Grüner Extraktivismus – das Geschäft mit Lithium, Kupfer, Wasserstoff

Klimaneutralität, die Mobilitätswende und der massive Ausbau erneuerbarer Energien gehören zu den zentralen Zielen der Ampelregierung in Deutschland. So steht es im Koalitionsvertrag der rot-gelb-grünen Bundesregierung. Doch woher sollen die nötigen Rohstoffe für Akkus und Windräder, Elektrofahrzeuge und synthetische Kraftstoffe kommen? So wertvolle Stoffe wie Lithium, Kupfer und Wasserstoff werden zumeist aus Südamerika importiert. Deren Abbau belastet dort die Umwelt und damit auch die Menschen, die dort leben.

„Die Bedingungen dort sind zumindest fragwürdig. Gleichzeitig werden aber alle diese Metalle, die dort abgebaut werden, gebraucht“, leitete Bernd Pickert, Auslandsredakteur der taz, eine Diskussionsveranstaltung in Kooperation mit dem Nachrichtenpool Lateinamerika und dem Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika in der taz Kantine am 15. Dezember 2022 ein. „Wenn man hier eine Energiewende auf der Basis von Elektromobilität hinbekommen möchte, kann man sagen ja, das ist vertretbar? Ist das eigentlich völlig unvertretbar?“ spitzt er die Fragestellung an die freie Journalistin und Chile-Korrespondentin Sophia Boddenberg zu. Sie und Michael Reckordt von PowerShift, einem Verein, der sich für eine ökologisch und sozial gerechte Energie- und Weltwirtschaft einsetzt, beleuchten dieses Dilemma dann ausführlich von verschiedenen Seiten.

Die Kupfermine Antapaccay in Peru

„Peru und Chile gehören zu den größten Kupferproduzenten der Welt“, erklärt Sophia Boddenberg. „Ein Großteil dieses Kupfers wird nach China exportiert, in die USA und auch nach Deutschland. Deutschland ist das dritte Land, das am meisten Kupfer importiert weltweit.“ Sie zeigt Fotos von ihren Recherchereisen und beschreibt die Kupfermine Antapaccay, eines der größten Bergwerke in Peru, wo im offenen Tagebau Kupfer abgebaut wird. Nach dem Abtragen des Erzes werden die Abfälle auf großen Abraumhalden gesammelt. Als einen der größten Kritikpunkte vor Ort in Espinar, wo sich diese Mine befindet, bezeichnet sie „dass die Abfälle nicht ordnungsgemäß abgeladen werden und deswegen giftige Stoffe in den Boden sickern und so ins Grundwasser gelangen, in die Flüsse, in die Gewässer, und dass dadurch eine große Schwermetallbelastung im Wasser gibt, was die Menschen trinken, die Tiere trinken“. Dabei ist das Wasser dort eine wichtige Ressource, um auch die Landwirtschaft zu betreiben, die Tiere zu versorgen. Denn achtzig Prozent der Bevölkerung gehören zu den indigenen Quechua, und viele leben von der Landwirtschaft, Kartoffelanbau, Schafzucht, Alpakas.

Die Journalistin spricht auch über ihre Recherchen zum Abbau von Lithium in der chilenischen Atacamawüste. Dabei sinkt der Grundwasserspiegel in der ohnehin trockensten Wüste der Welt weiter ab. „Chile hat die größten Lithiumvorkommen der Welt und ist nach Australien eines der wichtigsten Exporteure von Lithium“, erklärt sie. Die Nachfrage nach Lithium steige stark mit dem Ausbau der Elektromobilität, da Lithium auch für Batterien in Handys, Computern und Elektroautos gebraucht werde. In einem Pilotprojekt von Siemens und Porsche im südchilenischen Patagonien soll mithilfe von Windenergie grüner Wasserstoff für synthetische Kraftstoffe erzeugt werden, berichtet Sophia Boddenberg.

