Poonal Nr. 365

Deutsche Ausgabe des wöchentlichen Pressedienstes lateinamerikanischer Agenturen Nr. 365 vom 11. Dezember 1998

Inhalt


VENEZUELA

CHILE/USA

MEXIKO

KOLUMBIEN

KOLUMNE – Von Frei Betto

HAITI

LATEINAMERIKA


VENEZUELA

Venezuela im Zeichen Plutos – Hoffnung der Armen, Schreckgespenst der Unternehmer

Von Salvador Bracho

(Caracas, 7. Dezember 1998, npl).- „Er ist widersprüchlich, übersensibel, reagiert emotional und heftig. Gleichzeitig,“ so der Astrologe Jose Hernandez, „ist er ein entschlossener Mann, von großer innerer Stärke, aufrichtig und visionär.“ Der große Einfluß Plutos sei für seine umstrittene Persönlichkeit verantwortlich, er habe stets viele Anhänger und viele Feinde. Ohne Frage, Hugo Chavez ist ein sehr umstrittener Mann, aber nicht nur eine günstige Sternenkonstellation hat ihn an das Ziel seiner Träume gebracht. Mit 56 Prozent der Stimmen wählten ihn die Venezolaner am vergangenen Sonntag zu ihrem neuen Präsidenten.

„Venezuela tritt jetzt in ein neues Zeitalter ein,“ sagte Chavez am Sonntag Abend (Ortszeit) vor Tausenden jubelnden Anhängern. Zumindest die Zahlen geben ihm Recht: Sein schärfster Konkurrent, der konservative Unternehmer Henrique Salas Rómer, unterlag mit über 17 Prozent Abstand. Da Chavez' Wahlplattform „Patriotischer Pol“- eine Ansammlung linker und nationalistischer Kleinstparteien – schon bei den Parlamentswahlen im vergangenen Monat als Siegerin hervorging, wird er eine für Venezuela ungewohnte Machtfülle haben, um „die Demokratie zu erneuern“.

Genau dies ist die große Angst seiner Gegner, nicht ohne Grund: Der 44jährige Ex-Militär griff 1992 schon einmal nach der Macht, doch der Putschversuch gegen Präsident Andres Perez scheiterte und brachte ihm eine langjährige Gefängnisstrafe ein, von der er allerdings nur zwei Jahre absitzen mußte.

Damals wie heute kritisiert Chavez das „korrupte politische System“, das er für die große Armut im rohstoffreichen südamerikanischen Land verantwortlich macht. Venezuela ist der weltweit drittgrößte Erdölproduzent, doch statt Wohlstand steigt nur die Auslandsverschuldung und das Elend. Chavez, der vor allem in den unteren Schichten beliebt ist, versprach im Wahlkampf, die vom Internationalen Währungsfonds (IWF) auferlegten Sparmaßnahmen zu revidieren und überlegte, die Zahlung der Schulden und Zinsen auszusetzen. Unternehmer und ausländische Investoren, allen voran die USA, wo Chavez Einreiseverbot hat, befürchten, daß das Land jetzt im wirtschaftlichen Chaos versinken wird.

Der erklärte Anhänger von Fidel Castro wird am 2. Februar – fast genau sieben Jahre nach seinem Putschversuch – sein fünfjähriges Mandat antreten. Der Vater von vier Kindern ist geschieden und zum zweiten Mal verheiratet. Er gilt als Chamäleon: Vor Unternehmern und Diplomaten tritt er in Anzug und Krawatte auf, spricht moderat und lächelt sogar aufdringlichen Journalisten zu. Bei Massenveranstaltungen hält er flammende Reden, stets mit einer roten Baskenmütze als Kopfbedeckung. Sein Fabel fürs militärische ist hierbei unübersehbar.

Der Liebhaber der einheimischen kreolischen Küche stammt aus dem kleinen Dorf Sabaneta im westlichen Bundesstaat Barinas. Die Menschen aus dieser Region, deren riesige Weideflächen zur Rinderzucht genutzt werden, heißen „llaneros“ (Flachländer). Sie gelten als eingefleischte Nationalisten, die den Hauptstädtern seit der Erdölboom der 70er Jahre Caracas in eine moderne Metropole verwandelte, skeptisch gegenüberstehen.

Nach seinem gescheiterten Putsch hatte Hugo Chavez gesagt, er sei geschlagen, werde aber wiederkommen. Er sollte Recht behalten. Aber der Populist hat fast die gesamte politische Klasse gegen sich, die ihn als totalitär und möglichen Diktator brandmarkt. Sein Programm besteht bislang vor allem aus Parolen, die offenbar ausreichten, die Mehrheit im Land zu überzeugen. Zuerst will er eine Verfassungsgebende Versammlung einberufen. Sie soll das politische System reformieren und weitgehende Rechte haben, bis hin zur Auflösung des Parlaments. Dies konnte die leidgeprüften Venezolaner nicht schrecken, zu gering ist ihr Vertrauen in die gewählten Volksvertreter.

CHILE/USA

US-Bürger fordern Freigabe der Pinochet -Akten des CIA –

Regierung gesteht Fehler in Lateinamerika-Politik ein

Von Max Böhnel

(Washington, 8. Dezember 1998, npl) „The files, the files“ – wie verzweifelte Rufer in der Wüste fordern US-amerikanische Angehörige von Opfern des Regimes unter Augusto Pinochet (1973-1990) die Herausgabe von Geheim-Akten. Die denominierten „Files“ lagern in unbekannten Archiven der US-Behörde. Ihre Veröffentlichung könnte die Grundlage für eine umfassende Aufklärung der Verbrechen des chilenischen Ex-Diktators sein.

„Die US-Regierung kann doch nicht auf der ganzen Welt Terroristen jagen und derartige Verbrechen im eigenen Land ungestraft lassen“, klagt Michael Moffitt, der 1976 die Detonation einer Autobombe überlebte, weil er zufällig auf dem Rücksitz saß. Seine Frau Ronni Karpen und ihr Chef, der chilenische Ex-Außenminister Orlando Letelier waren damals in Washington von der chilenischen Geheimpolizei in die Luft gesprengt worden.

Joyce Horman hat ihre Zweifel, daß die US-Regierung willens ist, die Chile-Akten freizugeben. 1973 hatte Hormann ihren Mann Charles, einen linken Regisseur, nach wochenlangem Suchen im Fußballstadion von Santiago de Chile wiedergefunden – tot. Schon damals sei ihr die US-Botschaft bei der Suche nicht sehr behilflich gewesen, stellt sie erbittert fest. Und heute verstecke die Regierung die Akten.

