E-Mobilität: der Traum vom grünen Wachstum

(Berlin, 31. Dezember 2020, npla).- „Im November 2019 wurde bekanntgegeben, dass der Standort in Grünheide Tesla angeboten wird“, erzählt Frank Gersdorf und kann noch immer nicht fassen, wie schnell alles gegangen ist. Er ist Sprecher der Bürgerinitiative Grünheide, die sich gegen den Bau der Tesla-Fabrik engagiert. Nur ein gutes Jahr, nachdem die Baupläne des E-Autobauers aus dem Silicon Valley im brandenburgischen Grünheide vor den Toren Berlins bekannt wurden, sind schon große Teile eines Kiefernwaldes gerodet und die Baustelle weit vorangeschritten. Möglich war dies durch vorläufige Zulassungen und Ausnahmegenehmigungen. Bereits im kommenden Jahr 2021 sollen dann bis zu 500.000 Fahrzeuge pro Jahr vom Band gehen.

Neuer Wirtschaftsstandort trifft auf ökologische Bedenken

Auch wenn Umweltverbände immer wieder temporäre Baustopps erwirken, zweifelt kaum jemand daran, dass die Fabrik fertiggestellt und die Produktion schon bald aufgenommen wird. Die brandenburgischen Politiker*innen jubeln, bedeutet der Bau für die Region doch eine immense Aufwertung als Industriestandort: Bis zu 12.000 neue Arbeitsplätze könnten entstehen.

Frank Gersdorf ist nicht zum Feiern zumute. Er sieht mit Sorge darauf, welche ökologischen Folgen die Fabrik mit sich bringen könnte. Denn an der Stelle, wo nun gebaut wird, war nicht nur ein Naherholungsgebiet. Dort befindet sich auch ein Trinkwasserschutzgebiet, „das die Trinkwasserversorgung im Umkreis und auch einem Teil der Berliner Bevölkerung gewährleistet.“ erklärt Gersdorf. Auch in Brandenburg macht sich der Klimawandel mit zunehmenden Dürren bemerkbar, was wiederum zu einer Absenkung des Grundwasserspiegels führt. Tesla soll für die Produktion 1,4 Millionen Kubikmeter Wasser pro Jahr verbrauchen – genug, um eine Kleinstadt zu versorgen. Umweltschützer*innen wie Gersdorf fürchten das weitere Absenken des Grundwasserspiegels und eine Beeinträchtigung der Trinkwasserversorgung.

Die Träume der Green Economy

Doch ökologische Bedenken wie diese wollen nicht so recht hineinpassen in das Image der E-Auto-Industrie, ist sie doch die Hoffnung der Green Economy: Das Versprechen vom grünen und nachhaltigen Wachstum, weil statt einem dreckigen Verbrenner ein emissionsfreier Antrieb auf Basis von Lithium-Ionen-Batterien eingebaut wird. Prognosen gehen davon aus, dass bis 2030 bis zu 10 Millionen Elektroautos auf deutschen Straßen fahren könnten. Manche träumen gar von 2,5 Milliarden Fahrzeugen weltweit bis 2050. Ganze 300 Milliarden US-Dollar wollen Autobauer weltweit in den nächsten Jahren in den Ausbau von E-Mobilität investieren. Der Betrag entspricht etwa dem Bruttoinlandsprodukts von Chile im Jahr 2019.

Ökologische Bedenken und drohende Wasserknappheit spielen aber nicht nur am Ende der Produktionskette eine Rolle, sondern auch am Anfang. Ohne große Mengen Wasser könnte kein Gramm Lithium abgebaut werden. Das Leichtmetall ist ein unersätzlicher Rohstoff für die Akkus von E-Autos.

Lithium – das weiße Gold aus der Atacama-Wüste

Im Salar de Atacama in der Atacama-Wüste im äußersten Norden Chiles befindet sich eine der wichtigsten Lithium-Abbauregionen weltweit. Ein Viertel der bekannten Lithiumreserven lagern dort, seit Jahrzehnten wird Lithium gefördert.

