Maisvielfalt – „Farmer’s Privilege“ unter Druck

von Alejandro Espinosa Calderón und Antonio Turrent Fernández*

(Mexiko-Stadt, 11. Februar 2013, la jornada-poonal).- Mexiko ist Ursprungszentrum und gleichzeitig Bewahrer des weltweit größten Reichtums genetischer Vielfalt des Mais und seiner wildwachsenden Verwandten. In verschiedenen Saatgutbanken auf dem Planeten werden bei Temperaturen von minus 18°C und darunter eine Billion Maiskörner aufbewahrt, die sich genetisch voneinander unterscheiden und lediglich einen kleinen Bruchteil der biologischen Vielfalt des Mais auf der Erde darstellen.

Bäuerliches Saatgut

Zum Vergleich: Die mexikanischen Bauern und Bäuerinnen säen jedes Jahr etwa hundert Milliarden genetisch verschiedener Maiskörner von 59 einheimischen Maissorten aus. Geerntet werden etwa 20 Billionen Maiskörner, die während des Wachsens den Umweltbedingungen ausgesetzt sind. Von diesen Körnern wählen die Bäuerinnen und Bauern dann 100 Milliarden Körner als Saatgut aus, der Rest wird als Nahrungsmittel konsumiert.

So gehen die mexikanischen Campesinos und Campesinas Jahr für Jahr mit dem Zwanzigfachen der Biodiversität um, die in Saatgutbanken existiert. Auf diese Vielfalt wird ein großer Selektionsdruck ausgeübt (ein Saatkorn von 100 Körnern), um jenes Saatgut auszusuchen, das aufgrund seiner morphologischen Merkmale das beste Muster für den plurikulturellen Konsum repräsentiert. Die Bauern und Bäuerinnen tauschen ihr Saatgut innerhalb der Gemeinde aus, andere verkaufen es auch auf lokalen oder regionalen Märkten.

Dieser Prozess stellt ein Mega-Experiment autochthoner, dynamischer genetischer Züchtung dar, das es in der Welt kein zweites Mal gibt. Es wird ohne Unterbrechung seit 6.000 Jahren von den Bewohner*innen Mesoamerikas durchgeführt. Sie haben den Mais weiterentwickelt und tun dies weiterhin.

Hüter*innen der Maisvielfalt

In den letzten 100 Jahren hat die mendelsche genetische Züchtung aus dem weltweiten genetischen Reservoir des Maises all jene Eigenschaften herausgezogen, die alle kultivierten, nicht transgenen Hybridsorten und auch den Genmais, bis auf seine wenigen eingebrachten neuen Merkmale, definieren. Die Wissenschaft als solche hat diese Merkmale nicht geschaffen. Die legitimen Schöpfer*innen des Maises, seiner funktionalen biologischen Vielfalt und seine Hüter*innen in Mexiko, sind die 62 ethnischen Gruppen im Land und deren Vorfahren.

Die Hälfte des in Mexiko ausgebrachten Maissaatgutes stammt von den 59 – oder möglicherweise noch mehr – einheimischen Sorten ab. Zwischen 25 und 30 Prozent des Saatgutes sind moderne Hybridsorten, die von einer Handvoll multinationaler Konzerne und mehr als 70 mittleren und kleinen, nationalen Saatgutunternehmen verkauft werden. Der Rest des Saatgutes geht auf angepasstes Material zurück, das aus der genetischen Interaktion zwischen den Zuchtsorten und den einheimischen Maissorten entstanden ist.

Druck auf „Farmer’s Privilege“-Regelung

Beim gesetzlichen Gerüst bezüglich des geistigen Eigentums, ist in Mexiko das 1996 verabschiedete Bundesgesetz über Pflanzenvarietäten (LFVV) hervorzuheben. Es ist kompatibel mit der Akte des Internationalen Übereinkommens zum Schutz von Pflanzenzüchtungen (UPOV) von 1978. Dieses Übereinkommen schützt die Rechte der Züchter*innen, wobei es das Vorrecht des Landwirts [das sog. „farmer’s privilege“] und das Recht des Pflanzenzüchters hervorhebt. Hingegen sind die in den Industrieländern verabschiedeten Gesetze mit der späteren UPOV-Akte von 1991 kompatibel, welche die Patentierung lebender Organismen für rechtmäßig erklärt.