Nicht nur Michael Moffitt und Joyce Horman berichteten am Montag (7.12.) in Washington auf einer Pressekonferez über das hartnäckige Schweigen hoher US-Beamter, als Pinochet ab Mitte der 70er Jahre seine Opposition brutal verfolgte. Da ist zum Beispiel auch Veronica Negri, deren Sohn, der Photograph Rodrigo Rojas 1986 bei einer Demonstration gegen Pinochet von chilenischen Soldaten mit Benzin übergossen wurde.

Sie alle hatten US-Bürger als Verwandte, die der chilenischen Diktatur zum Opfer fielen. Nun fordern sie die Auslieferung Pinochets an die USA. Die US-Regierung hingegen rang sich nach wochenlangem Schweigen erst dann halbherzige Erklärungen über die Festnahme des Ex-Diktators ab, als sich andere europäische Regierungen dem Auslieferungsbegehren Spaniens anschlossen. Aus dem Außenministerium verlautete zunächst, es handele sich um eine „juristische Angelegenheit zwischen den Regierungen Englands, Spaniens und Chiles“. Man werde „prüfen, ob man einige Akten freigebe“, hieß es später. Daraufhin gestand Außenministerin Madeleine Albright vergangene Woche vor Studenten in Atlanta sogar ein, die USA hätten in ihrer Lateinamerika-Politik „schwere Fehler“ begangen. Sie bezog sich damit allerdings auf die berüchtigte „School of the Americas“ im US-Bundesstaat Georgia. Hunderten von lateinamerikanischen Offizieren wird dort bis heute von der US-Armee das Handwerk des „schmutzigen Krieges“ beigebracht.

Die jüngsten Äußerungen hochrangiger US-Offizieller allerdings als Signal für einen politischen Richtungswechsel zu interpretieren, halten amerikanische Menschenrechtsakivisten für falsch, selbst wenn einige der geheimen Dokumente freigegeben werden sollten. Vivian Stromberg von der Menschenrechtsorganisation „Madre“ meint, das Statement von Albright sei eine Reaktion darauf, daß „in letzter Zeit unter der Fassade etwas Dreck sichtbar wurde“. Der „Krieg niedriger Intensität“ in Lateinamerika würde unvermindert fortgesetzt. Die Außenpolitik im „Hinterhof der USA“, so Stromberg, sei traditionell geprägt von „schamloser Ausbeutung, die sich alle Jahre wieder das selbstkritische Mäntelchen umhängen“ müsse, „um nicht jegliche Glaubwürdigkeit zu verlieren.“

Der Fall Pinochet jedenfalls ist selbst in der us-amerikanischen Bürokratie von unten nach oben gesickert. Die Wochenzeitschrift „The Nation“ glaubt, auf den obersten Etagen der Politik-Elite eine Art Richtungsstreit erkennen zu können. Die für Menschenrechtsbelange zuständigen Büros des Nationalen Sicherheitsrats und des Außenministeriums sähen in der Unterstützung der spanischen Richter Vorteile für die USA, mutmaßt das Blatt. Gegen die Auslieferung Pinochets hingegen würde sich unter anderem James Dobbins vom Nationalen Sicherheitsrat und Lateinamerika-Berater des Präsidenten stemmen. Laut „Nation“ haben Albright und Sicherheitsberater Sandy Berger den Nationalen Sicherheitsrat angewiesen, die Chile-Dokumente neu zu sortieren, „damit wir freigeben können, was möglich ist, damit wir offiziell unseren Teil zur Aufklärung beigetragen haben.“

„The files“ – dahinter verbirgt sich die unerzählte Geschichte der freundschaftlichen Beziehungen zwischen CIA und chilenischem Geheimdienst DINA inmitten der systematischen Menschenrechtsverletzungen unter Pinochet. Außerdem brächten die Akten Licht in die Rolle der USA bei der „Operation Condor“, jenem internationalen Geheimdienstnetz unter der Leitung Pinochets und seinen internationalen Mäzenen, allen voran der amerikanische Ex-Außenminister Henry Kissinger.

Aller Voraussicht nach werden die Angehörigen der Pinochet-Opfer jedoch keine Gerechtigkeit erfahren. Denn die zur Aufklärung erforderliche volle Wahrheit, schlüge auf den Ausrüster und Schutzpatron des chilenischen Despoten, die US-Regierung zurück. Deren Sprecher haben bereits angekündigt, daß höchstenfalls „einige“, keinesfalls jedoch alle Chile-Akten freigegeben würden.

MEXIKO

Unerwartete Aufbruchstimmung nach Treffen mit Zapatisten – Von Parlamentskommission wenig zu erwarten

Von Gerold Schmidt

(Mexiko-Stadt, 2. Dezember 1998, Poonal).- Eine „plurale Bewegung für ein neues Projekt von Staat und Nation“ sieht der mexikanische Philosoph und Schriftsteller Luis Villoro in seinem Land entstehen. Wie knapp 3.000 weitere Personen nahm er vor zwei Wochen in San Cristobal am dreitägigen Treffen eines Großteils der Führung der aufständischen Zapatistischen Armee der Nationalen Befreiung (EZLN) und zivilen Organisationen aus ganz Mexiko teil. Nicht alle Teilnehmer äußern sich in diesen Tagen so euphorisch wie Villoro. Doch die Stimmung nach dem Meinungsaustausch mit den Zapatisten ist unerwartet optimistisch.

Nachdem die EZLN sich mehrere Monate auf Schweigen verlegt hatte und mehrere Versuche, landesweit eine zivile Massenbewegung der Zapatisten aufzubauen, in den vergangenen Jahren gescheitert sind, war die Zusammenkunft im Bundesstaat Chiapas ein wichtiger Test für das Verhältnis zwischen den zivilen Organisationen und den Aufständischen. Mehrere Dinge zeichnen sich seitdem klarer ab. Kaum jemand hatte mit einem solchen Andrang in San Cristóbal gerechnet. Offensichtlich ist die Mobilisierungskraft der EZLN in der Gesellschaft nach wie vor groß, auch wenn sie sich bisher weder in regelmässigen noch spektakulären Aktionen artikuliert.

Viele der älteren Teilnehmer wie Villoro oder Gustavo Esteva, früherer EZLN-Berater bei den seit September 1996 unterbrochenen Gesprächen mit der Regierung, zeigten sich beeindruckt von der Ernsthaftigkeit und Disziplin der Jugendlichen und jungen Leute, die mit der EZLN über eine landesweite Befragung zur Indigena-Gesetzgebung, den Friedensprozess und die politische Situation Mexikos allgemein debattierten. Esteva erklärte gegenüber Poonal, er habe eine neue Generation gesehen, die bisher die Fehler der unter sich zerstrittenen Linken vermeide und die Fähigkeit zum Zuhören habe.