Die Atacama-Wüste ist eine der trockensten Regionen der Erde, für die Lithiumgewinnung werden trotzdem Unmengen an Wasser verbraucht. Es wird geschätzt, dass im Salar de Atacama 2.400 Liter Wasser pro Sekunde für Gewinnung und chemische Verarbeitung des Rohstoffs verbraucht werden. 2018 wurde die zulässige Fördermenge nochmal massiv erhöht, weil die Nachfrage nach Lithium weltweit steigt. Die Bewohner*innen der Atacama-Wüste leben häufig von der Landwirtschaft, die an die kargen Bedingungen einer Wüste angepasst ist. Doch wird in der Region eine zunehmende Wasserknappheit beobachtet und nicht nur das fragile aride Ökosystem droht aus dem Gleichgewicht zu geraten. Auch die Landwirtschaft wird zunehmend erschwert. „Leider gibt es keine Studien, die schlüssig genug sind, um den Zusammenhang zwischen dem Lithiumabbau und der Wasserknappheit nachzuweisen“, erklärt Ramón Morales Balcázar von der Fundación Tantí, einer kleinen Umweltorganisation aus San Pedro de Atacama.

Auch Merle Groneweg, Expertin für Rohstoffpolitik und E-Mobilität, sieht das Problem, dass es bisher an Untersuchungen fehlt, um einen Zusammenhang zwischen Lithiumabbau und Wasserknappheit eindeutig zu belegen. Wie auch die Beobachtungsstelle für Bergbaukonflikte in Lateinamerika (OCMAL)  fordert sie deshalb: „Wenn die Zusammenhänge nicht richtig erforscht sind und die Auswirkungen auf die Ökosysteme nicht klar, sollten wir jetzt ein Moratorium verhängen.“

Diese Forderung klingt aus ökologischer Sicht sinnvoll, könnte sie doch fragile Ökosysteme vor ihrer Zerstörung bewahren. Für die Automobilindustrie, die mit der E-Mobilität gerade zum Take Off ansetzt, wäre die Aussetzung des Lithiumsabbaus jedoch nur ein Hemmschuh.

Mobilitätswende? Fehlanzeige

Die ehrgeizigen Produktionsziele von Tesla und Co. lassen sich nur schwer erreichen, wenn auf jede Gemeinde und jede Bürgerinitiative Rücksicht genommen würde, die einen zunehmenden Wassermangel beobachten. Der Beitrag der Automobilindustrie gegen den Klimawandel besteht darin, einen emissionsfreien Antrieb anzubieten – und zwar für alle. Denn der Umstieg auf E-Mobilität ist nicht verbunden mit einer Mobilitätswende. Stattdessen wird weiterhin auf den Individualverkehr gesetzt. Für Merle Groneweg ist eines der Versprechen der Green Economy „die Hoffnung, dass wir so weiter machen können, wie bisher, dass wir nichts an unserer Mobilität ändern müssen und einfach den Antrieb wechseln.“

Das Ziel, jeden Verbrenner durch einen Elekto-Antrieb zu ersetzen, kann keine Lösung sein. Zwar wird CO2 eingespart und die Feinstaubbelastung – perspektivisch vor allem in den Städten des Globalen Nordens – reduziert, die ökologischen Belastungen tragen in der Folge aber Gemeinden wie das beschauliche Grünheide in Brandenburg und vor allem die Bewohner*innen der Atacama-Wüste. Ramón Morales Balcázar von der Fundación Tantí ist davon überzeugt, dass es eine andere Mobilität braucht. Eine Mobilität, die sich an den Bedürfnissen der Bevölkerung orientiert und nicht an den von Unternehmen – und einen gezielten Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs in Chile und im Rest der Welt: „Elektroautos im Privatbesitz sind keine Lösung, im Gegenteil: Sie bedeuten mehr Konflikte, größere Ausbeutung und negative Auswirkungen vor allem in den Ländern des Südens.“

Zu diesem Thema ist auch ein Audiobeitrag bei Radio onda erschienen.

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