Lugo: Die paraguayische Linke hatte nie einen besseren Moment

von Igor Ojeda

(Quito, 03. August 2012, alai-poonal).- Als Fernando Lugo im August 2008 das Amt des Präsidenten von Paraguay übernahm, dachte er, dass er nach Ablauf seines Mandates im August 2013 anderen Tätigkeiten außerhalb der institutionellen Politik nachgehen würde. Aber der Putsch von Ende Juni 2012 änderte sein Leben radikal, sagte er bei einem Treffen mit brasilianischen Medien am vergangenen 2. August in Sao Paulo.

„Heute fordern die Menschen stärker als je zuvor von mir, dass ich weniger Bischof und mehr Politiker sein soll“, bekräftigte Fernando Lugo, der bestätigt, die führende Rolle bei der Einigung der paraguayischen Linken nach seiner Amtsenthebung übernommen zu haben. Und er fügt hinzu, dass heute täglich soziale und politische Gruppen darüber diskutieren, wie das nationale Projekt für den Aufbau des Landes fortgeführt werden soll. „Vorher gab es so etwas nicht. Die Linke hatte niemals einen besseren Moment. Niemals vorher haben sich zwölf Parteien und acht Gruppierungen vereint“, erklärte er mit Hinweis auf die Frente Guasú, die sich im März 2010 aus linken und Links-Mitte-Strömungen formiert hatte.

Erneuerte Linke und „nicht recycelte Rechte“

Für die Wahlen im April kommenden Jahres müssten die Kräfte an zwei Fronten konzentriert werden: Im Kampf um die Präsidentschaft sowie im Kampf eine möglichst hohe Anzahl an Sitzen in Parlament und im Senat. Für das letztgenannte Ziel wird Lugo die Wahlliste der Kandidaten für den Senat anführen. Das Recht darauf hatte ihm der Oberste Gerichtshof Paraguays kürzlich bestätigt. „In einigen Wochen werden wir klarer sehen, was der beste Weg ist. Ich denke, wenn es für die Wiederherstellung der Demokratie in Paraguay wichtig ist, werde ich mich zur Verfügung stellen“, sagte der gestürzte Präsident.

Laut Lugo wird es bei der nächsten Wahl eine Auseinandersetzung zwischen einer erneuerten Linken und einer „nicht recycelten Rechten“ geben. „Deswegen gibt es Hoffnung. Die paraguayische Gesellschaft ist stärker polarisiert als je zuvor. Wenn die Linke es schafft, auch bisher unpolitische Kräfte zu aktivieren, hat sie Chancen“. Einer der großen Vorteile der Frente Guasú ist laut Fernando Lugo, dass sie sich von den traditionellen Parteien des Landes deutlich unterscheide. „Die paraguayische Rechte fiel in kürzester Zeit aus einer Euphorie in die Depression. Sie dachte, es würde leicht sein, den Putsch durchzuführen. Sie dachte, dass die Gemeinschaft südamerikanischer Staaten Unasur (Unión de Naciones Suramericanas) keine Reaktion zeigen und die internationale Gemeinschaft sie anerkennen würde. Heute sind sie komplett isoliert“, unterstrich Lugo.

Die Angst vor gesellschaftlicher Transformation

Nach Ansicht von Fernando Lugo war nicht die politische Arbeit seiner Regierung ausschlaggebend für den Putsch, wie es im Kongress dargelegt wurde, sondern das Potential an gesellschaftlicher Transformation der paraguayischen Gesellschaft, das darin enthalten war. „Wir haben keinerlei sozialistische Maßnahmen ergriffen. Wir akzeptierten die Spielregeln. Es gab gute Beziehungen zu internationalen Organisationen und bei den konservativen wirtschaftlichen Indikatoren, die sie gern sehen wollten – Wirtschaftswachstum, kontrollierte Inflation, Erhöhung der internationalen Reserven, Schuldentilgung – standen wir vorbildlich da. Aber es gab eine Gefahr. Der fortlaufende Prozess des Wandels. Das hat sie gestört. Ökonomisch waren wir genehm, aber politisch hatten wir zu viele Verbindungen zu sozialen Gruppierungen“, argumentierte er.