Die Basis für einen Erfolg der Befragung über die Reformvorschläge, die die Parlamentskommission zu Chiapas (COCOPA) in der vergangenen Legislaturperiode erarbeitete, ist gelegt. Die Zapatisten selbst sicherten in San Cristobal zu, sie könnten 5.000 Delegierte dafür entsenden. Die zivilen Organisationen müßten landesweit diese Zahl vervielfachen können, wenn das an dem Treffen gezeigte Interesse echt war. Sicherlich wird die EZLN erneut versuchen, im Rahmen der Befragung eine beständige und massive Bewegung zu organisieren.

Kurzfristig ist aber für sie das Ziel wichtig, die Regierung mittels einer großen Befragungsbeteiligung, zum Einlenken zu bewegen. Im Gegensatz zur EZLN, die den vorgeschlagenen Gesetzesänderungen längst zugestimmt hat, lehnt diese die Reformen ab, die unter anderem mehr Autonomie für die Indígena-Gemeinden vorsehen. Aus Sicht der Zapatisten ist genauso der Einfluß auf die neu zusammengesetzte COCOPA von Bedeutung, damit diese die Reforminitiativen auch gegen den Willen der Regierung als Gesetzentwurf zur Abstimmung stellt. Das erste direkte Treffen der Zapatisten mit den Parlamentariern hätte in San Cristobal aber fast mit einem großen Eklat geendet.

Die EZLN las ihren Gegenübern bei der Begrüßung kommentarlos ein Kommuniqu‚ vor, in dem sie den Parlamentarier/innen mangelnde Vorbereitung in Sicherheits- und Unterkunftsfragen sowie Rassismus in ihrem Verhalten vorwarf. Darauf reagierte insbesondere der Senator Carlos Payan von der linksoppositionellen PRD pikiert. Er forderte in einem Interview mit Journalisten eine Erklärung des Zapatistenführers Subcomandante Marcos für die aggressiven Äußerungen der EZLN-Kommandaten.

Nach Meinung von Gustave Esteva belegte der Senator damit auf eindrucksvolle Art den Vorwurf und führte sich „typisch rassistisch“ auf. Der nicht nach San Cristobal gekommene „weiße Subcomandante Marcos wird als Ansprechpartner gesehen, den Indigenas traut man kein eigenständigs Handeln zu“. Die Wogen glätteten sich und das zweite Gespräch zwischen COCOPA und zapatistischen Kommandanten lief in freundlicherer Atmosphäre ab.

Es wurde aber in San Cristóbal deutlich, daß die parteiübergreifende COCOPA sich in ihrer jetzigen Zusammensetzung leichter von der Regierung unter Präsident Ernesto Zedillo beeinflussen läßt als die Vorgänger. So hatte die EZLN bis zum šberdruß verlauten lassen, unter den herrschenden Bedingungen keine direkten Verhandlungen mit der Regierung anzustreben. Die COCOPA sieht sie zudem als Kontakt zum Parlament, nicht aber als Vermittlerin zur Exekutive.

Dennoch liessen sich die COCOPA-Mitglieder vom Innenministerium dazu breitschlagen, ein Dokument anzunehmen, um es den Zapatisten zu übergeben. Diese lehnten die Annahme strikt ab. Wie sich inzwischen herausstellte, handelte es sich um Vorschläge für bilaterale Entspannungsmaßnahmen im Bundesstaat Chiapas. Die EZLN hat jedoch seit nun über zwei Jahren betont, die Regierung müsse vor allem ihren „Krieg niedriger Intensität“ gegen Zapatisten und die mit ihr sympathisierende Zivilbevölkerung einstellen, damit überhaupt über eine erneute Kontaktaufnahme angedacht (!) werden könne.

Der Vorfall hat in den vergangenen Tagen die Diskussion über eine wirkliche Vermittlungsinstanz wieder aufleben lassen, wie sie mit der CONAI unter dem Vorsitz von Bischof Samuel Ruiz bestand. Die CONAI hatte nach ständigen verbalen Attacken seitens der Regierung ihre Arbeit vor Monaten enttäuscht für beendet erklärt. Estevas Einschätzung zufolge trauere die Regierung dieser Instanz bereits insgeheim nach. Begründet liegt das darin, daß ein vernichtender Militärschlag gegen die EZLN in der nationalen wie internationalen Öffentlichkeit nicht durchsetzbar ist und auch nicht durchweg auf Zustimmung innerhalb des Kabinetts stößt. Eine von den Zapatisten anerkannte Instanz böte der Regierung Sondierungsmöglichkeiten, ohne das Gesicht zu verlieren.

Es sieht aber nicht so aus, als könne eine neue Vermittlung schnell gefunden werden. Nicht-Regierungsorganisationen und Anhänger der EZLN haben bisher die UNO oder Persönlichkeiten wie den dieses Jahr mit dem Nobelpreis ausgezeichneten portugiesischen Schriftsteller Jose Saramago ins Spiel gebracht. Die Regierung reagiert dagegen allergisch, sobald sie „ausländische“ oder „internationale Einmischung“ befürchtet. So bleibt es weiterhin dabei: Die Chancen für eine Verständigung mit den Zapatisten sind minimal, ebenso wird die COCOPA kein wirklicher Ansprechpartner für die EZLN werden, solange sie sich nicht von der Regierungsautorität löst. Aber Regierung und COCOPA werden umso stärker in Rechtfertigungszwang kommen, je mehr sich die zivilen Organisationen unterstützend für die Zapatisten mobilisieren. Die landesweite Befragung wird ein Barometer sein.

KOLUMBIEN

Kaum Bewegung im Friedensprozeß

(Bogotá, Dezember 1998, colombia popular-Poonal).- Bereits in der vergangenen Woche hat sich Poonal ausführlich mit der Diskussion um den Friedensprozeß in Kolumbien beschäftigt. Da es sich um einen wichtigen Moment in der Geschichte des Landes handelt, behandeln wir das Thema ein weiteres Mal, diesmal durch den Beitrag der Agentur Colombia Popular mit einer etwas anderen Akzentuierung und den Einbezug etwas länger zurückliegender Ereignisse, die in vergangenen Poonal-Ausgaben nicht detailliert dargestellt wurden. In der kommenden Woche folgt der zweite Teil des Hauptstadt-Porträts der Agentur Actualidad Colombiana. Die Redaktion.

