Ohne Landreform kein Ende des Hungers

von Torge Löding, Antigua (Guatemala)

(San José, 02. Oktober 2009, voces nuestras).- „Dürrekatastrophe in Guatemala!“, titeln die Zeitungen und berichten, dass bereits bis zu 500 Kinder verhungert seien. „Ich glaube nicht, dass den Menschen diese Art der Aufmerksamkeit etwas bringt“, sagt Maya. Die junge Frau ist Mitglied der Zentralamerikanischen Sozialistischen Partei PSOCA (Partido Socialista Centroamericano), und lehnt die weitverbreitete Darstellung ab, dass eine Dürre und die Wirtschaftskrise Schuld seien an der Misere in Guatemala. „Dabei handelt es sich nur um ein mediales Ablenkungsmanöver. Die wahren Gründe liegen in der ungerechten Verteilung des Reichtums, der Benachteiligung der Kleinbauern und der Nichteinhaltung der Arbeitsgesetze. Deshalb verdient die Mehrheit unserer Bevölkerung nicht einmal genügend Geld, um sich richtig zu ernähren“.

Mehr als 54.000 Familien im Osten und Nordwesten des mittelamerikanischen Landes leiden nach Regierungsangaben unter den Folgen der extremen Dürre der vergangenen Wochen, welche die gesamte Region betrifft. Diese sei der Grund für Missernten, denen über 90 Prozent der Produktion der Grundnahrungsmittel Mais und Bohnen zum Opfer fiel. Das Landwirtschaftsministerium beziffert den Verlust auf 17,51 Millionen US–Dollar. Die betroffenen Familien leben vor allem im „Trockenkorridor“ der Provinzen Jalapa, Jutiapa, El Progreso, Zacapa, Chiquimula und Baja Verapaz. In Folge der Missernte könnten bald bereits 400.000 Familien Hunger leiden.

Rund zwei Drittel der Guatemaltek*innen gehören der Ethnie der Mayas an, vom gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen leben sie als Landarbeiter*innen ein karges Leben in den entlegenen Provinzen oder verrichten die am schlechtesten bezahlten Arbeiten in den Städten im Dienst der weißen Oberschicht. Daran hat sich auch nach dem Ende des Bürgerkrieges 1996 nichts geändert. Die Landreform des progressiven Präsidenten Jacobo Arbenz von 1954 sollte der ruralen Bevölkerung ein besseres Leben verschaffen, war aber schnell der Grund für einen US–unterstützten Militärputsch im gleichen Jahr. Die putschenden Oligarchen kassierten sogleich die Reform und auch der heute amtierende sozialdemokratische Präsident Alvaro Colom beschränkt seine Reformpolitik auf milde Gaben durch ein nationales Sozialprogramm, welches seine Ehefrau verwaltet. Dies leiste der Korruption Vorschub, kritisieren viele. Wie ein Krebs durchzieht die Korruption seit langem öffentliche Verwaltung und Politik des Landes. Schlimmer noch: Rund 75 Prozent des guatemaltekischen Bruttoinlandprodukts produzieren die Drogenkartelle, die weite Landstriche kontrollieren und besser ausgerüstet und trainiert sind als die regulären Militärs.

Die Kleinbauernorganisation CENOC (Coordinadora Nacional de Organizaciones Campesinas) hofft trotzdem auf die Politik: „Der Landwirtschaftskommission des Parlaments liegt ein Gesetzentwurf zur Stärkung der Kleinbauern und der Nahrungsmittelproduktion vor“, sagte Vorstandsmitglied Rafael Gonzales. Das Ziel seiner Organisation ist es, den Einfluss der Großkonzerne wieder zu beschneiden, welche aufgrund der Freihandelsverträge seit 1996 in Guatemala intervenieren und die Nahrungsmittelproduktion zugunsten von Zuckerrohr und Afrikanischer Palme zurückgedrängt haben, die vor allem zur Agrodieselproduktion verwendet werden. „Es ist notwendig, dass Präsident Colom nicht nur Hilfsgüter in die betroffenen Gegenden sendet, sondern etwas für die Lösung des strukturellen Problems tut“, so der Campesinoführer.

Die Stärkung der Kleinbauern und Kleinbäuerinnen hat sich auch das Programm „Vamos al Grano“ auf die Fahnen geschrieben. Vor einem knappen Jahr begannen das britische Hilfswerk Oxfam und 19 guatemaltekische Nichtregierungsorganisationen die Kampagne, mit der sie Politiker*innen für die Anliegen der Bauern und Bäuerinnen sensibilisieren möchten. „In der aktuellen Situation schlagen wir eine Doppelstrategie vor“, erklärte Maribel Carrera, Oxfam–Direktorin in Guatemala. „Zum einen verantwortungsbewusste Soforthilfe mit Elementen wie `Arbeiten für Nahrungsmittel´ und die Lieferung von Hühnern und Milchkühen in die betroffenen Gegenden. Damit wollen wir verhindern, dass die Kleinbauern das bisschen, was sie jetzt besitzen, aus Not verkaufen. Dazu müssen aber Fördermaßnahmen kommen, welche Anreize zur Wiederaufnahme der lokalen Produktion bieten“. Für die Oxfam–Direktorin sei das nur ein erster Schritt: „Ohne Landreform bekommen wir den Hunger in Guatemala nie unter Kontrolle“.

(Torge Löding arbeitet für das unabhängige Kommunikationszentrum Voces Nuestras in San José, Costa Rica, http://vocesnuestras.org

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