Max Neef: „Das neoliberale Wirtschaftsmodell tötet mehr Menschen als alle Armeen der Welt.“

(Buenos Aires, 29. Oktober 2018, ecupres).- „Die Wirtschaft weiter wachsen lassen, um mehr zu konsumieren und eine unendliche Menge an unnötigen Dingen herstellen, um eine der mächtigsten Einrichtungen voranzubringen: Die Werbeindustrie, deren Aufgabe sehr deutlich ist: Dich dazu zu bringen, Dinge zu kaufen, die du nicht brauchst, von dem Geld, das du nicht hast, um Leute zu beeindrucken, die du nicht kennst. Das kann ganz offensichtlich nicht nachhaltig sein”, so der Wirtschaftswissenschaftler Max Neef. Neef, ehemaliger chilenischer Präsidentschaftskandidat und Autor der These „Entwicklung nach menschlichem Maß“, kritisiert die Wachstumsfixiertheit im neoliberalen Wirtschaftsmodell als brutalen und gefährlichen Flop und sieht die Verantwortung für einen Großteil des “Schreckens, den wir heutzutage in der Welt erleben“ in eben jenem Modell.

Wirtschaft im Dienste des Lebens

In einem Interview mit der Zeitschrift En Torno erklärt Neef: „Das neoliberale Wirtschaftsmodell tötet mehr Menschen als alle Armeen der Welt zusammen, und niemand landet dafür vor Gericht oder im Gefängnis. Niemand wurde bisher dafür verurteilt. All’ die Schrecken, die wir heutzutage in der Welt erleben, basieren auf dieser ökonomischen Vision und ihrer Praxis. Die Wachstumsfixiertheit ist einfach Schwachsinn. Jede*r weiß doch: Alle lebenden Organismen wachsen bis zu einem gewissen Punkt, und dann nicht mehr. Du hast aufgehört zu wachsen, ich habe aufgehört zu wachsen, der große Baum hat aufgehört zu wachsen, aber er hört nicht auf, sich zu entwickeln.“ Max Neef glaubt an die Vision der Ökologischen Wirtschaft „die im Unterschied zur traditionellen Wirtschaft im Dienste des Lebens steht und sich grundsätzlich von konventionellen Wirtschaftsweisen unterscheidet.”

„Die konventionelle Ökonomie, als Tochter der neoklassischen Ökonomie, hat – angelehnt an Newton – ein mechanistisches Weltbild: Das menschliche Wesen, die Wirtschaft und die Welt sind mechanisch. Und in einer mechanischen Welt gibt es Systeme, die aus Teilen bestehen. Diese Teile lassen sich auseinandernehmen, analysieren und wieder zusammensetzen. Die ökologische Ökonomie hingegen basiert auf einer organischen Weltanschauung. Die Systeme bestehen nicht aus einzelnen Teilen, sondern aus untrennbaren beteiligten Faktoren. Das bedeutet, dass alles aufs Engste miteinander verknüpft ist – ein Grundsatz, den wir bereits seit 90 Jahren aus der Quantenphysik kennen, aber es hat lange gedauert, bis er sich auch in den Sozialwissenschaften durchgesetzt hat.”

Fünf Postulate für eine Ökologische Wirtschaft

Neef, ehemaliger Direktor der Universitäten Bolivariana und Austral, unterscheidet fünf fundamentale Postulate und ein unverzichtbares Werteprinzip, auf die sich die ökologische Ökonomie oder jedes andere neue Wirtschaftssystem stützen sollte: „Postulat Nummer eins: Die Wirtschaft soll den Menschen dienen und nicht die Menschen der Wirtschaft. Nummer zwei: Entwicklung bezieht sich auf den Menschen und das Leben, nicht auf Objekte. Nummer drei: Wachstum ist nicht dasselbe wie Entwicklung und Entwicklung braucht nicht unbedingt Wachstum. Nummer vier: Keine Wirtschaft kann ohne Ökosysteme existieren. Nummer fünf: Wirtschaft ist eine Untersystem eines größeren, endlichen Systems, der Biosphäre. Daher ist ein permanentes Wachstum nicht möglich.”

„Das unverzichtbare Werteprinzip, dass einer neuen Ökonomie zugrunde liegen soll, lautet, dass die Wertschätzung des Lebens niemals und unter gar keinen Umständen hinter wirtschaftlichen Interessen zurückstehen darf. Wenn man diese Punkte einmal durchgeht, wird man feststellen, dass das, was wir heute haben -nämlich eine neoliberale Wirtschaft- das genaue Gegenteil ist. Wir befinden uns in einer Extremsituation: Heute zu Beginn des 21. Jahrhunderts gibt es mehr Sklaven als im 19. Jahrhundert vor dem Verbot der Sklaverei. Und ich spreche nicht von Sklaven als Metapher, sondern im tatsächlichen Sinn des Wortes: 60 Prozent der Sklav*innen sind Kinder und der Rest überwiegend Frauen.“

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