Als vor sechs Monaten Regierung und Guerilla in Kolumbien die ersten Vorvereinbarungen für einen politischen Dialog trafen, redete man allerorts bereits von „Friedensverhandlungen“. Doch seitdem ist in der Sache nicht mehr viel passiert. Die Kampfhandlungen gehen unvermindert weiter, und die Massaker an der Zivilbevölkerung haben sogar deutlich zugenommen. Der vermeintliche Friedensprozeß könnte schon wieder vorbei sei, bevor er überhaupt angefangen hat.

Streit um das Bataillon Cazadores

Der Friedensbeauftragte Victor Ricardo, ein enger Vertrauter Präsident Pastranas, hatte sich unmittelbar nach den Wahlen im Juli auf einen konkreten Verhandlungsfahrplan mit den FARC geeinigt. Während die Kontakte mit der ELN auf kleiner Flamme gehandhabt wurden, bewies die Regierung gegenüber den militärisch schlagkräftigeren FARC überraschende Kompromißbereitschaft. Vielleicht war dies aber auch nur der Einsicht in die realen Verhältnisse geschuldet.

Anders als in El Salvador und Guatemala oder auch bei der schrittweisen Legalisierung der Guerillabewegung M-19 in den Jahren 1989/90 wird in Kolumbien heute nicht mehr davon ausgegangen, daß sich der bewaffnete Konflikt durch die Integration der Guerillaorganisationen ins Establishment lösen lasse. Stattdessen gehen alle beteiligten Seiten von einem langwierigen gesellschaftlichen Transformationsprozeß aus. Damit erkennt die Pastrana-Administration erstmals an, daß die sozialen Ursachen für das Entstehen der Guerilla beseitigt werden müssen.

Im Konkreten verpflichtete sich die Regierung Pastrana als Vorbedingung für die Aufnahme von direkten Gesprächen zu drei Maßnahmen: Erstens die Räumung eines Gebietes von etwa 40.000 Quadratkilometern (ein Dreißigstel des kolumbianischen Territoriums) im Süden des Landes, in dem die Gespräche zwischen Regierung, gesellschaftlichen Organisationen und Guerilla stattfinden sollen. Zweitens, Maßnahmen zur Einhaltung der Menschenrechskonventionen, das heißt gegen den Paramilitarismus. Drittens, ein Ende der Repression gegen die sozialen Protestbewegungen. Ein Waffenstillstand hingegen wurde von beiden Seiten für einen späteren Zeitpunkt zwar nicht ausgeschlossen, war aber ausdrücklich nicht Teil der Vereinbarungen.

Unterdessen ist ein großer Teil der fünf Landkreise um San Vicente del Cagu n/ Caqüt und La Uribe/ Meta geräumt worden und die Regierung drängt auf eine Aufnahme direkter Gespräche, die gemäß der Vereinbarungen in den ersten 90 Tage nach der Räumung zu beginnen haben. Für die FARC ist dieser Moment jedoch noch gar nicht eingetreten, denn die Armee hat in einem ihrer Meinung nach offenen Vertragsbruch etwa 150 Soldaten des berüchtigten Bataillons Cazadores in der strategisch wichtigen Stadt San Vicente del Cagu n zurückgelassen. Die Regierung Pastrana argumentiert, daß dies keine Berufssoldaten, sondern Wehrpflichtige seien. Sie müßten organisatorische Aufgaben erledigen, weil San Vicente Sitz der Regierung während der Gespräche mit der Guerilla werden solle.

Die FARC entgegneten hierauf, daß sie nicht bereit seien, zwischen Berufssoldaten und Wehrpflichtigen zu unterscheiden. Die vollständige Räumung der fünf Gemeinden sei eine notwendige Voraussetzung für eine sichere Durchführung der Gespräche, nun müsse dieser Beschluß auch umgesetzt werden. Zudem wies Ra£l Reyes, in dieser Frage das zuständige Mitglied des FARC-Generalsekretariats, gegenüber der Presse auf verdächtige Aktivitäten innerhalb des Bataillons hin. So hätten die Soldaten erst vor kurzem mit der Untertunnelung des Geländes begonnen. Der Guerilla lägen weiterhin Hinweise für ein geplantes Attentat auf den Guerillakommandanten Manuel Marulanda vor.

Nach zunächst unnachgiebigen Worten sind aus dem Regierungsapparat zuletzt gegensätzliche Verlautbarungen zu hören gewesen. So erklärte Generalstabschef Rafael Hern ndez Anfang Dezember, die Soldaten würden in San Vicente bleiben, während der Friedensbeauftragte Ricardo gleichzeitig ein Einlenken der Regierung für möglich hielt. Fest steht jedoch, daß es vor Abzug der zurückgebliebenen Soldaten keine Gesprächsrunden geben wird.

Die FARC, die – so ihr internationaler Sprecher Juan Rojas – von einem „über mehrere Regierungsperioden andauernden Gesprächsprozeß“ ausgehen, sind entschlossen, in der Sicherheitsfrage keinen Millimeter nachzugeben. Schließlich würden alle obskuren Zwischenfälle im Gebiet auf die Guerilla zurückfallen. Zudem besitzen die FARC aber auch keine besonders große Eile. Der von ihnen als dringlich betrachtete Kriegsgefangenenaustausch – Soldaten gegen inhaftierte Guerilleros – wird zur Zeit unabhängig von anderen Gesprächen verhandelt. Die anderen Dialogrunden würden erst beginnen, wenn die Sicherheitslage stabil sei, so Rojas.

Pastrana: Leere Versprechen – neue Massaker

Vieles deutet im Moment darauf hin, daß die Regierung Pastrana und mit ihr der größte Teil des Establishments zwar großes Interesse an Demobilisierungsverhandlungen, aber wenig Bereitschaft zu wirklichen Veränderungen hat. In den zentralen Fragen der Bekämpfung des Paramilitarismus und der Legalisierung der sozialen Protestbewegungen, hat die Regierung bisher keinerlei Aktivitäten entwickelt. Im Gegenteil – die Paramilitärs toben schlimmer als je zuvor.

In San Carlos/ Antioquia riegelten Paramilitärs und Armee im Oktober unmittelbar nach der Unterzeichnung eines Abkommens zwischen Friedensrat und ELN die Stadt ab und massakrierten 40 Personen. Hinterher zog sich die Armeespitze darauf zog, daß die Paramilitärs auch den Polizeiposten angegriffen hätten, doch Augenzeugen berichteten von einem gemeinsamen Vorgehen der Todesschwadronen und der Soldaten. Vor dem Polizeiposten sei in die Luft und einige Male auf die Fassade des Gebäudes geschossen worden, es habe jedoch keine Zustammenstöße zwischen dem paramilitärischen Stoßtrupp und der Polizei gegeben.

