Evo Morales vor seiner dritten Herausforderung

von Andrés Solíz Rada*

(La Paz, 20. Oktober 2014, bolpress).- Evo Morales hat sich in seiner ersten Regierungsperiode (2005-2009) der gewaltigen Herausforderung gegenüber gesehen, Bolivien aus den neoliberalen Denkweisen zu befreien. Dieses Vorhaben ist ihm in hohem Maße durch die Verstaatlichung fossiler Brennstoffe am 1.5. 2006 gelungen, aufgrund derer ein Teil der Wirtschaft entsprechend eines Staatskapitalismus neu gestaltet wurde. Begleitet von hohen Rohstoffpreisen, brachte dieser einen wirtschaftlichen Aufschwung mit sich, der das Land gestärkt hat.

Herausforderungen auf nationaler Ebene

In seiner zweiten Amtszeit (2009-2014) ist es ihm gelungen, die separatistischen Versuche der Bewegung Nación Camba und der abspaltenden Strömungen des radikalen Indigenismus zu zerschlagen, wobei letzterer erreichte, dass in der Verfassung die Existenz 36 indigener Nationalitäten anerkannt worden ist; diese sind ausgestattet mit ihren ursprünglichen Territorien, kommunitären Justizsystemen sowie dem ausschließlichen Nutzungsrecht über erneuerbare Ressourcen und dem Vetorecht über nicht erneuerbare Ressourcen (allerdings sind diese Nutzungsrechte bereits verfassungsmäßig eingeschränkt und gar nicht so ‘ausschließlich’, Anm. d. Ü). All diese Punkte sind schriftlich vereinbart.

Wenn er seine dritte Amtszeit (2015-2020) antritt, wird er vor der Herausforderung stehen, die Befahrbarkeit Boliviens zu festigen, welche seit Beginn seiner Existenz aufgrund der besonderen Geografie, ethnischen Vielfalt, plurikulturellen Vielsprachigkeit und der ständigen Täuschungsmanöver benachbarter Oligarchien, die wie Verbindungsglieder zu transnationalen Unternehmen agieren und agierten, permanent bedroht ist.

Die Versprechen Morales’ reichen bis zum Jahr 2025, wenn der Staat Bolivien sein 200-jähriges Bestehen feiern wird. Der Präsident geht davon aus, dass Bolivien in den kommenden 16 Jahren ein Land ohne extreme Armut sein wird, in dem das kollektive Interesse über dem individuellen steht und es in der Lage sein sollte, die Probleme in Bildung, Gesundheit und Sport zu lösen.

Streben nach umfassender Souveränität

Für unabdingbar erklärte Morales ebenso die wissenschaftliche und technologische, kommunitäre und finanzielle Souveränität und jene über unsere natürlichen Ressourcen durch Verstaatlichung, Industrialisierung und Kommerzialisierung, sowie die Ernährungs-, Umwelt- und maritime Souveränität, welche es Bolivien ermöglichen würde seinen vorenthaltenen [Zugang zum] Meer wieder zu erhalten.

Ratsamerweise hat der Präsident weder einen Sozialismus – abgesehen vom Sozialismus Lateinamerikas, welcher der einzig mögliche ist – noch die Rückkehr zum präkolonialen Tahuantinsuyo vorgeschlagen, wie es NGOs und die “Pachamámicos” fordern. Er hat ein gangbares Projekt für das Land entworfen, welches die anderen Präsidentschaftskanditaten, die bei den Wahlen am 12. Oktober klar besiegt wurden, ohne Vorschläge dastehen ließ.

Die erwähnten Ziele beinhalten jedoch große Herausforderungen, die Evo zwingen werden zu beweisen, dass er in der Lage ist, die nationale Einheit zu festigen und die Wirtschaft nicht nur in Zeiten des Aufschwungs erfolgreich zu steuern, sondern auch unter enormen Schwierigkeiten wie sie am nahen Horizont lauern, besonders aufgrund des Rückgangs der Rohstoffpreise.

Große Pläne – große Hürden

Im Jahr 2019 wird ein neuer Vertrag über den Verkauf von Gas an Brasilien in Kraft treten (für wahrscheinlich 20 Jahre). Evo wird die neuen Preise mit Dilma Rousseff verhandeln müssen. Weder Rousseff noch Aécio Neves, ihr Kontrahent bei den vergangenen Wahlen, zeigten gegenüber Bolivien eine zugeneigte Haltung, wie es bei Lula der Fall war.

Unsere Lage erscheint noch schwieriger, wenn berücksichtigt wird, dass die USA und Westeuropa eine heftige Offensive gegen die BRICS-Staaten (Brasilien, Russland, China, Indien und Südafrika) gestartet haben, da diese die Grundlagen für ein neues Finanzsystem geschaffen haben, das die absolute Vormachtstellung der Weltbank und deren Steueroasen einschränken wird. In dem Maße nun wie Brasilien an der imperialen Offensive leidet könnte, wird das Land versuchen, den Sturm mit drastischeren Auflagen für seine schwachen Nachbarn zu überstehen.

Noch haben es die Organismen für regionale Integration (MERCOSUR, UNASUR, CELAC und ALBA) nicht geschafft, von überschwänglichen bolivarianischen Diskursen zur gemeinsamen Kontrolle und Koordination von strategischen Ressourcen wie Bergbau, Erdöl, Bankwesen und Landwirtschaft überzugehen, innerhalb derer transnationale Unternehmen fast völlig dominieren. Beispielsweise übergab kürzlich das Parlament der argentinischen Provinz Chubut für 40 Jahre die Lizenz zur Förderung des Cerro Dragón, das produktivste Gas- und Erdölvorkommen Argentiniens, an British Petróleum.

Aufruf zu verantwortungsvoller Ressourcennutzung

Während folglich die befreienden Projekte zur Integration [Lateinamerikas] stagnieren, verzeichneten die Pläne zur [regionalen] Vorherrschaft der USA mittels der Pazifik-Allianz (Peru, Chile, Kolumbien, USA und Mexiko) durch die Entstaatlichung des mexikanischen Erdöls wesentliche Fortschritte.

Um sich an seine ehrgeizige patriotische Agenda für 2025 anzunähern, muss Bolivien demnach seine innere Einheit stärken, mit höchster Verantwortung seine Auslandsschulden verwalten und auf verantwortungsvollste Weise seine wirtschaftlichen Ressourcen nutzen, was in den vergangenen Jahren nicht immer der Fall war.

* Andrés Solíz Rada – Anwalt, Journalist und ehemaliger Abgeordneter. Solíz Rada war während den vergangenen 30 Jahren einer der wichtigsten Verteidiger der natürlichen Rohstoffe Boliviens und der erste Minister für Fossile Brennstoffe unter der Regierung von Evo Morales.

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