Der gestürzte Präsident betonte ausdrücklich, dass der Putsch nicht von heute auf morgen vorbereitet wurde. „Darüber wurde lange nachgedacht“, sagte er und erinnerte an eine kürzliche Veröffentlichung bei Wikileaks, aus der hervorgeht, dass die USA schon seit 2009 über ein derartiges Vorhaben informiert waren. „Als ich in die Politik ging, sagte man mir, dass 70 Prozent der Entscheidungen außerhalb des Landes fallen würden. Ich wollte das nicht glauben. Heute schließe ich aufgrund meiner Erfahrung diese Möglichkeit nicht mehr völlig aus“. Laut Lugo zeigen in Paraguay – wie in den meisten Teilen der Welt – die wirklichen Machthaber*innen nicht ihr Gesicht. Im Falle Paraguays sind es die Drogenbosse, die Sojaproduzenten und die transnationale Agrarindustrie.

„Multinationale Konzerne sind faktisch die Machthaber“

„Die Putschregierung hat bereits vier Maßnahmen ergriffen, die auf die Einflussnahme jener Mächte verweisen, die in Paraguay faktisch die Politik bestimmen. Zuerst wurde die Soja-Exportsteuer abgeschafft. Dann wurde die Einfuhr von genverändertem Soja-Saatgut genehmigt, während meine Regierung daran gearbeitet hat, das einheimische Saatgut weiterzuentwickeln. Als dritte Maßnahme wurde angekündigt, Schulden zu bezahlen, die Paraguay nie gemacht hatte. Es geht um einen Kredit von 80 Millionen US-Dollar aus der Zeit der Strössner-Diktatur, der in Paraguay nie ankam. Die vierte Maßnahme betrifft die Verhandlungen um die Errichtung eines Werkes des multinationalen Konzerns Rio Tinto. Weshalb wollen sie in Paraguay Aluminium produzieren, wenn das Ausgangsmaterial und der anschließende Absatzmarkt in Brasilien liegen? Sie verhandeln darüber, dass der Energiepreis für das Unternehmen auf 30 Jahre ohne Neuanpassung festgeschrieben wird – mit einem Verlust von 14 Millionen US-Dollar für den Staat Paraguay. Ohne Zweifel, diese Multinationalen sind faktisch die Machthaber“, erklärte er.

Forderung nach Verfassungsgebender Versammlung

Angesichts dessen erläuterte Lugo, dass für eine strukturelle Änderung im Land die Einberufung einer verfassungsgebenden Versammlung notwendig sei, die als oberste Priorität über die Eigentumsfrage bei Grund und Boden entscheiden müsse. Dafür sei ein starker Rückhalt im Parlament notwendig, was eine weitere große Herausforderung darstelle, so Lugo.

Zur Frage einer möglichen Rücknahme des Putsches und seiner Rückkehr ins Präsidentenamt erklärte Lugo, dass es zwei Wege gäbe. Der erste liege in den Händen des Obersten Gerichtshofs, der aktuell die Verfassungsmäßigkeit des vom Kongress gegen Lula angestrengten politischen Verfahrens prüft.

Der andere Weg wäre politischer Natur: Der Senat selbst könnte anerkennen, dass der Prozess der Amtsenthebung Lugos irregulär war und dessen Absetzung rückgängig machen. Der Präsident sei dazu bereit, allerdings – auch wenn Lugo erklärt, es gäbe die Möglichkeit, in sein Amt zurückzukehren – optimistisch ist er diesbezüglich nicht. „Ich glaube an Gott und an Wunder, aber daran glaube ich nicht“.

Übersetzung: amerika21 (Irina Poprawa)/poonal

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