Auch im Süden des Departments Bolívar, aus dem erst in den Sommermonaten 10.000 Bauern vorübergehend geflohen waren, kam es erneut zu Massakern, wobei die Paramilitärs hier über Unterstützung der Luftwaffe verfügten. Besonders brisant ist dabei, daß Pastrana den Bauern erst im September vertraglich Schutz zugesagt hatte. Doch kaum kehrten die protestierenden Bauern in ihre Dörfer zurück, wurden sie erneut angegriffen. Drei Sprecher von ihnen wurden im Oktober bei San Pablo/Bolívar ermordet, ihre Körper wurden völlig zerstückelt gefunden.

Mit der groß angekündigten Säuberung der Armeespitze ist es ebenfalls nicht weit her. Interessanterweise werden die Schlüsseloperationen der Armee zur Zeit genau von jenen Offizieren durchgeführt, die erst im Sommer schwerer Menschenrechtsverletzungen angeklagt wurden. So leitet General Fernando Mill n, der wegen paramilitärischer Verbrechen in der „Washington Post“ scharf angegriffen wurde, die Angriffe gegen ELN und Zivilbevölkerung im Süden Bolívars.

General Alejo del Río, der jahrelang den schmutzigen Krieg in der Bananenregion Urab an der Grenze zu Panam organisierte und ebenfalls von der „Washington Post“ als Menschenrechtsverletzer genannt worden war, kommandiert die Operationen gegen die FARC im Süden Tolimas, wo die Guerilla versucht, das Vordringen der paramilitärischen Gruppen aufzuhalten. Und für die Aktionen gegen die FARC in Guaviare und Vaup‚s, wo die Kämpfe nach der Besetzung der Provinzhauptstadt Mitu im November weiterhin anhalten, zeichnete Generalstabschef Rafael Hernández López persönlich verantwortlich. Ihm wird von Menschenrechtsorganisationen ein – in Zusammenarbeit mit dem Cali-Kartell – 1994 verübtes Massaker in der Provinz Valle angelastet.

Selbst die unmittelbar Pastrana unterstehenden, „zivilen“ Behörden halten an ihrem unbedingten Repressionskurs fest. So wurde der dreiwöchige Streik im öffentlichen Sektor im Oktober, an dem immerhin 800.000 Arbeiter*innen der Erdölindustrie, Lehrer*innen, sowie Telecom-, Verwaltungs-, Justiz- und Bankangestellte teilnahmen, erneut für illegal erklärt. Sieben Gewerkschafter*innen wurden während des Streiks von Polizei oder Paramilitärs ermordet, darunter der Vize-Chef des wichtigsten Dachverbandes CUT, Jorge Ortega. Mehrere Protestaktionen wurden mit Polizeigewalt aufgelöst. Die Deregulierungspolitik seiner Vorgängers Samper will Pastrana sogar noch weiter verschärfen.

Der Pipeline-Anschlag von Machuca

Das Argument, daß ja auch die Guerilla weiterhin Aktionen durchführe, darunter so erfolgreiche wie der gemeinsam von FARC und ELN durchgeführte Angriff auf den paramilitärischen Stützpunkt von Pavarondó/ Urab , kann aus deren Sicht nicht als Einwand gelten. Die Konfliktparteien haben keine Einstellung der Kampfhandlungen vereinbart. Der Grundgedanke der bisherigen Kontakte ist, daß es möglich sein muß, inmitten des Kriegs Gespräche zu führen.

So bleibt als einziger echter Vertragsbruch der Guerilla der Pipeline-Anschlag durch die ELN Mitte Oktober. Bei dem kleinen Dorf Machuca (Segovia/Antioquia) verübte die Kompanie Cimarrones der ELN ein Attentat auf die Ölpipeline Cannnno Limón-Covennnnas. Kurze Zeit später brach ein Feuer aus, das die Ortschaft Machuca in Schutt und Asche legte. 70 Personen, darunter viele Kinder und Alte kamen in den Flammen um. Die ELN behauptete zunächst, eine Armeepatrouille habe den Brand durch Schüsse hervorgerufen, als zahlreiche Anwohner versuchten, Öl in Fasser abzufüllen, und forderte die Einrichtung einer internationalen Untersuchungskommission. Doch noch während der ELN-Europasprecher sich in Brüssel um eine unabhängige Delegation bemühte, kam es aus dem Dschungel eine etwas kleinlaute Berichtigung. Der politische Verantwortliche der ELN, Nicol s Bautista, gab in einem Fernsehinterview bekannt, daß das Guerilla-Kommando für die Katastrophe verantwortlich sei. Man werde die Verantwortlichen sanktionieren und die Opfer zu entschädigen versuchen.

Daß diese Selbstkritik von unabhängigen Mitgliedern des Friedensrates als historischer Einschnitt bezeichnet wurde, weil erstmals eine der Konfliktparteien von sich aus Verantwortung gezeigt habe, und gleichzeitig bekannt wurde, daß unter den Opfern zahlreiche Angehörige der Attentäter waren, macht den Vorfall nicht weniger schwerwiegend. Der ELN-Anschlag widerspricht eindeutig der erst im Juli abgegebenen Erklärung zum Schutz der Zivilbevölkerung. Dennoch ist es unangemessen, den Anschlag von Machuca mit den Kriegsverbrechen der Armee zu vergleichen. Eine in diesem Zusammenhang aussagekräftige Zahl präsentierte Ende November der Sprecher der Sozialversicherungsnetzes (Red de Solidaridad Social), Fernando Medellín Lozano. Ihm zufolge ist die Mordrate in dem nun von den FARC kontrollierten Gebiet seit dem Abzug der Armee deutlich gesunken. Während zuvor täglich 6-7 Morde (ohne militärische Kampfhandlungen) im Krankenhaus von San Vicente/Caqüt gemeldet worden seien, hätte es in den ersten 18 Novembertagen keinen einzigen Toten gegeben.

KOLUMNE – Von Frei Betto

FHC und die sozialen Bewegungen in Brasilien – Anmerkungen zur präsidialen

Metamorphose

(Brasilia, 24. November 1998, alai-Poonal).- Der Präsident FHC ist die glatte Verneinung des Soziologen Fernando Henrique Cardoso. Genau wie Stalin, der -einmal an der Macht – den Revolutionär Stalin beiseite ließ und der Sowjetunion eine Agrarreform aufzwang, die mehr als 20 Millionen Bauern das Leben kostete.

Der Soziologe FHC hat die Wichtigkeit der sozialen Bewegungen und der organisierten Zivilgesellschaft verteidigt. Als Präsident verteidigt er sie nur noch, solange es in sein neoliberales Konzept von Arbeitslosigkeit und sozialem Ausschluß paßt. Seine Frau Ruth Cardoso galt als Expertin in sozialen Bewegungen. Allerdings kennt das Paar die sozialen Bewegungen nur aus den Büchern. Nie waren sie bei einer Land- oder Wohnungsbesetzung dabei, ebensowenig, wenn es um den Aufbau eines Gemeinschaftszentrums ging oder um Kämpfe für Wasserversorgung.