Deshalb patentiert die Gentechnikindustrie ihre transgenen Kulturen und erwirbt auf diese Weise das gesetzliche Anrecht auf die Erhebung von Lizenzgebühren. Diese Gebühren zahlen zum einen jene Bauern und Bäuerinnen, die freiwillig mit der Industrie Verträge über die Nutzung dieser Technologie abschließen und zum anderen, aufgrund gerichtlicher Verfügung, jene Getreide- oder Saatgutproduzent*innen, die eine Varietät aussäen oder vermarkten, die bewusst oder unbewusst mit patentierten Transgenen kontaminiert worden ist.

Mexiko und andere Länder, die Ursprungszentren und/oder Vielfaltszentren von angebauten Sorten sind, sind externem Druck ausgesetzt, die UPOV-Akte von 1991 anzunehmen. Eine Folge dieses Lobbyismus war die vom mexikanischen Senat 2012 verabschiedete Änderung des Bundesgesetzes über Pflanzenvarietäten (LFVV), die neben anderen Bestimmungen die Patentierung lebender Organismen erlaubte. Dies bedeutete einen Positionswechsel Mexikos und die Zustimmung zur UPOV-Akte von 1991. Glücklicherweise wurde diese Reform in der 61. Legislaturperiode von der Abgeordnetenkammer suspendiert.

Gefahr für kleine und mittlere Unternehmen

Die mögliche Zustimmung zur LFVV-Reform sowie die Genehmigung für die kommerzielle Aussaat von Genmais im Norden Mexikos hätten tief greifende und dem Wohl der Nation entgegengerichtete Folgen für den Maisanbau im Land. Kurzfristig würden in dieser Region die mittleren und kleinen Unternehmen verschwinden, die nicht transgene Maissorten produzieren und vermarkten – in überwältigender Mehrheit Hybridsorten und vom Staat bereitgestellte Varietäten.

Der Grund: Es wird selbst bei allem vorhandenem Willen unmöglich sein, die Kontaminierung verwandter Maislinien zu verhindern, wenn diese auf dem Land mit dem kommerziellen Genmaisanbau zusammentreffen. Vor dem Gesetz würde das kontaminierte Saatgut dann als geraubt gelten – die Lizenzgebühren an die Industrie trieben die Unternehmen in den Bankrott. Nicht transgener Mais hätte in dieser Region Mexikos dann keine Existenzberechtigung mehr, denn bei der Handvoll transnationaler Saatgutunternehmen handelt es sich genau um jene Konzerne, die den Genmais einführen wollen. Die transgene Kontaminierung würde das Monopol der Industrie auf dem Saatgutmarkt komplettieren. Für die nationale Ernährungssicherheit wäre damit nichts gewonnen.

Kontaminierung und Kapitalisierung

Langfristig würde das genetische Maisreservoir mindestens zweifach geschädigt: Erstens aufgrund der fortschreitenden und unumkehrbaren Anhäufung von transgenen DNA in einheimischen Sorten. Deren Erforschung wird seit 2009 vorgeschlagen, ohne dass dafür bisher öffentliche Mittel gewonnen werden konnten. Die Kontaminierung könnte die genetische Biodiversität des einheimischen Mais und seiner wild wachsenden Verwandten reduzieren.

Zweitens würde jedes kontaminierte Saatgut, sei es von einer einheimischen Sorte oder nicht, als illegal angeeignetes Saatgut gelten. Damit würden die 62 ethnischen Gruppen Mexikos ihrer Hüterfunktion für das weltweit größte genetische Maisreservoir beraubt.

Je schneller die Kontaminierung der einheimischen Maissorten fortschritte, desto schneller würde dieser Raub vonstatten gehen. Die Kontaminierung einheimischer mexikanischer Maissorten ist im Interesse der Genindustrie, denn dies würde die Kapitalisierung begünstigen und das Monopol der Industrie auf irreversible Weise konsolidieren.

*Vorsitzender der Vereinigung Gesellschaftlich Engagierter Wissenschaftler UCCS (Unión de Científicos Comprometidos con la Sociedad

 

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