in das Nachdenken über häusliche Gewalt eingeschaltet haben. Dies wird mit dem jahrzehntelangen Ausschluss und der Geheimnistuerei gegenüber feministischem Denken in den letzten Jahrzehnten auf der Insel in Verbindung gebracht.

Auch scheint es keine klare Anerkennung des Problems zu geben, nicht einmal durch die betroffenen Frauen selbst. Diese seien oft in ihrer Geschichte verfangen und nicht in der Lage ihrer Situation zu entkommen, ergänzten die Teilnehmerinnen. Weitere Schwachpunkte seien das Fehlen von Zufluchtsorten für die Opfer und die fehlende Verfolgung und Durchsetzung der Strafen, die das Gesetz eindeutig für solche Gewaltfälle vorsieht.

Auf der anderen Seite „gibt es Richter und Rechtsanwälte, die sich nicht die Bohne mit Geschlechterverhältnissen beschäftigen“, sagte die Forscherin Daisy Rubiera, die eine Untersuchung über Frauen, die getötet haben, durchführt. „Viele von ihnen sind Opfer, die auf Gewalt mit Gewalt antworten, aber sie sind nicht zum Töten geboren.“

Die deutsche Soziologin Miriam Lang ist der Meinung, dass „die durchaus wichtigen Errungenschaften der kubanischen Revolution auf dem Gebiet der Frauen es nicht geschafft haben, die Gewalt gegen dieses Geschlecht auszurotten, denn sie umfassen nicht alle Auswirkungen der symbolischen Gewalt.“

Während einiger Monate untersuchte Lang dieses Thema auf der Insel und konnte sich darüber mit verschiedenen Fachleuten austauschen, wie z.B. mit Mediziner*innen, Rechtsanwält*innen, Richter*innen, mit der Polizei, Menschen von der Strasse und Frauen, die Opfer eines Missbrauchs gewesen sind.

Die Wissenschaftlerin hat sich auch mit Gewalt gegenüber Frauen in Mexiko beschäftigt und schließt nicht aus, dass in Kuba möglicherweise weniger Gewalt gegen Frauen zum Ausbruch komme, was Experten behaupten. Sie fügt hinzu, „Aber es gibt keinen Zweifel daran, dass es immer zuviel ist.“

Nach ihrer Ansicht dominieren in der kubanischen Gesellschaft die Männer und damit auch die symbolische Gewalt. Dieses Phänomen erklärt der französische Soziologe Pierre Bourdieu damit, dass der Machismo als „normal“ und „natürlich“ angesehen wird und daher auch unvermeidbar sei, denn in einer determinierten Gesellschaft wird er nicht hinterfragt.

Diese symbolische Gewalt hinterlässt keine körperlichen Spuren, aber führt zu Frauenidentitäten, bei denen die Grenzen deutlich markiert sind, und so erklärt die deutsche Soziologin die Ansicht, dass “ wenn heute in Kuba, bei allem durch die Revolution erworbenen Fortschritt, eine Frau schlecht behandelt wird, dann ist es, weil sie es so möchte“. Das bekam Lang von ihren Interviewpartnerinnen zu hören.

Proveyer erklärt diese Tatsache mit den „andersartigen und entgegengesetzten Erziehungsmodellen, nach denen Männer und Frauen erzogen werden“. Das bewirke sogar, dass „wenn sich jemand uns Frauen gegenüber grenzüberschreitend verhält, sind wir es, die uns selbst dafür kritisieren, denn die Sozialisierung der männlichen patriarchalischen Ideologie ist sehr sensibel, unbewusst und subtil“.

Lang stimmt insofern mit dieser Aussage überein, als das die symbolische Gewalt nicht beabsichtigt sei und sich als direkte Aggression äußere, sondern vielmehr eine unversöhnliche Diskriminierung herbeiführe, „denn sie wird nicht im vollen Bewusstsein ausgeführt, sondern im unschuldigen Unbewussten“. Sie ergänzt : „Es handelt sich dabei um eine bedeckte Diskriminierung, die nur in Zusammenarbeit mit denjenigen funktionieren kann, die unterdrückt werden.“

Im Falle von Kuba scheint ein Ausweg aus dieser Situation nicht ganz einfach. „Dafür müssten die zahlreichen glorifizierten Männerbiographien von ihrem Podest gestoßen werden“, kommentiert Proveyer. Sie kommt zu dem Schluss, dass „in einer Gesellschaft, in der viel von Frauen gemacht wurde und diese auch viel für sich selbst gemacht haben, kann im subjektiv betrachteten Bereich nicht die Lücke entstehen, die nötig wäre, um diese Gesellschaftsordnung umzustürzen“.