Einmal gewählt, übernahm Cardoso 1994 den Konsens von Washington mitsamt dem neoliberalen Modell und widmete sich voll und ganz dem Vorsitz des Liberalen und Fortschrittlichen Bündnisses Brasiliens (PFL-PPB). Was die sozialen Bewegungen angeht, wandte er eine Politik des „friß oder stirb“an. FHC ist ein „Caudillo“, das heißt ein politischer Chef, der soviel Macht wie möglich in seinen Händen zusammenballen will. In den 30er Jahren bekam Lateinamerika eine ganze Generation von Caudillos zu spüren, darunter Vargas in Brasilien und Peron in Argentinien.

Eine der typischen Charakterzüge des Caudillos besteht darin, daß er sich nicht vorstellen kann, außerhalb der Macht zu stehen. Deshalb hat FHC auch begonnen, den chilenischen General Augusto Pinochet nachzuahmen und die Figur des Senators auf Lebenszeit zu schaffen: Alle Ex-Präsidenten der Republik sollen danach bis zum Tode einen Sitz im Senat erhalten.

In den vier Jahren seiner Regierung hat es FHC geschafft, praktisch alle Gewerkschaften zu kaufen. Nur der Dachverband CUT und die Agrararbeiter-Konföderation CONTAG machen da eine Ausnahme. Die Steine, die im Schuh der Macht drücken, sind der Zusammenschluß der Volksbewegungen (CMP), die katholische Bischofskonferenz (CNNB) und vor allem die Landlosenbewegung (MST).

Die CMP hat noch nicht die Kraft, die Regierung in Alarmzustand zu versetzen, was die sozialen Bewegungen angeht. Aber sie wächst trotzdem, was Organisation und Interessenvertretung angeht. Das soziale Engagement der katholischen Kirche ist da schon ein härterer Brocken. Obwohl es keine organisierte Bewegung ist, ist es für die Regierung überhaupt nicht angenehm, sich Jahr für Jahr die Kritik anzuhören, die auf den von der Bischofskonferenz veranstalteten, sogenannten Sozialen Tagen geäußert wird: auf den Brüderlichkeitskampagne, der sozialen Woche und beim Schrei der Ausgeschlossenen.

Der erste Streik, dem die Regierung gegenüberstand, war der der Ölarbeiter, und er wurde von den Truppen der Armee unterdrückt. Es war der Beweis dafür, daß FHC nicht bereit ist, den Dialog mit den sozialen Bewegungen zu suchen, außer wenn er sie auf diese Art und Weise auf seine Seite ziehen könnte.

Am meisten Kopfschmerzen bereitet der Regierung die Landlosenbewegung MST. Mit etwa 1.500 Niederlassungen über ganz Brasilien verteilt und in hunderten von Camps organisiert, hat die MST den Vorzug, im Kampf für eine Agrarreform Forderungen mit Anklagen, Besetzung mit Widerstand, politisches Bewußtsein mit landwirtschaftlicher Produktivität sowie Genossenschaftswesen mit Bildung und Kultur zu verbinden.

Die Regierung schafft es nicht, die Landlosenbewegung auf ihre Seite zu ziehen. Immer wieder gibt es Versuche, so wie die kürzlich initiierte Gerüchteküche rund um Jose Rainha, eine der MST-Führungspersönlichkeiten. Rainha reagierte sofort, widersprach sowohl den Behauptungen, er nähere sich der Regierung an als auch der Unterstellung, daß es eine bewaffnete Fraktion der Landlosen in Pontal de Paranapanema gebe.

Das Schlimmste daran war die Haltung des Generals Alberto Cardoso: Er erhob die Anklage und konnte dann als Verantwortlicher für die Innere Sicherheit des Landes die vorgeblichen Guerilleros nicht vorzeigen. Er brauchte auch auffällig lange, bis er die Cannabis-Plantagen im Nordosten Brasiliens zerstören ließ, die seinen Angaben nach von der Landlosenbewegung verteidigt wurden.

Die Eskalierungspolitik von FHC gegen die MST umfaßt fünf Etappen, von denen die ersten beiden schon in Gang gesetzt sind.

1. Der MST die Legitimität abzusprechen, indem man ihr nachsagt, sie sei „politisch“, „habe eine Verbindung zur PT“ und suche nicht nur die Agrarreform.

2. Die Verteufelung der Bewegung, indem die Vertreter als Teufel dargestellt werden. Das geschah kürzlich auf dem Titelbild der Zeitschrift VEJA mit dem Foto des MST-Chefs Joao Pedro Stedile.

3. Die Bewegung wird illegalisiert: Die Regierung erklärt sie als rechtswidrig und so darf sie nicht mehr in Brasilien agieren, keine Grundbucheintragungen mehr fördern, usw.

4. Die Unterdrückung. Die Polizei nimmt die Anführer und Mitglieder der MST gefangen, die trotz der von der Regierung verordneten Illegalität weiterarbeiten.

5. und letztens besteht darin, den offenen Konflikt der MST mit den Unterdrückungskräften zu fördern. Der MST bleibt nur ein Weg: Die beiden ersten Etappen umzudrehen, ihre ganz klare Rechtmäßigkeit zu betonen und zu vertiefen und gleichzeitig immer mehr Unterstützung beim Volk zu gewinnen. Nur so kann das repressive Vorgehen der Regierung ins Leere laufen.

HAITI

Umweltschutz: Weniger Wald und weniger Giftmüll

(Port-au-Prince, 2. Dezember 1998, haiti info-Poonal).- Der Abgeordnete für die Region von Grande-Anse, Brierre Nazaire, hat einen dringenden Appell gegen die fortgesetzte Waldvernichtung formuliert. ÿWenn die Bäume in diesem Rhythmus gefällt werden, ist in fünf Jahren die Region Grande-Anse eine Wüste“, äußerte Nazaire gegenüber der Nachrichtenagentur AHP. Ebenso dringend seien Maßnahmen zur Erhaltung der fließenden Gewässer notwendig. In Haiti sind bereits weite Landschaften baumlos und verödet. Die Bodenerosion stellt ein großes Problem dar.