Grüner Extraktivismus

Beide Projekte werden die als grüner Extraktivismus kritisiert. Denn die Rohstoffe sollen zwar die ökologische Transformation unserer Gesellschaft voranbringen. Aber in den Herkunftsländern kommt es zu verstärkten Umweltbelastungen und zur Zerstörung von Lebensgrundlagen der einheimischen Bevölkerung. Die Rohstoffe werden fast ausschließlich zum Zweck des Exports auf den Weltmarkt gefördert. Ihre Bearbeitung und die Wertschöpfung finden hingegen überwiegend in den Zielländern statt – unter anderem in Deutschland.

Michael Reckordt ist Experte für Rohstoffpolitik bei der NGO PowerShift und nimmt dabei vor allem die Verwendung im Mobilitätssektor unter die Lupe. „Deutschland ist der fünftgrößte Ver- und Gebraucher von Primärmetallen“, erklärt er. Deutschland sei also nach den USA, China, Japan einer der großen Importeure dieser Rohstoffe aus Peru und Chile. Das liege auch an der hiesigen Industriestruktur. „Wir haben uns jahrelang damit gerühmt, dass wir Exportweltmeister sind, weil wir schwere Maschinen – ich würde sagen zu schwere große Autos – exportieren und dadurch die Rohstoffe billig importieren und teure, veredelte Produkte exportieren“.

In Deutschland gingen ein Viertel der Stahlimporte, zehn Prozent der Kupfer- und 75 Prozent der Bleiimporte in den klassischen Automobilitätssektor, so Reckordt, doch nun stehe die Mobilitätswende unter anderem mit der Einführung von Elektrofahrzeugen an: „Jetzt kommt eine Umstellung und die meisten von uns wissen ja auch, dass die Automobilindustrie in Deutschland sehr lange auf Benziner und Diesel gesetzt, Emissionsgrenzen auf europäischer Ebene sehr lange bekämpft hat. Jetzt versucht man aber in dieses neue Geschäftsmodell reinzukommen.“ Dazu sollten nach Wunsch der Autoindustrie Verbrenner „eins zu eins“ durch Elektroautos ersetzt werden. Für diesen Wandel, für die Bekämpfung der Klimakrise brauche es jetzt also noch mehr Metalle. Powershift und andere Organisationen haben daher den Begriff „Rohstoffwende“ geprägt, denn ein Umdenken in dieser Hinsicht sei dringend nötig.

Strategische Entscheidung für unersetzbare Rohstoffe für den ökologischen Umbau

Bernd Pickert fragt nach den Förderbedingungen für die Rohstoffe, die für Elektromobilität benötigt werden. Michael Reckordt wirbt für ein kluges Abwägen, eine strategische Entscheidung, welche Stoffe für den ökologischen Umbau von Gesellschaft und Wirtschaft notwendig sind: „Wir müssen überlegen: An welchen Stellen können wir unseren Rohstoffverbrauch reduzieren?“ Es gehe darum, große Treiber des Metallverbrauchs zu identifizieren, um diesen Verbrauch zu reduzieren. Im Mobilitätssektor müsse über andere Formen der Mobilität nachgedacht werden, über eine andere Stadtplanung, über eine Stärkung des öffentlichen Nahverkehrs. Denn aufgrund der Klimakrise sei der Druck groß, aus den fossilen Rohstoffen auszusteigen. Er gibt aber auch zu bedenken: „Ohne Strom und ohne Mobilität werden unsere Gesellschaften nicht funktionieren. Das heißt, wir müssen klären, wie wir die Rohstoffe, die wir in Zukunft noch benötigen, unter Standards abbauen und gewinnen können, die die Menschenrechte nicht verletzen.“

Sophia Boddenberg stellt Elektromobilität als alleinigen Lösungsansatz für den Klimawandel infrage, denn diese verursache auch neue Probleme. „Wir müssen auch in Frage stellen, wie viel Energie eigentlich verbraucht wird und wer diese Energie verbraucht“, sagt sie. „Denn wenn dieser hohe Energieverbrauch weiter geht, dann werden die Kosten der Lebensweise im globalen Norden auf den globalen Süden, auf Länder wie Chile und Peru, ausgelagert.“

Diesen Beitrag könnt ihr hier auch als Audio anhören.

Die ganze Diskussionsveranstaltung gibts hier zum Anhören.

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