LATEINAMARIKA

Megapläne rund ums Wasser

Von Jorge Almada und Roberto Roa

(Lima, 4. Mai 2003, npl).- Den Flüssen in Lateinamerika und damit den Menschen, die an ihren Ufern leben, droht Gefahr. Vom Lacandonischen Urwald in Mexiko und Guatemala bis zum Amazonas und dem Rio de la Plata in Brasilien und Argentinien planen Regierungen und Unternehmensgruppen, Flussläufe in Wasserautobahnen zu verwandeln und die enorme Wasserkraft zur Energiegewinnung zu nutzen.

Die Zahl der Bauvorhaben, die die US-Umweltgruppe International Rivers Network (Internationales Flussnetzwerk) aufgelistet hat, ist überwältigend: Hunderte Staudämme sollen gebaut werden, davon allein 400 in Brasilien, 70 im mexikanischen Bundesstaat Chiapas und über 100 in Costa Rica. Hinzu kommt die Begradigung von Tausenden Flusskilometern, um die Wasserwege auch für größere Schiffe zugänglich zu machen. Der Plan gipfelt in dem Vorhaben, die drei großen Ströme des Kontinents, den Orinoco in Venezuela, den Amazonas und den Rio de la Plata durch Kanäle miteinander zu verbinden, ein Vorhaben, dass vor allem der Holzindustrie zugute käme. Den meisten Bauplänen ist gemein, dass sie in abgelegenen Gebieten stattfinden sollen und somit oft die Lebensräume von Indígenas und intakte Ökosysteme bedrohen, zum Beispiel das Sumpfgebiet Pantanal in Westbrasilien.

„Der Mangel an Bewusstsein, fehlender Respekt vor der Natur und eine große Dosis simpler Gewinnsucht sind die Ursachen für die Zerstörung der Flüsse,“ beklagt Glenn Switkes, Sprecher des International Rivers Network. Oft würden die gigantischen wie ökologisch fraglichen Bauwerke lediglich eine kleine Elite bereichern, während Tausende Bewohner der Region vertrieben würden und verarmten, ergänzt Lateinamerika-Fachmann Switkes, dessen Organisation sich von Kalifornien aus weltweit für den Erhalt von Flusslandschaften einsetzt.

Für die meisten Regierungen in Lateinamerika stellt sich eine andere Frage: Wie kann das riesige hydroelektrische Potential der Region genutzt, und wie können die vorhandenen Rohstoffe abgebaut und kostengünstig transportiert werden? Um die oft unzugänglichen Regionen für in- und ausländische Investoren attraktiver zu machen wurde beschlossen, großräumige Entwicklungspläne zu entwerfen. Mit ihnen soll eine industriell nutzbare Infrastruktur entstehen und ein rechtlicher Rahmen geschaffen werden, der internationalen Unternehmen entgegen kommt. In Mittelamerika nennt sich dieser Entwicklungsplan „Plan Puebla Panama“ (PPP), in Südamerika handelt es sich um die bislang weniger bekannte „Initiative zur Integration der regionalen Infrastruktur“ (IIRSA). „Die Vorhaben innerhalb des IIRSA werden geplant, ohne die Bevölkerung überhaupt zu informieren. Auch spielen ökologische oder soziale Kriterien kaum eine Rolle,“ kritisiert Umweltaktivist Glenn Switkes die Idee solcher Infrastruktur-Maßnahmen.

Ein zentrales Thema beider Entwicklungspläne ist die Produktion und Verteilung von Energie. So ist in Südamerika vorgesehen, das weniger industrialisierte Staaten wie Ecuador oder Bolivien mehr Strom produzieren sollen, um ihn Industrieländern wie Brasilien oder auch Peru zur Verfügung zu stellen. Auch beim PPP ist die Versorgung mit elektrischer Energie ein Angelpunkt: „Der Plan Puebla Panama soll die Energieversorgung in einer Hand zentralisieren und von Mexiko aus die Energieversorgung der USA garantieren,“ erklärt der mexikanischen Wirtschaftswissenschaftler Gustavo Castro. Es sei ein Plan, der den Bedürfnissen der transnationalen Unternehmen in der Region entspricht und sie mit billigem Strom versorge, die Interessen der Bevölkerung jedoch außen vor lasse, so Castro.

Immer mehr Umweltgruppen, aber auch Bauern- und Indígena-Organisationen machen gegen die beiden Entwicklungspläne und ihre Orientierung an ökonomischen Kriterien mobil. In allen mittelamerikanischen Ländern gibt es bereits Komitees, die die Aktivitäten gegen den Plan Puebla Panama koordinieren. Zugleich kritisieren sie das geplante Gesamtamerikanischen Freihandelsabkommen ALCA, das eine Missachtung von Umweltbelangen oder Interessen bestimmten Bevölkerungsgruppen juristisch legitimieren würde.

 

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