Demgegenüber besteht zumindest die Aussicht auf einen gewissen Abbau des Giftmülls auf haitianischem Territorium. Vor wenigen Tagen landete ein Schiff mit dem Auftrag zum Abtransport des vor 10 Jahren in der Nähe von Gonaives abgeladenen Sondermülls im Hafen von Port-au-Prince an. 1988 hatte eine amerikanischen Firma 4.000 Tonnen Sondermüll (giftige Asche) in der Nähe von Gonaives deponiert. Weder die umliegende Bevölkerung noch die lokalen Verantwortlichen waren über die damit verbundenen Gefahren informiert worden. Greenpeace hatte damals auf diesen Skandal aufmerksam gemacht. Nach zähen und anhaltenden nationalen und internationalen Protesten mußte sich das Unternehmen bereit erklären, den Giftmüll wieder abzutransportieren und in die USA zurückzubringen..

LATEINAMERIKA

Der Kraftakt mit der Wasserkraft – Widerstand gegen Mega-Stauwerke wird

stärker

Von Eduardo Tamayo

(Quito, November 1998, alai-Poonal).- In den vergangenen 50 Jahren sind weltweit 40.000 große Stauseen entstanden. Anfangs war kaum Widerstand gegen diese Bauwerke zu verzeichnen, da sich Ziele wie Stromlieferung, šberschwemmungen verhindern und Wasserspeicherung legitim und plausibel anhörten. Seit den siebziger Jahren werden jedoch die schwerwiegenden ökologischen, wirtschaftlichen und sozialen Folgen vieler dieser Megaprojekte immer deutlicher sichtbar.

Millionen Menschen verloren ihr Ackerland, ihre Wälder und ihre Häuser in den künstlich gestauten Wassermassen. Viele wurden umgesiedelt, aber andere sahen sich gezwungen, in die großen Städte zu emigrieren, wo sich die Armut, die Arbeitslosigkeit, die Gewalt und das Fehlen der einfachsten Dienstleistungen immer mehr verschärfen.

Zerstörte Ökosysteme, entwurzelte Gemeinden und ruinierte lokale Wirtschaftskreisläufe sind Grund genug, daß die Betroffenen sich organisieren und diese Art von Bauten kämpferisch in Frage stellen. Sie bemerken, daß sich in vielen Fällen die ursprünglich vorgegebenen Ziele nur teilweise umsetzen lassen, die Schäden für die Bevölkerung und die Umwelt aber enorm sind. In ganz Lateinamerika sind bäuerliche Siedlungen, d.h überwiegend Siedlungen der autochthonen Gemeinden, von den Folgen der Staudammkonstruktionen betroffen oder werden es in Kürze sein, wie der folgende šberblick zeigt.

Honduras und El Salvador: Erbe der Menschheit geflutet

An der Grenze von El Salvador und Honduras wird zur Zeit für den Kostenpreis von 1,4 Milliarden Dollar das Wasserkraftwerk „El Tigre“ gebaut, das beiden Ländern elektrische Energie liefern soll. 14.000 Familien müssen das Land verlassen, auf dem sie geboren wurden und jahrzehntelang lebten, da vorgesehen ist, ganze Landstriche unter Wasser zu setzen.

In Honduras existiert weiterhin das Projekt „Patuca II“ der Panda Patuca Power Company. Es bedroht das Indígena-Reservat Tawahka, die Biosphäre des Rio Platano und die Gemeinden in dem biologischen Korridor Mesoamerikas. Dieser Korridor wurde aufgrund seiner natürlichen, archäologischen, kulturellen und wissenschaftlichen Reichtümer zum Erbe der Menschheit erklärt.

Kolumbien: Tod den widerspenstigen Indígenas

Das nahe an der karibischen Küste gelegene Wasserkraftwerk Urr im Kreis Cordova wird dreitausend Indígenas vom Stamm Embera Katio in Mitleidenschaft ziehen, die am Oberlauf des Sinuflusses leben. Den indianischen Gemeinden würde durch die Staumaßnahmen nicht nur ihr Hauptnahrungsmittel, der Fisch, entzogen. Sie verlören auch den Flußlauf als Verkehrsanbindung an die Märkte. Sollte wie vorgesehen eine 7.400 Hektar große Fläche wirklich geflutet werden, würden weitere 10.000 Fischer, die am Mittel- und Unterlauf des Sinu leben, ebenfalls ihre Haupteinnahmequelle verlieren.

Bei der Finanzierung und der Bauausführung des Kraftwerks sind starke ausländische Interessen ersichtlich. Die zur Zeit noch staatliche Betreiberfirma URRA-GmbH., die in absehbarer Zeit privatisiert werden soll, hat die schwedische Firma Skansa mit dem Bau und die russische Energomachiexport mit der Installierung der Turbinen beauftragt. Die Finanzierung organisiert die schwedische Nordik Investment Bank NIB und die kanadische Export Development Corp. EDC.

Nach einer Besetzung der schwedischen Botschaft im Jahre 1996 erreichten die Embera Katio, daß URRA-GmbH ihnen unter anderem eine Beteiligung an den Einnahmen aus dem Stromverkauf zuerkannte. Auf Betreiben des kolumbianischen Energieministeriums hat sich die Firma jedoch bislang geweigert, zu zahlen. Die Indianer haben vor dem Verfassungsgericht Klage eingereicht, um ihre Rechte zu schützen. In einer einstweiligen Verfügung hat das Gericht zunächst die bereits laufenden Flutungsmaßnahmen untersagt.

Der Kampf der Indígenas wird von der Nationalen Indígena-Organisation Kolumbiens (ONIC) unterstützt. Der schmutzige Krieg gegen den Widerstand der Embera Katio hat bereits erste Opfer gefordert. Am 25. August 1998, kurz nach der Urteilsverkündung des Verfassungsgerichtes, ermordeten Paramilitärs den Häuptling der Embera Katio, Alonso Domico Jarupia. Auch der Sitz von ONIC ist ständigen Angriffen ausgesetzt. Die Mitarbeiter der Organisation erhalten Morddrohungen.

Chile: Mutter Erde verteidigen

In Südchile, wo in sechs Stauseen am Oberlauf des Biobio 22.000 Hektar geflutet werden sollen, treten die schweren Schäden im Ökosystem und auf der Wirtschaftsleben in dem von Indígenas bewohnten Gebiet deutlich zutage. 10.000 Mapuche-Pewenches leben in den Region. Sie sehen nicht nur ihre ökonomischen Perspektiven bedroht, sondern sich auch in sozialer wie kultureller Hinsicht von den Stauprojekten stark eingeschränkt. Eines der Projekte, das Wasserkraftwerk Pangue, ist bereits von der spanischen Firma ENDESA ausgeführt worden. Um die anderen fünf Projekte zu verhindern, haben Mapuches und Umweltgruppen gemeinsam begonnen, eine landes- und weltweite Kampagne zu starten, die unter dem Motto steht: „Mutter Erde, das Leben, die Kultur, die Pflanzen, die Tiere und das Wohl der Menschheit verteidigen.“

Argentinien: Nationalpark Land unter!

„Die Zerstörung der Umwelt ist unsere eigene Zerstörung“, heißt es bei den Gemeinden, die sich im Süden Argentiniens gegen das Staudammprojekt Segunda Angostura wenden. Für das Wasserkraftwerk soll der Fluß Limay im Natonalpark Nahuel Huapi gestaut werden. Das Projekt schließt das Verschwinden des Limay von seiner Quelle bis zu Segunda Angostura und die Umwandlung der natürlichen Seen Nahuel Huapi, El Moreno und El Correntoso in künstliche Stauseen mit ein. Sollte dies durchgeführt werden, würden nicht nur in Tier- und Pflanzenwelt erhebliche Schäden verursacht. Die Änderungen bei Grundwasserspiegel, Erosion und Sedimentierungen würden voraussichtlich groß und in den Folgen unabsehbar sein.

Hinzu kommt, daß der Stausee die Orte Bariloche, Villa La Angostura und Dina Huapi betreffen würde, die hauptsächlich vom Tourismus leben. Der Erholungswert dieser Ortschaften liegt wesentlich in der schönen Landschaft, einem umfassenden Gebiet vom Menschen unberührter Natur und der Sportfischerei begründet. Durch die Stauseen würde diese Landschaft buchstäblich untergehen. Die Gegner des Projekts weisen immer wieder darauf hin, daß es unter ökonomischen Gesichtspunkten betrachtet unbedeutend ist, da es weniger als 1 Prozent des argentinischen Stromverbrauchs erzeugen würde.

Brasilien: Staudämme am Fließband

Momentan werden in Brasilien 50 große Wasserkraftwerke gebaut, die insgesamt 50.000 Familien in Mitleidenschaft ziehen. Bis zum Jahre 2015 will der brasilianische Staat 494 neue Kraftwerke bauen. Das hätte die Umsiedlung von 250.000 Familien zur Folge.

In Brasilien begann der Bau von Wasserkraftwerken in den 70er Jahren. Ziel war damals, Energie für die schnelle industrielle Entwicklung bereitzustellen. Damals wurde es auch als nötig erachtet, sehr große Gebiete zu verstaatlichen. Ganze Dörfer sahen sich gezwungen, ihre Häuser, Arbeitsplätze und Ländereien zu verlassen. Seit dieser Periode haben sich die sozialen Probleme wie Migration und Arbeitslosigkeit verschärft – Phänomene, die von einem Identitätsverlust der Bevölkerung begleitet wurden.

Im gleichen Maße, wie die Großbauten voranschritten, begannen die Betroffenen dagegen zu kämpfen. Was Anfang der 70er Jahre als regionale Aktionen begann, formierte sich 1989 auf nationalem Niveau in der Bewegung der von Stauseen Betroffenen (MAB). Die MAB hat seitdem einige Erfolge wie Baustopps für einige Dämme, gerechtere Entschädigungen und Neuansiedlungen mit akzeptablen Lebens- und Produktionsbedingungen erreicht.

Die Stauseen und das Kapital

Die mit den Stauseen verbundenen Probleme werden durch die Verbreitung neoliberaler Ideen auf dem ganzen Planeten verschärft. Die Politik der Privatisierung sieht nur die Effizienz und die hohe Rendite des internationalen Kapitals, das in den Wasserkraftwerken eingebunden ist. Die ökologischen, sozialen und ethnischen Folgen der Mega-Projekte werden weitgehend ignoriert. Während in den Industriestaaten das Bewußtsein über die zerstörerische Natur der Stauseen wächst und sie kaum noch errichtet werden, läuft der Bau im Süden der Welt auf Hochtouren: durchschnittlich 260 Stausee-Konstruktionen jährlich ist dort die Bilanz für die 90er Jahre. „Ein wesentlicher Grund für den Bau von Kraftwerken in einem derart großen Maßstab „, schreibt die MAB, „liegt darin, daß die großen weltweit agierenden Finanziers, die multi- und bilateralen Agenturen, sie weiterhin als ein wirtschaftliches Spektakel für die Entwicklungsländer feiern. Dabei ist längst klar, daß sie sich kaum rechnen. Obwohl diese Agenturen Millionen Dollar in die Bauten investieren, haben sie niemals auch nur eine komplette Studie über die ökologischen, ökonomischen und sozialen Folgen der von ihnen finanzierten Wasserkraftwerke gemacht.“

Zivilgesellschaft und Weltbank

Umweltgruppen haben auf Versammlungen 1988, 1990 und 1992 immer wieder auf die Notwendigkeit hingewiesen, unabhängige Studien durchzuführen. Sieverlangen von der Weltbank einen Finanzierungsstop für diese Art von Bauten. Auch die aus 20 Staaten kommenden Vertreter der von Stauprojekten Betroffenen, die sich auf Einladung der MAB im März 1997 im brasilianischen Curitiva trafen, verlangen einen Baustop für die Staudammprojekte und die Einrichtung einer internationalen Kommission, die eine echte šberwachung und Revision der großen Projekte erlaubt.

Die wachsende Kritik in der Öffentlichkeit brachte die Weltbank 1995 dazu, die von ihr finanzierten Mega-Projekte zu evaluieren. 1997 gründete sie eine weltweit agierende Kommission mit elf Mitgliedern, von denen vier die Betroffenen vertraten. Die MAB nahm am Anfang an den Versammlungen der Kommission teil, zog sich dann aber zurück, da das offensichtliche Interesse der Weltbank lediglich war, die Großprojekte mit den Kriterien der Öffentlichkeit zu legitimieren. Ohne die Beteiligung der betroffenen Völker war die Kommission zum Scheitern verurteilt.

Die Bewegung der von Stauseen Betroffenen ist überzeugt: „Viele der vorgeblichen Notwendigkeiten, die die großen Projekte angeblich befriedigen, könnten einfacher auf anderen Wegen gelöst werden. Das Wasser für trockene Gegenden oder solche mit starkem Gefälle könnte von kleinen Firmen, die traditionelle oder moderne Techniken einsetzen, besser gelöst werden. All diese Länder haben ein hohes Energieniveau, das über Sparmaßnahmen und Effizienzsteigerung noch erhöht werden könnte. Zudem sind die Kosten für die erneuerbaren Energien wie Wind und Sonne geringer als die der mit Wasserkraft erzeugten.“ Gute Argumente, um noch einmal festzustellen, daß im Falle der Stauprojekte das Ziel nicht die Mittel heiligt.

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